Thomas Kaiser, CEO Ringier Digital im Interview

Thomas Kaiser, CEO Ringier Digital im Interview

Thomas Kaiser, CEO Ringier Digital (Bild: Ringier)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Kaiser, Ringier erwirtschaftete 2014 32% des Gesamtumsatzes im digitalen Bereich. Während das traditionelle Printgeschäft sowie das Verlagsgeschäft in Asien, Afrika und in Europa ausserhalb der Schweiz und Deutschland an Bedeutung verlieren, gewinnt das digitale Geschäft an Bedeutung. Was heisst das für das Selbstverständnis eines Medienhauses und das klassische Rollenverständnis eines Journalisten?

Die Marktsituation ist nicht erst seit gestern eine Herausforderung. Auch ein Medienunternehmen wie Ringier muss Überlebensstrategien entwickeln, um in einer globalisierten Medienwelt, in der Technologiefirmen wie Google, Facebook, Apple zusehends die Spielregeln vorgeben, bestehen zu können. Darum haben wir uns vor einigen Jahren bewusst für die Transformation unserer Geschäfte entschieden. Dass dabei digitale Geschäftsmodelle zulegen, liegt in der Natur der Sache. Es wäre aber ein Trugschluss, daraus zu schliessen, dass die Geschäftsbereiche Publishing und Entertainment an Bedeutung verloren haben. Im Gegenteil, jeder Geschäftsbereich ist substanziell wichtig für Ringier. Und selbstverständlich nehmen wir auch jede Chance wahr, digitale Geschäftsmodelle im Publishing-Umfeld zu entwickeln. Es gibt bei Ringier keinen Geschäftsbereich und keinen Mitarbeitenden, der sich nicht der digitalen Herausforderung stellen muss.

Der Umsatzrückgang in Osteuropa gründet aus dem Verkauf Tschechiens. Per Ende April 2014 wurde der Ausstieg des Joint Ventures Ringier Axel Springer Media aus dem vornehmlich im Printbereich tätigen Geschäft in der Tschechischen Republik rechtskräftig. Dieser Verkauf führt zwar zu einem Umsatzrückgang, wir berücksichtigen jedoch unterschiedliche Kriterien und sind mit der Entwicklung des internationalen Geschäfts absolut zufrieden.

«Aktive Kundenbeziehungen mit einem „Lifetime-Value“ stellen letztlich das wahre „Asset“ eines Medienunternehmens der Zukunft dar» Thomas Kaiser, CEO Ringier Digital

Ringier und Tamedia verdanken ihre gute Position im Digitalbereich vor allem teilweise sehr kostspieligen Zukäufen und Diversifikationen, während das journalistische Leitmedium, die NZZ, sich sehr zurück hält und im digitalen Geschäft bis anhin kaum eine Rolle spielt. Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich und wie sehen Sie das Medienhaus der Zukunft?

Ringier’s Transformation folgte den drei grossen „C“ Content, Classifieds und Commerce. Die Medieninhalte und die Reichweitenvermarktung standen schon immer im Zentrum. Das Classifiedsgeschäft ist bei Ringier in dieser Dimension neu dazugekommen, stellt aber als Geschäftsmodell ebenfalls seit Jahren eine tragende Säule von Medienunternehmen dar. Komplett neu sind hingegen die Transaktionsplattformen, sei dies im Ticketing oder im Bereich der Online-Handelsplattformen. Hier geht es letztlich darum, die Vielzahl von Kundenkontakten, die bisher via Werbung nur anonym in einer Tausendkontaktpreis-Logik monetarisiert wurden, in aktive Kundenbeziehung mit einem „Lifetime-Value“ zu überführen. Diese Kundenbeziehungen stellen letztlich das wahre „Asset“ eines Medienunternehmens der Zukunft dar. Es ist selbstredend, dass in der Folge auch eine grosse Inhouse-Technologiekompetenz aufgebaut werden muss. Es kann nicht mehr wie früher für jede Medienmarke jede Einzelfunktion repliziert werden, sondern es werden ergänzend übergreifende Kompetenzen gefragt sein. Dies trifft für die Vermarktung genauso zu wie für die Content-Produktion.

«Mit dem Geldverdienen ist es schwieriger. Dies ist ein wenig wie die Suche nach dem heiligen Gral. Kein Medienunternehmen hat darauf heute bereits eine simple Antwort gefunden.»

Im Lesermarkt werden sich die kommenden Generationen von Digital Natives kaum mehr mit den aus dem Print-Abo bekannten Preismodellen anfreunden. Im Werbemarkt haben die Medien die Hoheit an neue Online-Giganten wie Google oder Facebook verloren und im Content-Bereich sind Leser und Nutzer zunehmend die geachteteren Produzenten als die Journalisten. Wie lässt sich in Zukunft mit Journalismus noch Geld verdienen?

In Bezug auf die Content-Produktion bin ich ziemlich hoffnungsfroh. Gut gemachter Qualitätsjournalismus wird immer seine Leser, Zuhörer oder Zuschauer finden. Im Gegenteil, je mehr Content verfügbar ist, umso stärker das Bedürfnis nach Einordnung, Qualifizierung und Agenda Setting. Mit dem Geldverdienen ist es schwieriger. Dies ist ein wenig wie die Suche nach dem heiligen Gral. Kein Medienunternehmen hat darauf heute bereits eine simple Antwort gefunden. Es wird einerseits die Kunst sein, eine Vielzahl von Erlösmodellen zu kombinieren und zu versuchen, in Summe einen Grossteil der Erlöse wettzumachen, die im traditionellen Mediengeschäft verloren gegangen sind. Andererseits wird die Art, wie wir Inhalte „produzieren“, einem starken Wandel unterliegen. Die Kombination von erlös- und kostenseitigen Massnahmen führt letztlich dazu, dass wir auch in Zukunft eine tragfähige finanzielle Basis für Qualitätsmedien haben werden.

Ein aus dem Silicon Valley importiertes unabdingbares Element für den Erfolg in der digitalen Zukunft ist Innovation. Bis anhin bedeutete Innovation im Mediengeschäft ein neues Layout, Farbe in der Zeitung oder ein neues Werbeformat. Wie kann in einem solchen Umfeld echte Innovation entstehen und welches Beispiel einer Innovation aus dem Medienbereich hat Sie in letzter Zeit am meisten beeindruckt?

Es gibt reihenweise tolle Innovationen im Publishingbereich. In den Schwanengesang, der mancherorts zu hören ist, mag ich daher nicht einstimmen. Zwei kleine Beispiele aus unserem Haus, eines aus dem Zeitschriftenbereich, eines aus dem „New Publishing“-Umfeld. Mit der Lancierung der Zeitschrift Landliebe ist ein phantastischer Erfolg im Lesermarkt gelungen, der mit Landliebe TV inzwischen bereits in ein anderes Medium überführt wurde. Dies zeigt, es geht letztlich darum, mit Medien den Nerv der Zeit zu treffen und ein Produkt einfach gut zu machen, egal ob auf Papier, mobil oder im TV.  Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Tätigkeit von Ringier Axel Springer in Polen: Onet.pl ist eines der reichweitenstärksten Onlineportale in Polen und deckt die Informationsbedürfnisse von Millionen von Nutzern in vorbildlicher Weise ab. Technologie ist dort einmal mehr nicht Selbstzweck, sondern bietet die Grundlage für eine dynamische Anpassung der Medienangebote und die Personalisierung, wie sie mit keinem anderen Medium möglich wäre.

«Wir sehen uns auch interessante Start-Ups an, die auf Konsumenten ausgerichtete Internet of Things Angebote entwickeln.»

Unser Leben wird zunehmend geprägt von der wachsenden Intelligenz der uns umgebenden Objekte. “Smart Cities”, “Smart Houses”, “Smart Watches”, “Smartphones”. Welche Chancen sehen Sie für Ringier in dieser Entwicklung?

Das Internet verlässt sozusagen die Bildschirme und schlüpft in Alltagsgegenstände hinein. Es gibt aktuell viele Entwicklungen – sinnvolle und weniger sinnvolle – die das Alltagsleben angenehmer machen werden. Dies ist auch für Ringier eine Geschäftschance. Wird die Immobilie auf ImmoScout24 oder das Auto auf AutoScout24 in dem Moment auf meiner Smartwatch angezeigt, wenn ich daran vorbeimarschiere? Werden die Besucher einer Energy Veranstaltung ganz neue Interaktionen im  Hallenstadion erleben? Wird der von InfrontRingier betreute Radprofi an der Tour de Suisse einen Livetracker am Rad haben? Vieles ist vorstellbar. Wir beginnen gerade mit der Entwicklung von Ideen, sehen uns aber auch interessante Start-Ups an, die auf Konsumenten ausgerichtete Internet of Things Angebote entwickeln.

Eine grosse gesellschaftliche Entwicklung ist die Virtualisierung. Softwarebasierte Dienste, die unser berufliches und soziales Leben zunehmend prägen kommen aus der Cloud, oft kostenlos. Der Preis dafür ist ein weitgehender Verlust an den eigenen Daten-Rechten und Profil-Informationen, den am höchsten bewerteten Ressourcen in der digitalen Welt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Wie oben bereits ausgeführt, stellen die Kundendaten ein wichtiges „Asset“ eines Medienunternehmens dar. Es wurde in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt, diese Daten systematisch zu erfassen. Medienangebote wurden wie Litfasssäulen behandelt, an denen anonyme Leser vorbeimarschierten. Die amerikanischen Technologiegiganten hingegen können ihr Geschäft nur deshalb mit so hoher Marge betreiben, weil wir Konsumenten ihnen unsere persönlichen Daten im Austausch für die Nutzung ihrer Services „for free“ zur Verfügung stellen. Es ist an der Zeit, dass die Medienunternehmen sich des Werts dieser Daten ebenfalls bewusst werden und verantwortungsvoll aktiv Kundenbeziehungen aufbauen, die diesen Namen verdienen.  Ich halte es sogar für möglich, dass die Internetnutzer den Spiess bald umdrehen, sich bewusst werden, was ihre persönlichen Daten wert sind und diese künftig als eine Art Währung einsetzen. Ich sehe darin auch Chancen für neue Geschäftsmodelle.

«Es ist an der Zeit, dass die Medienunternehmen sich des Werts persönlicher Daten ebenfalls bewusst werden und verantwortungsvoll aktiv Kundenbeziehungen aufbauen, die diesen Namen verdienen.»

Ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Unternehmen aus dem Silicon Valley ist der schnelle Zugang zu Kapital. Geld ist zwar in der Schweiz ebenfalls vorhanden, aber kaum Risikobereitschaft. Was braucht es, dass es in Zukunft vermehrt Erfolgsgeschichten von Schweizer Startups geschrieben werden, die über die Anpassung einer Idee aus den USA hinausgehen?

Die Schweiz war schon immer ein guter Nährboden für Inventionen. Viele Industrien zeigen dies. Doch vielleicht sind wir – ähnlich wie Deutschland – eher ein Land der Ingenieure mit Freude an der Technik per se. Die Amerikaner denken viel stärker in Anwendungen und wie sie diese zu Markte und zu den Kunden tragen. Es gibt vermutlich nicht wenige Produkte, deren technische Grundlage in Deutschland oder der Schweiz erfunden, die marktreife Ausführung dann aber von Amerikanern vorangetrieben wurde. Die MP3 Technologie ist immer noch das schönste Beispiel dafür. Hier müssen wir einfach markt- und anwendungsorientierter werden und uns mutiger vermarkten. Investoren gibt es genug, auch in der Schweiz. Aktuell beobachte ich, dass in der Schweiz vieles in Gang kommt. Es bilden sich vermehrt Plattformen für Start-ups und Investoren, die Universitäten werden aktiver, der Grad der internationalen Vernetzung steigt. Die Initiative «Digital Zurich 2025», die von Ringier AG mitgetrieben wird, ist ein zusätzlicher Schritt, um notwendige Voraussetzungen zu schaffen: Ein Schulterschluss der führenden Arbeitgeber in der Schweiz und der Politik, um sich den Herausforderungen der digitalen Transformation zu stellen.

Die Masseneinwanderungs-Initiative wird, falls sie wie von den Urhebern gefordert umgesetzt wird, dazu führen, dass auch viele dringend benötigte Talente nicht mehr in die Schweiz kommen werden. Was heisst das für die Entwicklung der Schweiz als digitaler Hub in Europa, mit welchen Massnahmen können negative Effekte gemindert werden?

Es ist wichtig, dass optimale Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Masseneinwanderungs-Initiative und andere Ärgernisse auf politischer Ebene sind dafür sicher nicht förderlich. Was die rechtlichen und behördlichen Bestimmungen (Wettbewerbsrecht, Einwanderungsbestimmungen, Steuervorschriften usw.) anbelangt, können wir auf Unternehmensseite nur staunen, wieviel Selbstbeschränkung wir uns in der Schweiz auferlegen, während die internationalen Technologiegiganten nahezu ohne Einschränkung ihr grenzenloses Geschäft betreiben können, häufig noch steuerlich privilegiert. Ein Beispiel zum Thema Einstellung ausländischer Arbeitskräfte: Wir absolvieren einen aufreibenden Hindernislauf, um Spezialisten aus den USA bei uns einstellen zu dürfen. Man muss wissen, dass jeder Spezialist, der das Knowhow erstmal ins Land bringt, im Schnitt fünf bis zehn weitere Arbeitsplätze schafft, die dann in der Regel mit lokalen Kräften besetzt werden. Oder ein Beispiel aus dem Steuersektor: Junge Unternehmensgründer, die gerade von der Hochschule kommen und keinen Cent in der Tasche haben, sollen den häufig sehr virtuell angesetzten Unternehmenswert ihrer Beteiligung voll als Vermögen versteuern. Wenn wir solche Rahmenbedingungen schaffen, wird die Schweiz sicher nicht zum digitalen Innovationszentrum. Hier ist nicht zuletzt die Politik stark gefordert.

«Jeder ausländische Spezialist, der das Knowhow erstmal ins Land bringt, schafft im Schnitt fünf bis zehn weitere Arbeitsplätze, die dann in der Regel mit lokalen Kräften besetzt werden.»

Welche Projekte sind die bedeutendsten Projekte, die Sie in den nächsten Jahren umsetzen möchten und wie werden diese Ringier verändern?

Lassen Sie mich dazu kurz etwas ausholen. Was mich seit über 20 Jahren am Mediengeschäft fasziniert, ist die Vielfalt von starken Consumer-Brands unter einem Dach und die Möglichkeit, die dazu gehörigen Angebote jeden Tag weiter entwickeln und adaptieren zu können. Dies bietet unglaublich viel kreativen unternehmerischen Spielraum. Diese Autonomie und Dezentralität ist aber ziemlich genau das Gegenteil eines skalierbaren Modells, wie es die von Ihnen erwähnten Online-Giganten betreiben. Die wichtigsten Projekte bei uns, aber wohl auch in vielen anderen Medienunternehmen, befassen sich daher mit dem intelligenten Aufsetzen von transversalen, quer über alle Geschäftsbereiche hinweg funktionierenden Themen ohne gleichzeitig den unternehmerischen Spielraum eines Teams einzuschränken, das für ein einzelnes Geschäft oder eine Medienmarke zuständig ist. Beispiele für solche Themen sind die medienübergreifende Audience-Vermarktung, dazu gehörige Programmatic Direct Plattformen, kooperative Datenprojekte u.v.m.. Hier werden in Zukunft in bereichsübergreifenden Projektgruppen oder feststehenden Knowledge-Centers Synergien realisiert und die Grundlagen für neue Geschäftschancen gelegt. Daneben gilt es – gerade auch bei den neu akquirierten digitalen Unternehmen – die Voraussetzungen dafür zu schaffen (oder zu erhalten), dass Innovation an der Tagesordnung bleibt. Es ist besonders bei ehemals gründergeführten Unternehmen eine Herausforderung, den Mitarbeitenden aufzuzeigen, dass das nächste Kapitel der Unternehmensgeschichte ebenso spannend ist wie das letzte.

Der Gesprächspartner:
Thomas Kaiser (*6. März 1966) ist seit Juni 2012 CEO Ringier Digital. In dieser Funktion verantwortet er die Tätigkeiten der führenden Schweizer Online-Marktplätze (u.a. immoscout24.ch, autoscout24.ch, jobs.ch), innovativer eCommerce-Unternehmen (u.a. deindeal.ch, geschenkidee.ch, Qualipet Digital) und Digital Marketing Dienstleistungen (Omnimedia). Vor seiner Tätigkeit bei Ringier verantwortete Kaiser als Mitglied der Konzernleitung der PubliGroupe den Aufbau des Geschäftssegments Digital & Marketing Services. Kaiser war während zwölf Jahren in Deutschland bei Bertelsmann und Hubert Burda Media in leitenden Funktionen tätig und befasst sich seit 1995 mit der Entwicklung von Unternehmen im Bereich neuer Medien. Sein Betriebswirtschaftsstudium schloss Kaiser mit dem Lizenziat an der Universität St. Gallen HSG ab. Kaiser ist Mitglied des Vorstands des Swiss Chapters der International Advertising Association.

Das Unternehmen:
Ringier Digital vereint unter einem gemeinsamen Dach die digitalen Kompetenzen, Ringier Digital ist ein Geschäftsbereich der Ringier AG und versteht sich als digitales Powerhouse. Rund um die Uhr setzen sich mehr als 600 Mitarbeitende für die Bedürfnisse der Online-Nutzer und Kunden ein. Das Portfolio umfasst die führenden Schweizer Online-Marktplätze und innovative eCommerce-Plattformen. Ringier Digital bietet zudem integrale Vermarktungslösungen auf lokaler und nationaler Ebene sowie umfassende Erfahrung in der Entwicklung und im Betrieb von transaktionsstarken Online-Technologieplattformen. www.ringierdigital.ch

 

Thomas Kaiser ist Keynote Referent am Digital Economic Forum am 06. Mai 2015

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