Thomas Meier, CEO Santhera, im Interview

Thomas Meier, CEO Santhera, im Interview
Thomas Meier, CEO Santhera. (Foto: zvg)

Interview von Robert Jakob

Moneycab: Herr Meier, wie angekündigt befindet sich Santhera wieder in einer Expansionsphase, sowohl was die Studien- als auch die Vermarktungsaktivitäten anbelangt. Dadurch hat sich der Halbjahresverlust verdreifacht. Beginnt, nachdem Sie in 2015 schwarze Zahlen vermelden konnten, jetzt wieder das grosse Zittern?

Thomas Meier: Es ist unser Ziel, Santhera als Unternehmen weiterzuentwickeln und breit aufzustellen. Aus diesem Grund investieren wir in weitere klinische Studien mit Raxone in Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) sowie in Vorbereitungen für die geplanten Markteinführungen von Raxone in DMD in Europa und den USA. Zudem entwickeln wir mit dem US National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) Raxone in einer dritten Indikation, primär progredienter Multipler Sklerose (PPMS), sowie Omigapil für Patienten mit kongenitaler Muskeldystrophie (CMD). Dass wir im Jahresabschluss 2015 schwarze Zahlen schreiben konnten, hat folgenden Grund: Die Zulassung von Raxone für LHON erlaubte die Aufwertung einer früheren Wertberichtigung von CHF 27,1 Millionen (im Zusammenhang mit Entwicklungskosten für LHON) und Lagerbeständen und resultierte in einer Verbesserung des zugrunde liegenden operativen Ergebnisses.

Ende letzten Jahres konnten Sie rund 10% neue Aktien zu 93 Franken platzieren. Wie beugen Sie verärgerten Aktionären vor? Die Santhera-Aktie notiert ja zurzeit um etwa 50 Franken.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Investition in ein Biotech-Unternehmen mit Risiken verbunden ist. Die meisten Biotech-Investoren sind sich des Risikos einer solchen Investition bewusst. Wir sind aber zuversichtlich, dass positive Nachrichten über die Unternehmensentwicklung den Aktienkurs auch wieder beflügeln werden.

Ihr Ziel ist es, im umsatzstarken einheitlichen US-amerikanischen Markt Fuss zu fassen. Das kostet…

Der Aufbau unserer operativen Tätigkeiten in den USA ist in der Tat ein wichtiger Schritt für unser Unternehmen. Eine Präsenz im wichtigsten Arzneimittelmarkt erlaubt uns, die Markteinführung selbst vorzubereiten. Wir sehen den grössten Wertzuwachs für unsere Aktionäre in der Eigenvermarktung unseres Produktes und nicht in der Auslizenzierung; deshalb war dieser Schritt jetzt nötig.

«Der Druck auf die Pharmapreise wird in den USA so oder so gross bleiben.»
Thomas Meier, CEO Santhera

Welcher Präsident wäre besser für Ihr Geschäft, Clinton oder Trump?

Natürlich verfolgen wir die Wahlen in den USA mit grossem Interesse. Im jetzigen Moment ist es aber schwierig zu beurteilen, wie sich die US-Gesundheitspolitik bei einer möglichen Wahl von Clinton beziehungsweise Trump tatsächlich verändert. Der Druck auf die Pharmapreise wird in den USA so oder so gross bleiben, dafür sorgen allein die grossen Finanzlöcher da drüben.

Trifft es die „Orphan Drugs“, die Medikamente für seltene Krankheiten, auf die sich Santhera ja generell spezialisiert hat, stärker oder schwächer als die grossen Standardpräparate?

Der Druck auf die Preise im Gesundheitswesen hat zugenommen und wird sicher auch weiter zunehmen. Dies gilt für die USA und in noch in stärkerem Ausmass für Europa. Es wird daher immer wichtiger, dass Pharmaunternehmen den klinischen Nutzen einer Therapie klar aufzeigen können. Ich bin überzeugt, dass eine Therapie mit einem überzeugenden klinischen Nutzen auch in Zukunft angemessen erstattet wird. Und dies wird insbesondere für Krankheiten der Fall sein, für welche ein sehr hoher medizinischer Bedarf besteht.

Bei Omigapil®, dem Mittel gegen eine bestimmte Form von Muskelschwund, sind sie erst ganz am Anfang der klinischen Phasen. Selbst wenn das nun in vielen europäischen Ländern zugelassene Flaggschiffmedikament Raxone in allen drei Indikationen durchschlagen sollte, bräuchten Sie wohl oder übel noch mindestens einen dritten Produktkandidaten, oder?

Der Wert eines Unternehmens ist nicht gekoppelt an die Anzahl der verschiedenen Produkte – es ist durchaus attraktiv ein Produkt in verschiedenen Indikationen zu entwickeln und später zu vermarkten, wie wir das planen. Es gibt eine Vielzahl mitochondrialer Erkrankungen, und wir werden auch in der Zukunft evaluieren, in welchen Indikationen wir für Raxone noch einen therapeutischen Nutzen sehen. Omigapil ist dann der zweite Wirkstoff, der gegebenenfalls auch für mehrere Indikationen eingesetzt werden kann – dies bleibt zu prüfen. Festhalten möchte ich, dass wir unsere Expertise in der Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung von mitochondrialen und neuromuskulären Krankheiten kontinuierlich ausbauen, zum Nutzen von Patienten und um uns als eigenständiges Spezialitätenpharmaunternehmen weiter zu entwickeln.

«Wir sind sehr erfreut über diesen renommierten und hoch kompetitiven Förderbeitrag der FDA.»

Von der US-Gesundheitsbehörde FDA haben Sie einen Förderzuschuss von einer viertel Million Dollar zur Unterstützung der laufenden Phase-I-Studie mit Omigapil bei kongenitaler Muskeldystrophie (CMD) erhalten. Wie kommt eine europäische Entwicklungsboutique zu solcher Ehre?

Wir sind sehr erfreut über diesen renommierten und hoch kompetitiven Förderbeitrag der FDA. Für uns ist der Förderbeitrag eine Anerkennung für die hohe wissenschaftliche Qualität unserer Arbeit. Die FDA bekräftigt zudem den Bedarf nach einer Behandlung für kongenitale Muskeldystrophie und unterstreicht den Beitrag, den wir zur Entwicklung einer wirksamen Therapie leisten.

Während Raxone® bei der Augen-Krankheit LHON bereits munter verschrieben wird, ist es in der dritten Indikation, der primären fortschreitenden Multiplen Sklerose, noch in Phase 2. Wenn alles gut geht, könnte diese Indikation doch für Raxone der Hauptumsatzrenner werden, oder täusche ich mich da?

Die primäre fortschreitende Multiple Sklerose betrifft rund 10 bis 15 Prozent aller Patienten mit Multipler Sklerose; es ist im Moment die häufigste Indikation für die wir den therapeutischen Nutzen von Raxone prüfen. Bisher gibt es keine effiziente und breit einsetzbare Therapie. Die Phase 2-Studie mit Raxone in primärer fortschreitender Multipler Sklerose kommt planmässig voran. Vor der Analyse der Daten dieser Doppelblindstudie ist es aber sicher verfrüht, von einem „Umsatzrenner“ zu sprechen.

Wie eng sind eigentlich Ihre Kontakte zu Biogen in diesem Teilbereich? Zu Merck Serono oder Novartis haben Sie historisch ja ohnehin sehr guten Kontakt.

Über unsere Kontakte zu anderen Firmen äussern wir uns grundsätzlich nicht.

Die Studienergebnisse der Phase 3 für die dritte Raxone-Indikation, Duchenne Muskeldystrophie, sind sehr vielversprechend. Wann rechnen Sie mit der Erstzulassung dafür?

In Europa prüft der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) derzeit unseren Zulassungsantrag (MAA) für Raxone bei Patienten mit DMD, die keine Glucocorticoid-Begleittherapie erhalten; für diese Gruppe von DMD Patienten ist ein klinisch relevanter Nutzen mit Raxone bereits nachgewiesen. Hier erwarten wir eine Rückmeldung seitens der Europäischen Zulassungsbehörde im ersten Quartal 2017. In den USA prüfen wir Möglichkeiten, um mit der FDA den Dialog für eine beschleunigte Zulassung von Raxone für die gleiche Patientengruppe aufzunehmen.

Raxone mit dem Wirkstoff Idebenon wurde nun genau vor einem Jahr als erstes in Deutschland für die Krankheit LHON zugelassen. Welche Erfahrungen und Lehren konnten Sie daraus ziehen?

Raxone ist heute in der Europäischen Union, Norwegen, Island und Liechtenstein zur Behandlung von LHON zugelassen. Es gelang uns, in sehr kurzer Zeit eine eigene Vertriebsorganisation in Europa aufzubauen und Raxone in den ersten europäischen Märkten einzuführen. Dabei konnten wir wichtige Erfahrungen sammeln im Hinblick auf die erwartete europäische Marktzulassung von Raxone in DMD. Auf Grund der komplexen Preisfindungs- und Rückerstattungsprozesse in verschiedenen EU-Ländern liegt das Umsatzwachstum von Raxone in LHON im Moment noch etwas unter unseren ursprünglichen Erwartungen zurück. Mit den entsprechenden Entscheiden der Behörden in den kommenden Monaten erwarten wir jedoch ein beschleunigtes Wachstum der Umsätze.

«Generell ist uns der regelmässige Austausch mit unseren Investoren ein grosses Anliegen.»

Der Wirkstoff Idebenon hat eine Vorgeschichte. Unter dem Namen Catena® gelang Santhera damit zunächst die Zulassung in Kanada. 2013 erfolgte der freiwillige Rückzug. War man damals im Rückblick bei der Zulassung zu überhastet vorgegangen?

Die kanadische Zulassung betraf die Indikation Friedreich Ataxie und erfolgte aufgrund vielversprechender Daten aus einer Phase 2-Studie. Leider konnten wir diese Ergebnisse in einem anschliessenden Phase 3-Programm nicht bestätigen. Die Abmachung mit der Kanadischen Behörde damals war, dass wir das Medikament freiwillig zurückziehen, sollten die Phase 3 Studien nicht den erforderlichen Wirksamkeitsnachweis erbringen. Wir haben uns an diese Abmachung gehalten.

Santhera hat sehr viele prominente Investoren, neben europäischen Anlage- und amerikanischen Investmentfirmen ist das die Familie Bertarelli. Wie oft treffen Sie Ihre Hauptinvestoren pro Jahr?

Generell ist uns der regelmässige Austausch mit unseren Investoren ein grosses Anliegen. Wir nehmen uns daher während des Jahres ausreichend Zeit für Gespräche im kleinen Rahmen oder am Rande von Investorenkonferenzen.

Zum Unternehmen
Santhera Pharmaceuticals ist ein auf die Entwicklung und Vermarktung innovativer Medikamente zur Behandlung seltener neuromuskulärer und mitochondrialer Krankheiten fokussiertes Schweizer Spezialitätenpharmaunternehmen. Santheras erstes Produkt Raxone ist in der Europäischen Union, Norwegen, Island und Liechtenstein zur Behandlung von Leber Hereditärer Optikusneuropathie (LHON) zugelassen. Für Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), die zweite Indikation für Raxone, hat Santhera in der Europäischen Union die Marktzulassung beantragt. In Zusammenarbeit mit dem US National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) entwickelt Santhera Raxone in einer dritten Indikation, primär progredienter Multipler Sklerose (PPMS), sowie Omigapil für Patienten mit kongenitaler Muskel-Dystrophie (CMD).

Zur Person
Thomas Meier führt Santhera als  Chief Executive Officer (CEO) seit Oktober 2011, nachdem er ihr sieben  Jahre Chief Scientific Officer (CSO) gedient hatte. Davor war er CEO von MyoContract, einem Basler Unternehmen, das Medikamente gegen  neuromuskuläre Erkrankungen entwickelte und im Jahr 2004 mit Graffinity Pharmaceuticals aus Heidelberg, fusionierte. Daraus entstand Santhera. Thomas Meier hat einen Dr. der Universität Basel, wo er Biologie studierte. Als Postdoc ging er anschliessend ans University of Colorado Health Sciences Center, Denver, CO, USA. 1999 wurde er Forschungsgruppenleiter in der Abteilung Pharmakologie und Neurobiologie seiner Alma Mater, der  Universität Basel.

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