WisdomTree: Beim Referendum in Italien steht viel auf dem Spiel

WisdomTree: Beim Referendum in Italien steht viel auf dem Spiel
Von Viktor Nossek, Leiter Research von WisdomTree Europe. (Foto: zvg)

Zürich – Die am 4. Dezember 2016 stattfindende Volksabstimmung über die Reform der italienischen Verfassung entscheidet über den langfristigen Wachstumspfad der italienischen Wirtschaft. Wenn die Italiener mit „Ja“ stimmen, können Gesetze zur Arbeitsmarkt-, Renten- und Wirtschaftspolitik auf einfachere Weise beschlossen werden, so dass die ehrgeizige Reformagenda des derzeitigen Premierministers Renzi und der nachfolgenden Regierungen beschleunigt wird. Dies führt zu einer erneuten Ankurbelung des Wachstums aufgrund der Binnennachfrage.

Wenn die Italiener mit „Nein“ stimmen, bleibt es für die Wirtschaft beim Status quo: stagnierendes Wachstum, zusätzlich negativ beeinflusst durch die langsame Reaktion und Ineffizienz der Regierung, bei hoher Arbeitslosenrate und Staatsverschuldung, die populistische Argumente geradezu einladen. Die euroskeptische Haltung der politischen Führung würde zu einer Bedrohung des Projekts Europa führen, und für Anti-Establishment-Parteien böten sich Chancen für die Bildung einer neuen Regierung.

Viktor Nossek, Leiter Research von WisdomTree Europe, stellt die möglichen politischen und damit ökonomischen Auswirkungen dar und erläutert aus strategischer und taktischer Perspektive, welche Möglichkeiten sich Investoren vor und nach dem Referendum bieten.

Asset-Allokation: „Ja“-Votum = optimistisches Szenario für die Mehrzahl der italienischen Anlageklassen und den Euro

  • Eine Wiederherstellung des Vertrauens in italienische Staatsanleihen, das nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA gelitten hatte, würde möglicherweise eine Umkehr des im November verzeichneten Anstiegs der Renditen auf lang laufende Staatsanleihen bewirken. Politische Stabilität und eine wachstumsfreundliche Agenda dürften für Italien zu verbesserten fiskalpolitischen Rahmenbedingungen führen, voraussichtlich begleitet von entsprechenden Hochstufungen italienischer Staatsanleihen durch die Ratingagenturen.
  • Die italienischen Banken würden angesichts der extrem niedrigen Bewertungen ihrer Aktien (derzeit etwa zum halben Buchwert) wohl am meisten von diesem Vertrauensvorschuss profitieren. Günstigere langfristige Prognosen für das Wirtschaftswachstum würden die italienischen Banken eher dazu veranlassen, neue Kredite zu vergeben. Auf der anderen Seite würden sich Unternehmen und Privathaushalte eher geneigt sehen, neue Kredite aufzunehmen. Eine schnellere Ausweitung des „gesunden“ Darlehensbestandes würde zu einer rascheren Reduzierung der in den Büchern der Banken stehenden leistungsgestörten Kredite führen.
  • Da die Marktkapitalisierung des FTSE MIB Index deutlich von Bankenwerten bestimmt wird, besteht hier eine hohe Zinssensitivität. Banken, Versicherungen und Investment-Gesellschaften, die in grossem Umfang italienische Staatsanleihen halten, dürften voraussichtlich von sinkenden Anleiherenditen profitieren. Zudem könnten sich die Pläne der Regierung zur Ankurbelung der Privatisierung günstig auf Energieunternehmen und Versorger auswirken. Im Zuge dieses Vorhabens will der Staat seine Unternehmensbeteiligungen reduzieren.
  • Der Euro könnte möglicherweise steigen, da günstigere Rahmenbedingungen für das Wirtschaftswachstum, eine schnellere Restrukturierung der Banken und die politische Stabilität das Vertrauen in die Währungsunion wiederherstellen. Erwartungen hinsichtlich des Auslaufens der durch die EZB betriebenen quantitativen Lockerung könnten dazu führen, dass der Euro einen Grossteil des Wertes zurückgewinnt, den er zuvor gegenüber dem US-Dollar und anderen Währungen verloren hatte. Das als sicherer Hafen betrachtete Gold dürfte voraussichtlich positiv auf dieses Umfeld reagieren.
  • Europäische Small-Cap-Werte sollten längerfristig von der optimistischen Stimmung unter den Anlegern und von risikobetonten Positionierungen rund um das von der Binnennachfrage getriebene Wachstum in Europa profitieren.

Asset-Allokation: „Nein“-Votum = pessimistisches Szenario für italienische Anlageklassen und den Euro

  • Die Spreads italienischer Staatsanleihen dürften sich gegenüber Bundesanleihen ausweiten, da ein durch politische Themen aufgeladenes Umfeld keinen Raum für eine restriktive Haushaltspolitik lässt. Die Ratingagenturen könnten eine Herabstufung italienischer Staatsanleihen in Erwägung ziehen, wenn eine Ausgabenpolitik mit Ausweitung des Haushaltsdefizits nicht von Strukturreformen begleitet ist.
  • Eine Eintrübung der Stimmung gegenüber italienischen Staatsanleihen würde sich anfänglich auch negativ auf die Banken auswirken, da diese voraussichtlich im Handelsbuch Verluste verbuchen müssten und sich die Bedingungen für die Aufnahme von Interbanken-Darlehen selbst bei einer Erhöhung ihrer eigenen Fremdfinanzierungskosten verschlechtern dürften.
  • Italienische Industriewerte könnten darunter leiden, dass die Regierung angesichts der in Bezug auf Risiken eingetrübten Stimmung die Veräusserung ihrer Beteiligungen zunächst verschiebt. In strategischen Sektoren könnte es aufgrund der Regierungsbildung durch populistische, eher links geprägte Parteien in grösserem Umfang zu staatlichen Interventionen kommen.
  • In Bezug auf den Euro dürften sich die Stimmungsindikatoren wegen der politischen Instabilität in Italien kurzfristig eintrüben. Längerfristig dürfte dies auch zu Spekulationen über einen Austritt Italiens aus dem Euro-Raum führen, sofern eine euroskeptische Regierung eine Volksabstimmung über den Euro durchdrückt. Eine expansive Geld-und Fiskalpolitik führt anfänglich voraussichtlich zu einer weiteren Schwächung. In der Folge dürften für die Banken und die Realwirtschaft dann stabilisierende Faktoren zum Tragen kommen.
  • Längerfristig sollten europäische Exportwerte von einer Abwertung des Euro profitieren, sofern diese kontrolliert abläuft und nicht unmittelbar zu einer risikoaversen Positionierung der Anleger führt. Die Wahrscheinlichkeit einer hohen Volatilität des Euro dürfte ausländische Investoren dazu veranlassen, Positionen in Europa einzugehen, um damit möglicherweise ihre Aktienengagements abzusichern. Der Finanzsektor dürfte in diesem Zusammenhang dagegen eine Untergewichtung anstreben.

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