Peter Junker, Präsident NOMA-HILFE-SCHWEIZ, im Interview

Peter Junker, Präsident NOMA-HILFE-SCHWEIZ, im Interview
Peter Junker, Präsident NOMA-HILFE-SCHWEIZ. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Junker, Noma wird als «vergessene Krankheit» bezeichnet und ist auch in der Schweiz wenig bekannt. Um was für eine Krankheit handelt es sich?

Peter Junker: Noma ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die Kindern mit geschwächtem Immunsystem innerhalb eines Monats das Gesicht zersetzen kann. Wegen der schweren Infektion platzen die Blutgefässe im Gesicht, das Gewebe wird nicht mehr durchblutet und stirbt ab.

Wo liegen die Ursachen der Krankheit?

Einfach gesagt: Hunger und Armut. Genau gesagt entsteht Noma nach Verletzungen der Mundschleimhaut und trifft Kinder unter sechs Jahren, die schwer unterernährt sind und an anderen Krankheiten und/oder Parasiten leiden. Aberglauben, fehlende medizinische Hilfe und keine verfügbare Transportmittel verunmöglichen meist eine sofortige Behandlung, um die Infektionen zu stoppen, bevor Gewebeschäden auftreten.

Wie viele Kinder sind betroffen, und in welchen Gebieten der Erde hauptsächlich?

Gemäss WHO-Zahlen sind jedes Jahr circa 100’000 Kinder betroffen, wovon gegen 80% sterben. Noma kommt heutzutage nur noch in der Subsahara vor.

Wie wird Noma behandelt und was passiert, wenn die Krankheit nicht behandelt werden kann?

«Frische Noma» kann nicht behandelt werden: zuerst muss das Kind mit Vitaminen, Mineralstoffen und Proteinen aufgepäppelt und die Entzündungen mit Spülungen und Antibiotika gestoppt werden. Danach sind nur noch Therapien und plastisch-rekonstruktive Operationen möglich. Letzteres ist nicht realistisch für die arme Wüstenbevölkerung.

«Ausgestossen von der Gesellschaft dürfen Noma-Kinder oft nicht zur Schule gehen und nicht mit anderen Kindern spielen, werden versteckt oder als Verdingkinder weggegeben.»
Peter Junker, Präsident NOMA-HILFE-SCHWEIZ

Was hat die Krankheit über die Zerstörung von Gewebe im Gesichtsbereich hinaus für Folgen für die Kinder und deren Umfeld?

Werden die vom Noma-Schub entstandenen Vernarbungen nicht behandelt, bleibt eine lebenslange Behinderung (Essen, Sprechen, Atmen, etc.) und oft auch Einsamkeit. Ausgestossen von der Gesellschaft dürfen Noma-Kinder oft nicht zur Schule gehen und nicht mit anderen Kindern spielen, werden versteckt oder als Verdingkinder weggegeben. Mädchen müssen oft frühe Zweck-Ehen mit alten polygamen Männern eingehen.

Noma-Hilfe-Schweiz setzt sich für die Verhinderung, Linderung und Beseitigung von Noma ein. Worauf legen Sie dabei den Fokus, welche Tätigkeiten werden unterstützt?

Wir legen den Fokus auf Prävention und rekonstruktive Chirurgie. Präventionsaktionen in Dörfern (mit Zahnkontrollen) fördern das Bewusstsein für Noma, beseitigen den Aberglauben und dienen auch zur Früherkennung möglicher Noma-Fälle bzw. Noma-gefährdeter Kinder. Chirurgie bedeutet für das operierte Kind und dessen Umfeld, dass ein «normaleres» Leben möglich wird (Schulbesuch, Spielkameraden, Teilnahme an Festen) und kein Fluch mehr auf dem Kind oder der Familie lastet. Operierte Kinder sind für misstrauische Patriarchen und Geistheiler meist der einzige akzeptierte Beweis, dass Noma heilbar und keine göttliche Verdammung ist.

Noma
(Foto: zvg)

Im November / Dezember sind zwei Teams aus der Ostschweiz in plastisch-chirurgischer Mission nach Burkina Faso gereist. Wie engagiert sich die Noma-Hilfe-Schweiz in entsprechenden Freiwilligen-Aktionen?

Wir suchen und motivieren Organisationen und Einzelpersonen, die solche chirurgische Missionen durchführen können und vermitteln dann Einsatzorte und Patienten. Als Nichtmediziner unterstützen wir den Einsatz der Mediziner von der Schweiz aus finanziell, administrativ, logistisch und reisetechnisch.

«Operierte Kinder sind für misstrauische Patriarchen und Geistheiler meist der einzige akzeptierte Beweis, dass Noma heilbar und keine göttliche Verdammung ist.»

Was können Sie uns zur Entstehungsgeschichte der Noma-Hilfe-Schweiz und zum Engagement von Bertrand Piccard erzählen?

2005 geriet einer unserer Freunde beim Besuch einer Leprastation durch Zufall in das Noma-Kinderspital in Sokoto (Nigeria), wo er mit dieser «vergessenen Krankheit» konfrontiert wurde. Gemeinsam mit Freunden – hauptsächlich aus Fussballerkreisen – wurde im Juli 2005 NOMA-HILFE-SCHWEIZ gegründet: ein nicht Gewinn orientierter, politisch und konfessionell neutraler, steuerbefreiter Verein. An Bord war von Anfang an Dr. med. Bertrand Piccard, der mit seiner Stiftung Winds of Hope bereits 1999 den Kampf gegen Noma aufgenommen hatte und 2003 die Internationale NoNoma Föderation gründete, der unser Verein gleich nach Gründung beitrat. Piccard war zum Auftakt Mitglied unseres Vorstands, heute ist er als Patronats-Chef unsere Gallionsfigur und moralische Instanz.

Was konnte seit der Gründung des Vereins vor über 10 Jahren erreicht werden?

Zusammen mit Interplast-Switzerland organisierten wir zwei chirurgische Einsätze in Guinea-Bissau und mit CHEIRA deren drei in Ouahigouya, Burkina Faso. Früher, als die Sicherheitslage besser war, finanzierten wir mehrere chirurgische Einsätze in Sokoto, Bamako und Ouagadougou, die von französischen, deutschen, niederländischen und britischen Teams der Internationalen NoNoma-Föderation durchgeführt wurden. In Burkina Faso führen wir mit der NGO Radio Voix du Paysan Präventions- und Sensibilisierungs-Aktionen durch, in Niger und Burkina Faso mit der Schweizer NGO Sentinelles und in Mali mit der NGO Au Fil de la Vie. Unser Verein hat des weiteren zusammen mit deutschen NGOs ein Noma-Kinderspital in Guinea-Bissau mitfinanziert und finanzielle Anschubhilfe geleistet für die Organisationen PhysioNoma, Centre Nopoko, AVEC Mali-Jura, Interplast-Switzerland und Cheira. Last but not least haben wir für afrikanische Partner europäische Gönner gefunden und Partnerschaften vermittelt, z.B. für Trinkwasseraufbereitung in der neuen Maternite/Neonatologie von Ouahigouya.

Der steuerbefreite Verein NOMA-HILFE-SCHWEIZ hat heute die Unterstützung von etwa 500 spendenden Privatpersonen und Institutionen sowie ein Netzwerk von ca. 50 freiwilligen Medizinern in der Schweiz und europaweit.

Woher rührt Ihr persönliches Engagement?

Als ein auch nur einigermassen sensibler Mensch können Sie diese Bilder der entstellten Kindergesichter doch nicht einfach ignorieren. Viele von uns sind selber Väter und Mütter – und stellen Sie sich vor, eines davon wäre eines ihrer eigenen Kinder! Zudem finden wir vorbildliche Beispiele in unseren Ärzten des Vereins Cheira. Sie reisen in ein Krisengebiet, wo vor einem knappen Jahr noch ex-Postchef Jean Noël Rey von Terroristen ermordet worden ist. Sie tun das freiwillig, unentgeltlich, opfern ihre Freizeit, ihre Ferien und sind darüber hinaus unheimlich engagiert. Wenn solche Menschen keine Vorbilder sind – wer denn sonst? Wir ziehen den Hut vor ihnen und wollen gemeinsam das Ziel erreichen, Noma, die Schande des 3. Jahrtausends, wirkungsvoll zu bekämpfen.

«Als ein auch nur einigermassen sensibler Mensch können Sie diese Bilder der entstellten Kindergesichter doch nicht einfach ignorieren.»

Noma
Vor und nach einer rekonstruktiven Operation. (Foto: zvg)

Vor Behandlungsmöglichkeiten mit Penicillin trat die Krankheit auch in Europa auf. Heute ist Noma wenig bekannt, wurde aus dem Bewusstsein verdrängt oder ist zumindest in Vergessenheit geraten. Hat dies auch mit dem Krankheitsbild zu tun?

Noma grassiert als Armutskrankheit in öden, verlassenen Gegenden Afrikas, die niemanden interessieren – weder die eigenen Regierungen, noch die vielen NGO’s, und schon gar nicht die 1. Welt. Zudem können und wollen sehr viele Menschen nicht hinsehen, ertragen solche hässlichen Bilder nicht. Noma in Europa gab es übrigens zuletzt in Deutschland zum Ende des 2. Weltkriegs, als die Alliierten deutsche Städte in Grund und Boden bombten.

Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?

Spenden, Spenden und nochmals Spenden! Wir können eine hervorragende Sozialbilanz vorweisen, weil alle Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig sind und wir nur eine kleine, kostengünstige Geschäftsstelle haben. Von unserem Verständnis her gehört möglichst jeder Spenden-Franken nach Afrika. Daher verzichten wir unter anderem ganz bewusst auf teure Medien- und vor allem TV-Werbung. Dies vor allem darum, weil wir wissen, dass unsere Spenderinnen und Spender das von uns so und nicht anders erwarten.

Gerade eben sind unsere Ärzte, Pflegerinnen und Helfer von Burkina Faso wohlbehalten in die Schweiz zurück gekehrt. Sie dienen uns als Vorbild für selbstlosen Einsatz.

Herr Junker, wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview.

Spenden für die NOMA-HILFE-SCHWEIZ

Zur Person:
Peter Junker
Geboren 1943, wohnhaft in Egg ZH, aufgewachsen in Winterthur.
16 Jahre Personalchef in grösseren schweizerischen Unternehmen.
14 Jahre Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz mit Schwerpunkten Organisationsentwicklung, Führung, Kommunikation, Konfliktmanagement.
Dozent am KV Zürich Business School; Prüfungsexperte LAP Deutsch

Über den Verein:
Der Verein NOMA-HILFE-SCHWEIZ wurde im Juli 2005 in Küsnacht (Zürich) offiziell gegründet, im September 2005 in der Internationalen NoNoma Föderation aufgenommen und im April 2007 vom Kantonalen Steueramt des Kantons Zürich als gemeinnützige Organisation anerkannt und als steuerbefreit erklärt. Spenden an NOMA-HILFE-SCHWEIZ sind somit in allen Kantonen der Schweiz von den Steuern abzugsberechtigt.

NOMA-HILFE-SCHWEIZ

Noma
Noma-Sensibilisierungsaktion in einem Dorf. (Foto: zvg)

Noma

Nur die wenigsten Noma-Kinder haben das grosse Glück, von europäischen Chirurgen gratis eine Wiederherstellung der Kau- und Sprech-Funktionen bzw. des eigenen Gesichts zu erhalten. (Foto: zvg)

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