Mehrheit der Jugendlichen lehnt Extremismus ab

Mehrheit der Jugendlichen lehnt Extremismus ab
56 Prozent der Zürcher Jugendlichen lehnen extremistische Einstellungen stark ab. (Bild: ©Allkindza / iStock)

Paris, Nizza, Berlin: Gewaltbereite Personen haben diese Städte mit ihren terroristischen Akten erschüttert. Mehrere aktuelle Studien haben das Leben terroristischer Akteure untersucht und versucht, Persönlichkeitsmerkmale oder Lebensereignisse zu identifizieren. Wie stark sind extremistische Einstellungen unter Jugendlichen in der Schweiz verbreitet? Im Rahmen einer Langzeitstudie zur Entwicklung von Gewalt, Delinquenz und anderem Problemverhalten wurden 17-Jährige Stadtzürcherinnen und -zürcher zu gewaltbereiten extremistischen Einstellungen (GEE) befragt.

Vier Prozent befürworten gewaltbereite extremistische Einstellungen stark
Die Resultate der kriminologischen Jugendforscher der Universitäten Zürich und Cambridge belegen: Vier Prozent der über 1’300 Befragten befürworten GEE stark. Ihnen gegenüber stehen 56 Prozent der Jugendlichen, die GEE stark ablehnen und rund 40 Prozent im Mittelfeld, die gewaltbereite extremistische Einstellungen mehrheitlich ablehnen. Dabei zeigt sich ein grosser Unterschied in Bezug auf das Geschlecht: 16 Prozent der Jungen sind mit mindestens einer der vier Formen (siehe Kasten) von GEE «völlig einverstanden», gegenüber nur 5 Prozent der Mädchen.

Gleiche Risikofaktoren wie bei gewalttätigen Jugendlichen  
Eine gewaltbereite extremistische Einstellung äussert sich insbesondere bei jungen Menschen, die Gewalt allgemein als gerechtfertigt betrachten, die wenig Respekt vor Rechtsstaatlichkeit haben, die aggressive Männlichkeitsbilder in sich tragen, die wenig selbstbeherrscht sind und zu Gewaltfantasien neigen. «Diese psychologischen Risikofaktoren sind genau jene, die auch aggressive und delinquente Jugendliche auszeichnen», erklärt Denis Ribeaud, wissenschaftlicher Projektleiter am Jacobs Center for Productive Youth Development der Universität Zürich. Wie die Forschenden herausgefunden haben, tendieren die Befürworter von gewaltbereiten extremistischen Einstellungen selbst zu Gewalt und anderem Problemverhalten.

Bildung, Milieu und instabiles Herkunftsland spielen mit
Darüber hinaus sind gewaltbereite extremistische Einstellungen unter Jugendlichen mit einem tiefen Bildungsabschluss und aus sozial benachteiligten Milieus etwas häufiger verbreitet. Ebenso zeigen sich konfessionelle Unterschiede. Hinduistische, muslimische und christlich-orthodoxe Jugendliche befürworten GEE durchschnittlich stärker als konfessionslose, protestantische und römisch-katholische Befragte. Die Unterschiede nach Konfession erklärt Manuel Eisner, Professor an der Universität Cambridge, so: «Die Eltern von hinduistischen, muslimischen und christlich-orthodoxen Jugendlichen stammen überdurchschnittlich oft aus Staaten, die durch Bürgerkriege, ethnische Konflikte und instabile Regierungen geprägt sind. Diese Merkmale prägen die Entstehung von gewaltbereiten extremistischen Einstellungen stärker als konfessionelle Zugehörigkeit.»

Schwache Tendenz zu GEE bei elterlichem Desinteresse   
Gewaltbereite extremistische Einstellungen sind mit Erziehungsaspekten verknüpft – wenn auch schwach. Jugendliche, deren Eltern sich wenig für sie interessieren, und – nur bei Jungen – Jugendliche, die von ihren Eltern körperlich bestraft werden, neigen eher zu GEE. «Besonders bei Männern scheinen eine fehlende vertrauensvolle Beziehung zu Eltern und Lehrpersonen sowie ein liebloser und durch Prügelstrafen charakterisierter Erziehungsstil in der Kindheit mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von gewaltbereiten extremistischen Einstellungen einher zu gehen», sagt Manuel Eisner.

Die wichtigste Zielgruppe für präventive Massnahmen sind gemäss der Forscher männliche Jugendliche in tieferen Bildungsstufen, mit einem Migrationshintergrund aus einem instabilen Land. «Unter diesen jungen Menschen sind diejenigen mit einer von Aggression und Delinquenz geprägten Vorgeschichte besonders gefährdet», resümiert Eisner. Präventionsstrategien sollten sich deshalb auf Überzeugungen konzentrieren, die junge Menschen dazu verleiten, Gewalt gegen andere Menschen zu rechtfertigen.

Die Studie «z-proso»
Das Zürcher Projekt zur sozialen Entwicklung von der Kindheit ins Erwachsenenalter (z-proso) ist eine Langzeitstudie zur lebensgeschichtlichen Entwicklung von Gewalt, Delinquenz und anderem Problemverhalten. An der Studie nimmt eine repräsentative Stichprobe von rund 1’300 jungen Menschen teil, die 2004 in der Stadt Zürich eingeschult worden sind. Bisher wurden 7 umfassende Erhebungen im Alter von 7 bis 17 durchgeführt. Auch nach über 10 Jahren nahmen noch 84% der ursprünglich Befragten an der Studie teil. (Universität Zürich/mc/ps)

Messung der gewaltbereiten extremistischen Einstellung
Das Forscherteam hat zur Befragung der Jugendlichen vier Aussagen entwickelt. Diese wurden so formuliert, dass sie Gewaltausübung als politisches Mittel darstellen, unabhängig spezifischer rechter, linker oder religiöser Ideologien. Worte wie «Terrorismus» oder «Radikalismus» wurden vermieden. Jede Aussage wurde so formuliert, dass sie Gewalthandeln darstellt – als eine mögliche Reaktion auf Ungerechtigkeiten oder als Möglichkeit, seine Überzeugungen und Werte zu verteidigen oder für eine bessere Welt einzustehen. Die folgenden Aussagen mussten auf einer Skala von «stimmt (für mich persönlich) gar nicht» bis «stimmt (für mich persönlich) völlig» bewertet werden:

  • Es ist manchmal nötig, Gewalt anzuwenden, um gegen Dinge zu kämpfen, die sehr ungerecht sind.
  • Manchmal müssen Menschen zu Gewalt greifen, um ihre Werte, Überzeugungen oder ihren Glauben zu verteidigen.
  • Es ist in Ordnung, Gruppen zu unterstützen, die mit Gewalt gegen Ungerechtigkeiten kämpfen.
  • Es ist manchmal nötig, mit Gewalt, Anschlägen oder Entführungen für eine bessere Welt zu kämpfen.

Die Studie ist am Jacobs Center for Productive Youth Development der Universität Zürich angesiedelt. Sie wird von Prof. Manuel Eisner (Universität Cambridge) geleitet in Zusammenarbeit mit Prof. Michael Shanahan und Dr. Denis Ribeaud (beide UZH). Die Studie wurde bisher hauptsächlich vom Schweizerischen Nationalfonds und von der Jacobs Foundation finanziell unterstützt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert