EY Studie: Vertrauen und Digitalisierung in der Finanzdienstleistungsbranche

EY Studie: Vertrauen und Digitalisierung in der Finanzdienstleistungsbranche
Bernhard Schneider, Senior Manager, Insurance Strategy and Customer von EY Schweiz. (Foto: EY)

Zürich – Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter in der Schweiz befinden sich seit geraumer Zeit im Spannungsfeld zwischen Kostendruck einerseits und Investitionen in ihre Digitalisierung andererseits. Sie schliessen Filialen und organisieren Aussendienstorganisationen neu. Sie sehen sich neuen Marktteilnehmern gegenüber, die ihnen oftmals bezüglich Kundenzentriertheit einen Schritt voraus sind. Die Branche leidet immer noch unter dem, während der Finanzkrise erlittenen, hohen Vertrauensverlust. Vor diesem Hintergrund hat EY in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen (HSG) eine experimentelle Studie zur Vertrauensbildung für Finanzdienstleister – bei vermehrtem Einsatz digitaler Kanäle – durchgeführt. Das Ergebnis: Der persönliche Kundenkontakt spielt weiterhin eine zentrale Rolle für die Vertrauensbildung bei Kunden in der Schweiz.

Laut dem Modell von EY und der HSG sind die Haupttreiber des Vertrauensaufbaus in digitalen Kundenprozessen in der Finanzdienstleistung die vom Kunden wahrgenommene Kompetenz und Transparenz eines Unternehmens, niedrige Zugangshürden sowie der Aufbau einer Beziehung zum Kunden. So ist bei Organisationen, welche die Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme bieten, das Vertrauen um bis zu 34 Prozent höher als bei Organisationen, die diese Möglichkeit nicht bieten. Vor allem in der Nutzungsphase, d.h. nach dem Erwerb einer Finanzdienstleitung, ist die Vertrauensbildung mittels persönlichem Kontakt doppelt so hoch wie in der Kaufphase. Umgekehrt kann man feststellen, dass bis zu 22 Prozent des Vertrauens verloren gehen, wenn etablierte Finanzdienstleister den persönlichen Kontakt in der Nutzungsphase abbauen und «digital only» operieren, so ein warnendes Ergebnis der Studie von EY und der Universität St. Gallen.

«Die Digitalisierung kann zu einer Vertrauenskrise führen, da viele Aktivitäten auf den Kunden verlagert werden und man so den Kontakt zum Kunden verliert», sagt Bernhard Schneider, Senior Manager, Insurance Strategy and Customer von EY Schweiz. «Die Studie zeigt erstmals auf, wie stark das Kundenvertrauen sinkt, wenn auf persönlichen Kontakt verzichtet wird. Dies kann zu erhöhter Kundenabwanderung führen, wenn ein kompetitives Angebot vorhanden ist. Dem müssen die etablierten Finanzdienstleister vorbeugen, indem sie weiterhin durch vertrauensvollen persönlichen Kontakt Kunden an sich binden», sagt Bernhard Schneider.

Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, die Vertrauensbildung auch durch digitale Interaktionen zu unterstützen. Die Studie zeigt unter anderem auf, dass dabei die Relevanz der Inhalte für die Kunden an erster Stelle steht. «Um relevante Inhalte anzubieten, empfehlen wir Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern eine Kombination aus gezielter Personalisierung ihrer Online-Informationsangebote und Kunden-Portale für jeden einzelnen Kunden, beispielsweise über eine dynamische Webseitenoptimierung, sicherzustellen. In einem weiteren Schritt gilt es, diese dort gewonnenen Informationen direkt in das persönliche Gespräch mit dem Berater einfliessen zu lassen. So kann ein Berater gezielte Angebote unterbreiten und das Gespräch auf den Aktivitäten des Kunden aufbauen. So entsteht ein wirklicher Mehrwert für den Kunden», erklärt Bernhard Schneider.

Persönlicher Kontakt funktioniert nicht für alle Kundensegmente
Vor allem in der Kaufphase haben die unterschiedlichen Kunden-Charakteristika einen sehr grossen Einfluss auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit und auf die Strategien, die zu Kundenvertrauen führen beziehungsweise dieses erhalten können.

So bildet der persönliche Kontakt in der Kaufphase bei den nachfolgenden Zielgruppen keinen unbedingten Vorteil. Für Wettbewerber mit rein digitaler Verkaufsstrategie wie Start-ups sind diese Kunden-Gruppen interessanter, da hier die traditionell von persönlichem Kontakt geprägten Vertriebskanäle der etablierten Unternehmen keinen Wettbewerbsvorteil darstellen (Tabelle 1):

  • Kunden, die allgemein ein hohes Vertrauen in Finanzdienstleistungen haben (15%)
  • Kunden mit geringem Interesse an Finanzdienstleistungen (20%)
  • Kunden mit wenig Vermögen (26%)
  • Kunden mit hohem Bildungsniveau (43%)
  • Männer (50%)

In der Nutzungsphase zeigte das Experiment jedoch, dass – unabhängig von den Kundenmerkmalen – ein Mix aus digitalen Kanälen zusammen mit dem Angebot zur persönlichen Interaktion, beispielsweise durch einen Kundenberater in einer Filiale, am stärksten vertrauensbildend wirkt.

«Es ist uns gelungen ein für die Finanzindustrie robustes Modell zur Vertrauensbildung im Zusammenspiel von Kaufprozessphase, Kommunikationskanal, Unternehmenstyp und Kundenmerkmalen zu erstellen. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen zeigt, dass die hohen Vertrauenswerte nur durch die Kombination von digital und persönlich erreicht werden können», erläutert Prof. Dr. Marcus Schögel, Studienleiter der Universität St. Gallen (HSG).

Vertrauensvorschuss vs. Kundennutzen
Traditionelle Unternehmen haben grundsätzlich aufgrund ihres bestehenden Bekanntheitsgrads und ihrer Reputation einen Vertrauensvorschuss gegenüber Start-ups. Sie werden dabei als kompetenter und transparenter wahrgenommen. Dies zeigte sich im Experiment mit einem bis zu neun Prozent höheren Vertrauen im Vergleich zu Start-ups. Allerdings können Start-ups diesen Nachteil massgeblich reduzieren, indem sie eine so genannte hybride Kundenkontaktstrategie verfolgen, die sowohl Online- als auch persönliche Offline-Interaktionsmöglichkeiten abdeckt.

Der Vertrauensvorschuss etablierter Finanzdienstleister gilt aber nicht für alle Kunden. Manche Kundengruppen sehen keinen Unterschied zwischen «traditionellen Unternehmen» und «neuen Wettbewerbern» in Bezug auf ihre Vertrauenswürdigkeit (Tabelle 2).

  • Kunden mit geringem Interesse an Finanzdienstleistungen (20%)
  • Junge Kunden (21%)
  • Kunden mit wenig Vermögen (26%)
  • Kunden mit hohem Bildungsniveau (43%)
  • Männer (50%)

Generell haben Start-ups vor allem dann eine gute Chance, wenn ihre Innovation einen echten Kundenmehrwert bietet und das Unternehmen nicht nur bestehende Leistungen kopiert, und in der Nachkaufphase auch persönlichen Kontakt ermöglicht.

In der vorliegenden Studie werden die aktuellen Bedürfnisse der Schweizer Finanzdienstleistungskunden aufgenommen und analysiert. Unklar bleibt, inwiefern sich das Kundenverhalten mit der technologischen Weiterentwicklung in Zukunft verändern wird. Dabei wird folgende Frage eine zentrale Rolle bei der Festlegung der zukünftigen Strategie von Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern einnehmen: Wird der persönliche Kontakt von künftigen Generationen auch noch wertgeschätzt, oder kann dieser vollständig durch digitale Interaktionen ersetzt werden? (EY/mc/ps)

Über die Studie:
Die Studie «Vertrauen und Digitalisierung in der Finanzdienstleistung» von EY in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen (HSG) untersucht erstmals grundlegend das Verhalten und die Vertrauensbildung von Finanzdienstleistungskunden in der digitalen Welt. Sie untersucht für welche Art von Unternehmen (etabliert vs. Start-up) in welcher Kaufprozessphase (Vorkaufphase oder Nachkaufphase) durch welche Form der Kommunikation (digital oder face-to-face) das höchste Vertrauen erreicht werden kann. Sie entwickelt Empfehlungen für Finanzdienstleister zur Frage, wie Vertrauen und Kundenbeziehung auch im digitalen Zeitalter operationalisiert und sichergestellt werden kann. Umfassende Recherchearbeiten und 12 qualitative Experteninterviews bildeten das wissenschaftliche Fundament, darauf aufbauend wurde das wissenschaftliche Modell zur Vertrauensbildung für Finanzdienstleister entwickelt. Eine quantitative Online-Befragung einer repräsentativen Schweizer Stichprobe, bestehend aus 404 Personen, diente zur Überprüfung des Modells und zur Gewinnung weiterer fundamentaler Erkenntnisse für den Schweizer Finanzdienstleistungsmarkt. Link zur Studie: http://www.ey.com/ch/fs-heartbeat

EY im Überblick
EY ist eines der grossen Schweizer Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen. EY beschäftigt rund 2‘700 Mitarbeitende an 11 Standorten in der Schweiz und in Liechtenstein und erzielte im Geschäftsjahr 2015/2016 einen Umsatz von rund 661 Millionen Franken. Gemeinsam mit den 231‘000 Mitarbeitenden der internationalen EY-Organisation betreut EY Kunden überall auf der Welt. EY bietet sowohl grossen als auch mittelständischen Unternehmen ein umfangreiches Portfolio von Dienstleistungen an: integrierte Transformationsberatung von Strategie bis IT-Architektur, Wirtschaftsprüfung, Transaktions-, Steuer- und Rechtsberatung und People Advisory Services. Dank gut ausgebildeten Mitarbeitenden, starken Teams sowie lokaler Verankerung im Verbund einer gut vernetzten, globalen Organisation, lösen wir die Herausforderungen unserer Kunden. Building a better working world ist EY‘s globales Versprechen, zu einer besser funktionierenden Welt beizutragen.
Zusätzliche Informationen entnehmen Sie bitte folgender Internetseite: http://www.ch.ey.com

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