EY: Big Pharma wächst langsamer und investiert weniger in Forschung

EY: Big Pharma wächst langsamer und investiert weniger in Forschung
Michael Dalla Torre, EY Life Sciences Partner. (Foto: EY)

Zürich – Big Pharma kommt nur schleppend voran: Die 21 grössten Pharma­konzerne weltweit verzeichneten gemäss einer Auswertung von EY bei Umsätzen und Forschungsausgaben Wachstumsrückgänge. Die Analyse der Finanzkennzahlen der Pharmaunternehmen durch das Prüfungs- und Beratungsunternehmen EY zeigt weiter, dass die Pharmakonzerne an ihrer Profitabilität gearbeitet haben.

Sie konnten ihr operatives Ergebnis (EBIT, inklusive Nicht-Pharma-Teile) nach einem Wachstum von 6,1 Prozent im Jahr 2015 im Folgejahr um 6,3 Prozent auf 156,7 Milliarden Euro steigern. Die Profitabilität (EBIT-Marge, Verhältnis Gesamtergebnis zum Gesamtumsatz, inklusive Nicht-Pharma-Teile) ist damit auf 27,0 Prozent gestiegen. Der Umsatz der grössten Firmen kletterte 2016 – bereinigt um Währungseffekte – um 3,1 Prozent auf 445,4 Milliarden Euro. 2015 war er noch um 4,6 Prozent gestiegen.

Noch deutlicher ist der Wachstumsrückgang bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung: Die Unternehmen gaben zusammen 80,7 Milliarden Euro aus. Das waren währungsbereinigt zwar 3,9 Prozent mehr als 2015, damals hatten die Unternehmen jedoch ihre Investitionen gegenüber dem Vorjahr noch um 8,6 Prozent erhöht. Die beiden Schweizer Unternehmen Roche und Novartis gaben im letzten Jahr 7,88 Milliarden beziehungsweise 6,43 Milliarden Euro für Forschung aus und belegen damit in absoluten Zahlen die ersten Ränge.

Wachstumsschwäche trotz neuer Wirkstoffe
Die Produktpipeline wächst dank der hohen Forschungsausgaben vergangener Jahre noch weiterhin zweistellig: Derzeit befinden sich 4‘606 Produkte in der klinischen Entwicklung, der Zulassungsphase oder wurden in den Markt eingeführt. Das sind noch einmal knapp 12 Prozent mehr als im Jahr 2015. Insbesondere die Zahl der eingereichten und damit kurz vor der Markteinführung stehenden Wirkstoffe kletterte deutlich um ein Viertel auf 120 nach oben.

«Big Pharma gelingt es derzeit nicht, genügend neue Wirkstoffe auf den Markt zu bringen, die für deutliche Wachstumsschübe sorgen könnten», kommentiert Gerd Stürz, Partner und Life Sciences Leader EY Schweiz, die Zahlen. Während im Vorjahr noch Währungseinflüsse das Wachstum anschoben, spielten sie 2016 kaum eine Rolle. «Nun wird noch deutlicher, dass Big Pharma ein Wachstumsproblem hat. Die Branche präsentiert sich dabei uneinheitlich: Während einige Unternehmen deutlich wachsen, trüben andere das Gesamtbild. 2016 konnte die Mehrheit zwar Umsatzzuwächse verzeichnen – bei sechs der 21 Unternehmen gingen die Umsätze allerdings zurück.»

US-Konzerne dominieren
Die US-Konzerne entwickelten sich zuletzt positiver als ihre Konkurrenz aus Europa und Japan. Die Top Ten beim durchschnittlichen jährlichen Umsatzwachstum zwischen 2014 und 2016 sind fest in US-amerikanischer Hand, angeführt von Abbvie mit einem Zuwachs von 13,3 Prozent. «Die US-Konzerne dominieren bei der Umsatzentwicklung und auch bei der Marge. Die beiden Schweizer Konzerne sind in den letzten beiden Jahren klar unterdurch­schnittlich gewachsen. Bei der Marge liegt Roche leicht über dem Branchenschnitt, Novartis allerdings darunter. Beide Firmen investieren aber überdurchschnittlich in die Forschung und damit in die Zukunft. Die Dominanz der Biotech-Konzerne beim Wachstum ist 2016 weniger ausgeprägt als im Vorjahr, auch bei den Gewinnen konnten die grossen Biotechunternehmen weniger zulegen als im Vorjahr», sagt Michael Dalla Torre, EY Life Sciences Partner.

Bei der Marge dominieren die beiden US-Biotech-Unternehmen Gilead und Biogen. Sie erreichen Margen von über 50 Prozent. Allerdings schwächte sich die Marge bei Gilead im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab. Das Unternehmen muss zurückgehende Verkäufe bei seinen Hepatitis-C-Präparaten hinnehmen. Die dritthöchste Marge erzielte mit dem dänischen Unternehmen Novo Nordisk ebenfalls eine Biotechfirma.

Unternehmen konzentrieren sich weiter auf Krebswirkstoffe
Die Unternehmen setzen bei der Entwicklung neuer Produkte weiter auf den bisherigen Hauptumsatzträger: Von den in der klinischen Entwicklung befindlichen Wirkstoffen sind 1‘776 potenzielle Krebsmedikamente – das entspricht einem Anteil von 39 Prozent an allen Wirkstoffen. Medikamente gegen Infektionen und zur Behandlung des zentralen Nervensystems folgen mit weitem Abstand auf den Plätzen zwei und drei: Von ihnen sind 513 beziehungsweise 489 in der Entwicklungsphase.

Krebsmedikamente machen inzwischen knapp 29 Prozent aller Medikamentenumsätze der Top-21-Unternehmen aus. Die Umsätze in dem Bereich stiegen von 2015 auf 2016 noch einmal deutlich um 10 Prozent auf 127,9 Milliarden Euro. «Die Krebsforschung hat weitere deutliche Fortschritte gemacht und Wirkstoffe entwickelt, die gezielter auf zellularer Ebene wirken. Die Therapien sind schonender und effizienter. Weil hier noch grosses Potenzial besteht, werden immer mehr Unternehmen in der Onkologie aktiv. Das erhöht den Druck auf die beiden Schweizer Firmen, die in der Onkologie sehr stark sind», sagt Michael Dalla Torre. Zurzeit fliessen gut 30 Prozent der Umsätze mit Krebstherapeutika in die Taschen von Roche, Novartis hat einen Anteil von rund 12 Prozent am Weltmarkt.

Trotz der hohen Anzahl an neuen Wirkstoffen schaffen es die grossen Pharmaunternehmen nicht, ihren Umsatz an die Entwicklung des Gesamtmarktes anzugleichen. «Der hohe Aufwand aus der Forschung zahlt sich häufig am Ende nicht aus. Der Pharmamarkt ist stark reguliert und die Unternehmen sind in der Preisgestaltung eingeschränkt. Manche Medikamente werden von den Kassen nicht erstattet und viele Unternehmen können die erhofften Preise nicht durchsetzen », sagt Michael Dalla Torre. Immerhin hätten die Behörden in jüngster Zeit ihre Zulassungsverfahren etwas beschleunigt. Mittelfristig müssen die Firmen gemäss Michael Dalla Torre mehr in innovative Vergütungsmodelle investieren und enger mit Krankenversicherungen und Leistungserbringern zusammenarbeiten.

Wachstumsdruck führt zu M&A-Rekorden
Big Pharma bräuchte im laufenden Jahr einen Umsatzschub von 100 Milliarden US-Dollar, um mit dem Gesamtmarkt mithalten zu können. «Dieser Wachstumsdruck befeuert den Übernahmemarkt», erläutert Gerd Stürz. «Denn aus eigener Kraft kommen die grossen Pharmaunternehmen nicht auf die nötigen Wachstumszahlen. Wir werden daher auch in den kommenden Jahren einen aktiven Übernahmemarkt erleben. Die Grenze von 200 Milliarden US-Dollar wird die neue Normalität bleiben.»

Bereits in den vergangenen Jahren tätigte die Gesamtbranche gemäss der aktuellen Firepower-Studie von EY Zukäufe von mehr als 200 Milliarden US-Dollar. Die Summe stieg von 227 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014 auf 230 Milliarden US-Dollar 2015 und machte im vergangenen Jahr noch einen deutlichen Sprung nach oben: auf einen neuen Rekordwert von 258 Milliarden US-Dollar. Vor allem Big Biotech verdoppelte zuletzt seine M&A-Ausgaben nahezu von 22 auf 40 Milliarden US-Dollar.

«Neben dem schwachen Umsatzwachstum sorgt auch die laufende Neusortierung der Branche für viel Bewegung auf dem Übernahmemarkt. Die Unternehmen stossen Bereiche ab, die nicht mehr in ihr Portfolio passen. Die Unternehmen kaufen nicht einfach blindlings Umsatz hinzu, sondern schärfen ihre Ausrichtung sehr bewusst», beobachtet Stürz. Zudem hätten sie genügend liquide Mittel zur Verfügung und könnten sich darüber hinaus am Markt günstig Geld für Zukäufe sichern. (EY/mc)

Über die Studie:
Erfasst für die Top21-Analyse sind die umsatzstärksten börsennotierten Pharmaunternehmen sowie Boehringer Ingelheim als global grösstes privates Pharmaunternehmen in Familienhand. Untersucht wurden die Bilanzen der Jahre 2014, 2015 und 2016. Die Gewinnzahlen wurden für alle Unternehmen auf Basis der adjustierten EBITDA-Zahlen berechnet. Alle EBIT-Werte beziehen sich auf das Gesamtgeschäft der jeweiligen Firmen und nicht speziell auf das Pharmageschäft. Dies trifft auch auf die Berechnung der EBIT-Margen zu. Quellen sind Jahresberichte und Medienmitteilungen der Unternehmen, SEC Filings (Kapitalmarktberichte). Weitere Quellen sind in der Präsentation vermerkt.

EY im Überblick
EY ist eines der grossen Schweizer Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen. EY beschäftigt rund 2‘700 Mitarbeitende an 11 Standorten in der Schweiz und in Liechtenstein und erzielte im Geschäftsjahr 2015/2016 einen Umsatz von rund 661 Millionen Franken. Gemeinsam mit den 231‘000 Mitarbeitenden der internationalen EY-Organisation betreut EY Kunden überall auf der Welt. EY bietet sowohl grossen als auch mittelständischen Unternehmen ein umfangreiches Portfolio von Dienstleistungen an: integrierte Transformationsberatung von Strategie bis IT-Architektur, Wirtschaftsprüfung, Transaktions-, Steuer- und Rechtsberatung und People Advisory Services. Dank gut ausgebildeten Mitarbeitenden, starken Teams sowie lokaler Verankerung im Verbund einer gut vernetzten, globalen Organisation, lösen wir die Herausforderungen unserer Kunden. Building a better working world ist EY‘s globales Versprechen, zu einer besser funktionierenden Welt beizutragen.

EY in der Schweiz

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