Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Ich wette dagegen, Frau Yellen

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Ich wette dagegen, Frau Yellen
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Vom berühmten Sommerloch ist gerade wenig zu spüren. Tagaus tagein bestimmt die Politik die Schlagzeilen, sei es mit dem G-20 Gipfel in Hamburg, der Befreiung der irakischen Stadt Mosul oder einem neuen Raketenstart vom besessenen Kim. Auch die Finanzwelt steht natürlich nicht still und bringt immer wieder völlig unvorhergesehene Kursschwankungen hervor, jüngst z.B. die starke Korrektur beim Elektroautohersteller Tesla. Am bemerkenswertesten fand ich in den letzten Wochen aber eine Aussage, bei der man nun wirklich seinen Ohren nicht traut:

«Würde ich sagen, dass es nie wieder eine Finanzkrise geben wird? Nein, das würde wahrscheinlich zu weit gehen. Aber ich denke, dass wir heute viel sicherer sind und ich hoffe und glaube nicht, dass es zu unseren Lebzeiten zu einer weiteren Finanzkrise kommt».

This time is different
Das würde «wahrscheinlich» zu weit gehen, zu erwarten dass es keine Krisen mehr geben wird? Wie bitte, nicht ihr Ernst? Aber sie haben richtig gelesen. Diese Aussage stammt nicht von irgendwem sondern von der amerikanischen Notenbankpräsidentin Janet Yellen. Sie argumentiert mit der Kapitalisierung der Banken, die heute stärker sei als vor der grossen Finanzkrise von 2008. Dieses Mal sei demnach alles ganz anders. Dumm nur, dass sich ähnliche Aussagen und Prognosen eigentlich immer als falsch herausstellen. Das haben die Ökonomen Reinhart und Rogoff in ihrem Bestseller «This time is different» eindrucksvoll gezeigt. Die Feststellung die Banken seien heute besser kapitalisiert, mag zwar stimmen, greift aber viel zu kurz. Und apropos Banken. Eben erst machte die EZB wieder auf den maroden Zustand der europäischen Banken aufmerksam. Dort schlummern bis zu einer Billion angefaulte Kredite.

Fruchtbarer Nährboden für nächste Krise
Finanzkrisen wird es immer geben, solange es Ungleichgewichte im Wirtschaftssystem gibt und sich Anleger herdentriebartig verhalten und zu stark durch Emotionen leiten lassen. In der jüngeren Geschichte hatten wir viel weniger Rezessionen als Finanzkrisen und die Instabilität des ganzen Systems ging meist vom Finanzsektor aus. Aktuell ist der Nährboden für eine zukünftige Finanzkrise sogar besonders fruchtbar. Das liegt an den Marktverzerrungen und Fehlallokationen, für welche die Notenbanker mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik notabene selbst verantwortlich sind.

Die kurze Niedrigzinsphase zu Beginn der 2000er Jahre, welche Spekulationen angefeuert hat, verblasst geradezu im Vergleich zur Geldpolitik des letzten Jahrzehnts mit massiven, zuvor undenkbaren Interventionen am Kapitalmarkt (Stichwort Quantitative Easing) und mit fast zehn Jahren Nullzinsen. Und apropos Ungleichgewichte: Besonders viele davon gibt es in China, wo die Wirtschaft noch immer stark durch Bürokraten gelenkt wird. Denkt Janet Yellen wirklich, dass die US-Banken keinen ernsthaften Schaden nehmen, wenn das Reich der Mitte in Schieflage gerät?

Gier und Angst
Auch Gier und Angst, die beiden Emotionen welche Milliarden von Börsendollars bewegen, werden wieder zur Entstehung von Finanzkrisen beitragen. Herdentriebartiges Verhalten ist menschlich und wird solange zu massiven Marktschwankungen führen, solange wir nicht zu kühl kalkulierenden seelenlosen Robotern geworden sind. Ein aktuelles und eindrückliches Beispiel für überschwängliche Euphorie und panikartige Verkäufe ist die digitale Währung Ethereum, die unter den Krypotwährungen mittlerweile einen ähnlichen hohen Marktanteil erreicht hat wie das bekanntere Bitcoin. Vom 1. Januar dieses Jahres bis Mitte Juni legte der Ethereum-Kurs ohne offensichtliche Erklärung um unglaubliche 5000 % zu, bis schliesslich halbwegs die Vernunft einsetzte und sich der Kurs halbierte. Ich habe Bekannte, die mit der Finanzwelt nichts am Hut haben, aber dennoch in Ethereum investierten, um ja nicht den Goldrausch zu verpassen.

Auch bei Unternehmen, die auf neue Technologien setzen, ist gerade ein Hype im Gang, sogar schon seit Jahren. Viele Tech-Betriebe generieren noch sehr wenig Umsatz, der unglaublichen Kursfantasie tut dies aber keinen Abbruch. Tesla beispielsweise kommt mittlerweile auf praktisch dieselbe Marktkapitalisierung wie General Motors, weist gleichzeitig aber einen 20 Mal geringeren Jahresumsatz aus. Was passiert mit der Branche, wenn sich die hohen Erwartungen nicht erfüllen? Einige Anleger haben sich bereits die Finger verbrannt. Der Instant-Messaging-Dienst Snapchat, über den ich mich schon in dieser Kolumne ausliess, ist diesen Frühling mit viel Brimborium an die Börse gegangen. Der IPO war sogar einer der grössten Überhaupt in der Tech-Branche. Nach vier Monaten Börsenhandel ist das Ergebnis aber vernichtend, der Aktienkurs hat sich halbiert. Auch eine rege M&A Tätigkeit war stets ein Vorbote, dass sich etwas zusammenbraut. So weit wie Frau Yellen, würde ich mich nicht mal heute hinaus lehnen.

Nicht ist anders
Aus welcher Ecke die nächste Finanzkrise kommt, ist nicht einfach zu prognostizieren. Das letzte Mal waren der amerikanische Häusermarkt und das US-Finanzsystem das Epizentrum. Dieses Mal ist es vielleicht Silicon Valley, China oder ein ganz anderer Auslöser. Aber ganz sicher werden dann wieder irgendwo faule Kredite auftauchen. Für mich steht fest: Die extrem lange Niedrigzinspolitik wird nicht ohne Folgen bleiben und die nächste Finanzkrise kommt bestimmt. Gewinne mitnehmen ist kein schlechter Tipp vor einem heissen Sommer.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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