EY: Dying, Surviving or Thriving – Globaler Rückversicherungsmarkt

EY: Dying, Surviving or Thriving – Globaler Rückversicherungsmarkt
Adrian Halter, Reinsurance Leader Schweiz bei EY. (Foto: EY)

Zürich – Das Geschäft der Rückversicherer zeichnet sich seit Jahrzehnten durch Beständigkeit aus und die konservativen Strategien haben sich bewährt. Dies könnte erklären, warum Rückversicherer den langjährigen Status quo kaum hinterfragen, obwohl Anzeichen eines grundlegenden Umbruchs erkennbar sind.

Eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens EY zeigt, dass sich Rückversicherer mit den bisherigen Geschäftsmodellen unaufhaltsam in eine Sackgasse manövrieren. Die Prämien sinken, neue Risiken gewinnen an Bedeutung und die Branche befindet sich in einem radikalen Umbruch. Adrian Halter, Reinsurance Leader Schweiz bei EY, sagt: «Es gibt klare Hinweise, dass die Rückversicherer vor einem langfristigen, strukturellen Wandel stehen und nicht vor einer kurzfristigen Schwankung des Versicherungszyklus.»

Rückläufige Prämien
In der Vergangenheit sassen die Rückversicherer Phasen mit niedrigen Prämien, sogenannten «Soft Markets», aus. Diese waren das Ergebnis geringer Schadenauszahlungen in langen Phasen mit unterdurchschnittlichen Schadenereignissen. Trotz der vorübergehenden Überkapitalisierung und des daraus resultierenden Drucks auf die Prämien vertrauten Rückversicherer darauf, dass grössere Schadenereignisse früher oder später zu höheren Prämien und einer Erholung der Margen führen würden. Diese natürlichen zyklischen Schwankungen zwischen «Hard Market» und «Soft Market» Bedingungen, werden als Versicherungszyklus bezeichnet.

Dass die derzeit angehäuften Kapitalpolster durch ein grösseres Schadenereignis vernichtet werden, scheint zunehmend unwahrscheinlich. Während Hurrikan Andrew Anfang der 1990er-Jahre Schäden in Höhe von 26 Milliarden US-Dollar anrichtete und die Prämien daraufhin nach oben schnellten, hatte das Tohoku-Erdbeben und der Tsunami trotz rekordhoher wirtschaftlicher Schäden von 235 Milliarden US-Dollar nur eine geringe Auswirkung auf die Prämien. «Wir beobachten aktuell, dass der Zyklus infolge der weiter steigenden Kapitalisierung allmählich abflacht und vor allem die Spitzen ausbleiben», sagt Adrian Halter.

Veränderter Kundenstamm der Rückversicherer
Erstversicherer – die Hauptkundengruppe der Rückversicherer – befinden sich in einem radikalen Umbruch. Zum einen sind auch sie mit sinkenden Prämien konfrontiert: Im zweiten Quartal 2017 waren die Prämien seit 17 Quartalen in Folge rückläufig. Zum anderen drängen neue, branchenfremde Mitbewerber mit innovativen Geschäftsmodellen in den Markt. EY geht daher davon aus, dass im wahrscheinlichsten Szenario rund 45 Prozent der Schweizer Erstversicherer bis 2030 aus den gesättigten Märkten verdrängt werden. «Wir erwarten zudem, dass sich in nächster Zeit in anderen Ländern Vergleichbares abspielen wird», so Adrian Halter. «Nie zuvor waren die Rückversicherer mit solch plötzlichen und dramatischen Änderungen bei ihren Kunden konfrontiert.»

Steigende Risiken und grösseres Schadenpotenzial
Bisher irrelevante Risiken wie z.B. die Zwangsmigration gewinnen vermehrt an Bedeutung. Bis 2012 tauchte es nicht unter den 30 bedeutendsten Risiken auf. Allerdings wurde im Jahr 2016 die Zwangsmigration als das weltweit bedeutendste Risiko eingestuft. Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung ist Cybersicherheit, welche aufgrund der steigenden Anzahl der Cyberattacken innerhalb kurzer Zeit in den Fokus rückte.

Neben der veränderten Bedeutung einzelner Risikokategorien gewinnt auch das Schadenausmass im Ereignisfall (sog. Downside-Risiko) rapide an Relevanz für gewisse Risiken. Ein Beispiel ist die Auswirkung des Urbanisierungstrends: Knapp 60 Prozent der Weltbevölkerung werden Prognosen zufolge bis 2030 in urbanen Zentren leben. Solche Megastädte und Ballungsgebiete bergen ein enormes Risikopotenzial. Naturkatastrophen, die auf eine Region begrenzt sind, können massive Sach- und Personenschäden anrichten. Gemäss Tom Schmidt, Cybersecurity Leader Schweiz bei EY, ist die zunehmende Relevanz des Downside-Risikos auch anderswo zu beobachten: «Trends wie Hyperkonnektivität – getrieben durch Industrie 4.0 und Internet of Things – werden das Gefährdungspotential von Unternehmen durch Cyberattacken massgeblich erhöhen.» Er fährt fort: «Rückversicherer zeigen sich jedoch bislang zurückhaltend bei der Neuausrichtung ihrer Portfolios und der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle an die neuen Risiken.»

Einmalige Chance für Branchenumgestaltung
Obwohl sich das Umfeld der Rückversicherungsbranche rasant und grundlegend verändert, verfügt ein Grossteil der Rückversicherer über keine ehrgeizigen Pläne zur Erschliessung neuer Ertragsquellen und zur Generierung profitablen Wachstums. Stattdessen verfolgen sie gemäss der strategischen Analyse von EY «me too»-Strategien. Dennoch erkennt EY vielversprechende Chancen für nachhaltiges und profitables Wachstum, sofern Rückversicherer beispielsweise ihre geografische Reichweite ausdehnen, neue Risiken versichern oder sich in der Wertschöpfungskette neu positionieren.

Laut der Studie bieten speziell Schwellen- und Entwicklungsländer Chancen: Die grossen Lücken in der Versicherungsdeckung, das hohe Wachstum des Bruttoinlandprodukts und die direkt gezeichneten Prämien bieten Rückversicherern attraktive Wachstumschancen. Rückversicherer, welche sich auf Schwellenländer ausrichten, bedienen derzeit nicht nur unbefriedigte Kundenbedürfnisse bei der Risikoabsicherung, sondern stärken ihren Markenwert und binden Kunden mit viel Potenzial an sich. Darüber hinaus unterstützen sie das Wachstum des lokalen Versicherungssektors und der Wirtschaft insgesamt.

Rückversicherer können ihr Leistungsversprechen darüber hinaus differenzieren, indem sie neue Kundenbedürfnisse bei der Risikodeckung miteinbeziehen. Eine Vielzahl komplexer Risiken ist in den letzten Jahren entstanden, die für die Unternehmen schwierig zu bewältigen sind. Dazu gehören wie zuvor beschrieben Cyberbedrohungen. Zwar fehlt es nicht an der Nachfrage nach Versicherungsschutz, doch sind nur 10 Prozent der Unternehmen gegen solche Bedrohungen versichert, weil auf dem Markt keine geeigneten Versicherungsprodukte erhältlich sind. Die Zurückhaltung der Rückversicherer bei der Überbrückung dieses Angebotsdefizits öffnet branchenfremden Akteuren die Tür: Symantec, das die Antivirus-Software Norton vertreibt, hat das brach liegende Potenzial erkannt. Der Softwareanbieter für Internetsicherheit rekrutierte 2015 ein Team von Versicherungsmathematikern, Versicherungsspezialisten und Risikoanalysten und gründete Symantec Cyber Insurance (SCI), ein Unternehmen, das Cyber-Schutz und Versicherungsdeckung aus einer Hand bietet.

Adrian Halter fasst zusammen: «Das Rückversicherungsgeschäft steht vor einer tektonischen Veränderung. Einerseits hält der Margendruck an, andererseits dürfte sich die Wertschöpfungskette für die Risikoübertragung in den nächsten Jahren deutlich verändern. Rückversicherer müssen sich entscheiden, wo und wie sie sich in der neuen Versicherungslandschaft dem Wettbewerb stellen.» (EY/mc)

EY in der Schweiz

Über die Studie
Die dritte von EY publizierte Ausgabe von «Dying, Surviving or Thriving» befasst sich eingehend mit der Rückversicherungsbranche und untersucht die strategischen Wachstumsmöglichkeiten, die sich am Horizont abzeichnen. Die Analysten von EY führten gemeinsam mit Branchenspezialisten eine hypothesengetriebene Analyse diverser Finanzberichte und Anlegerpräsentationen von führenden Rückversicherern, Versicherungsbrokern, Erstversicherern und Fintechs durch, die mit Interviews von Spezialisten und Erkenntnissen aus einer Vielzahl von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsmandaten mit in- und ausländischen Rückversicherern ergänzt wurde. Die Studie zielt darauf ab, ein Bild der aktuellen Marktbedingungen zu zeichnen, eine fundierte Debatte in der Branche anzustossen und dank der faktenbasierten Erkenntnisse zum Nachdenken über die derzeitigen Strategien und Betriebsmodelle anzuregen.

Über die globale EY-Organisation
Die globale EY-Organisation ist eine Marktführerin in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Rechtsberatung sowie in den Advisory Services. Wir fördern mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Dienstleistungen weltweit die Zuversicht und die Vertrauensbildung in die Finanzmärkte und die Volkswirtschaften. Für diese Herausforderung sind wir dank gut ausgebildeter Mitarbeitender, starker Teams sowie ausgezeichneter Dienstleistungen und Kundenbeziehungen bestens gerüstet. Building a better working world: Unser globales Versprechen ist es, gewinnbringend den Fortschritt voranzutreiben – für unsere Mitarbeitenden, unsere Kunden und die Gesellschaft.

Die globale EY-Organisation besteht aus den Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited (EYG). Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen. Ernst & Young Global Limited ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht und erbringt keine Leistungen für Kunden. Die EY-Organisation ist in der Schweiz durch die Ernst & Young AG, Basel, an zehn Standorten sowie in Liechtenstein durch die Ernst & Young AG, Vaduz, vertreten.

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