Hans-Olaf Henkel, Ex-VR-Mitglied Ringier

Hans-Olaf Henkel, Ex-VR-Mitglied Ringier

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel

Von Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch.

payoff im Gespräch mit Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, vormals Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Ex-Verwaltungsratsmitglied bei Ringier, über den Zustand der Eurozone, den deutschen Mittelstand und stabile Anlageziele.

payoff: Herr Henkel, in Ihrem jüngsten Buch sprechen Sie von unsinnigen Rettungspaketen und Täuschungen. Was konkret wurde verschleiert?

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel: Die Wahrheit über die Folgen dieser Politik, sowohl für den Süden als auch für den Norden, wird systematisch verschleiert. Der Euro ist inzwischen viel zu schwer für den Süden – einschliesslich für Frankreich –, mit der Folge, dass deren Produkte und Dienstleistungen auf den Weltmärkten kaum noch abzusetzen sind. Deshalb bleibt dort Wachstum aus, die Arbeitslosigkeit hat dort inzwischen eine Rekordhöhe erreicht, die Schulden steigen in allen Südländern der Eurozone weiter an. Auf der anderen Seite ist der Euro zu leicht für den Norden geworden. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel die deutsche Exportindustrie floriert, sich die deutschen Sparer und Rentner zunehmend Gedanken über die Inflation machen müssen, die jetzt schon höher ist als deren Zinseinkommen.

«Der Euro ist inzwischen viel zu schwer für den Süden.»

Hätte ein Bankrott diverser Peripheriestaaten nicht auch ein Loch in die deutschen Vorsorgeeinrichtungen gerissen?

Sicher, das aber erst, nachdem im Mai 2010 Kanzlerin Merkel auf französischen Druck die sogenannte «No-Bail-Out-Klausel» kippte, die eine finanzielle Unterstützung anderer Eurostaaten explizit untersagt hätte. Damit hat sie die entscheidende Brandmauer zwischen dem deutschen Steuerzahler und ausgabefreudigen Politikern im Süden eingerissen. Seitdem ist ein Ausstieg eines oder mehrerer Südländer mit hohen Kosten auch für die Deutschen verbunden.

Der Euro ist demnach zur alternativlosen Schicksalsgemeinschaft geworden?

Nein, ich setze mich für den umgekehrten Weg ein: Die Deutschen sollen den Einheitseuro verlassen, um zusammen mit den Österreichern, Holländern und Finnen einen eigenen Euro zu begründen. Das hätte für die im Euro verbleibenden Länder den Vorteil einer Abwertung, und damit könnten sie wieder wettbewerbsfähiger werden. In einer Einheitswährung ist ihnen diese Möglichkeit verbaut. Für den Norden wäre damit eine Aufwertung verbunden, weniger Exporte, aber auch weniger Sorgen über die Inflation.

Aus Schweizer Perspektive scheint der Euro lange Zeit eine Art Exportförderung der deutschen Industrie gewesen zu sein?

Das ist die einzig richtige Sichtweise. Der aus deutscher Sicht unterbewertete Euro macht deutsche Exporte zu billig. Ich halte das nicht nur für eine versteckte Exportförderung, es ist auch unmoralisch, wenn für die im Süden erscheinenden finanziellen Folgen dieser Förderung der deutsche Steuerzahler aufkommen muss.

Schwelgt man eigentlich noch immer in Erinnerungen an die stabile D-Mark?

Nein, eine Mehrheit der Deutschen findet es prima, bei Reisen nach Spanien, Frankreich oder Italien kein Geld mehr umtauschen zu müssen. Allerdings lehnt eine überwältigende Mehrheit der Deutschen die Rettungsaktionen für andere Länder zulasten deutscher Risiken strikt ab. Die politisch korrekte Elite in meinem Land hat es geschafft, das ganze Land in eine Art schizophrenen Zustand zu versetzen: Man will den Euro, ihn aber nicht retten!

Am 22. September ist in Deutschland gewählt worden. Welche Themen müssen danach mit höchster Priorität angepackt werden?

Die Bundesregierung müsste sich mit Frankreich darauf einigen, dass der Euro nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gescheitert ist. Er sorgt zunehmend für Zwist und Zwietracht. Von den zehn Nichteuroländern in der EU will nur noch die rumänische Bevölkerung den Euro haben. Schlimmer noch: Der Graben zwischen den Euro- und den Nichteuroländern wird immer breiter. Grossbritannien droht nun sogar mit dem Ausstieg aus der EU. Deshalb ist es an der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Währung den Kulturen der Länder entspricht, anstatt diese Kulturen weiterhin den Bedürfnissen einer Einheitswährung unterzuordnen. Frankreich sollte den Euro à la française weiterführen dürfen, die Nordländer sollten ihren eigenen Euro nach dem Muster des ursprünglichen Vertrages von Maastricht auflegen dürfen.

Die Nordeuro-Idee klingt sehr konspirativ…

Ich weiss aus vielen Gesprächen in diesen Ländern, dass Dänemark, Schweden, Tschechien und Polen schnell beim Nordeuro dabei wären. Man hätte am Schluss sogar weniger Währungen in der EU als vorher. Und, wer weiss, vielleicht in einigen Dekaden, wenn sich die Verhältnisse wirklich angeglichen haben, könnte man ja wieder zusammenkommen.

«Ich weiss aus vielen Gesprächen, dass Dänemark, Schweden, Tschechien und Polen schnell beim Nordeuro dabei wären.»

Blicken wir auf Deutschland. In welchem Zustand sehen Sie den Mittelstand?

Er ist immer noch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, aber gerät zunehmend unter Druck. Grosse Firmen können relativ leicht Standorte ins Ausland verlagern, das geht bei vielen Mittelständlern nicht. Wenn die ersten grösseren Summen für weitere Eurorettungsaktionen für Südländer fällig werden, wird es über höhere Steuern, Abgaben und eine steigende Inflation schnell vor allem den deutschen Mittelstand treffen.

Gibt es Branchen, die Sie besonders zukunftsfähig und attraktiv halten?

Klar! Vor allem solche Firmen, deren Märkte ausserhalb der Eurozone liegen, halte ich für attraktiv. Die Eurozone selbst wird wegen zahlreicher Nebenwirkungen der Rettungsaktionen für den Euro, die ich in meinem Buch beschrieben habe, im globalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Welche Einschätzung haben Sie zur geplanten Freihandelszone mit den USA?

Ich hatte mich schon in den 1990er-Jahren für die «TAFTA» (Trans-Atlantic-Free-Trade-Agreement) eingesetzt und begrüsse es sehr, dass dieses Projekt unter einem neuen Namen wieder aufgesetzt wird. Es hat jetzt auch eine strategische Komponente, die wir damals noch nicht so gesehen haben, denn es würde ein starkes Gegengewicht gegen ein zunehmend dominantes China entstehen. Eine solche Allianz der Regionen, die sich zu Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechten bekennen, kann einmal von grossem Wert für Europa sein, zumal auch Russland zunehmend autoritär regiert wird. Die eigentlich grosse Frage ist, ob Frankreich an der privilegierten Stellung der Landwirtschaft festhält oder nicht.

Welchen Währungen oder Anlagen trauen Sie eine besondere Stabilität zu?

Ich gebe grundsätzlich keine Ratschläge, wie man sein Geld anlegen soll. Aber ich verrate gern, was ich mache. Angesichts der für mich feststehenden Tatsache, dass wir im Euroraum mit zunehmender Inflation rechnen müssen, die das Zinsniveau ja jetzt schon überschreitet, verschulde ich mich heute günstig und lege dafür Geld in gute Immobilien an. Aktien kaufe ich mir von solchen Firmen, die eine geringe Abhängigkeit vom Euroraum haben, dazu gehören natürlich auch gut geführte deutsche Firmen wie Bayer, Daimler und Lanxess. Und einen grossen Teil meines Bargeldes habe ich schon vor einiger Zeit in Norwegen, den USA und vor allem bei der Graubündner Kantonalbank in Sicherheit gebracht.

Herzlichen dank für das Interview.

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