Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Ein mieser Sommer

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Ein mieser Sommer

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – So richtig Ferienstimmung wollte auf Grund des wechselhaften und wenig sommerlichen Wetters in der Schweiz nicht aufkommen. Und auch an den weltweiten Börsen verhageln Gewitter den Sommer und bremsten in den letzten Tagen die weltweite Euphorie, die noch bis vor kurzem, wenn auch verhaltener als auch schon, dominiert hatte. Beinahe jeder wusste, dass die Aktienmärkte hoch bewertet sind, die Politik des billigen Geldes bald einmal ein Ende haben würde und der Konjunkturfrühling in Europa ein bescheidener war, um allzu grosse Hoffnungen zu wecken. Höchstens den USA traute man zu, die konjunkturelle Wende nachhaltig bewältigt zu haben, Japan indes nicht viel mehr als Europa.

Trotz dieser ungünstigen Vorzeichen und absehbar zunehmender geopolitischer Unsicherheiten behielten die Bullen an den Märkten Oberwasser. Als die EZB im späten Frühjahr klar machte, dass sie sich vom globalen – sprich amerikanischen Zinstrend abkoppeln würde, wurden die europäischen Börsen und die Bondmärkte noch mal kräftig hochgezogen. Der deutsche Aktienindex DAX überschritt Anfang Juni die 10’000er Marke, es herrschte Bombenstimmung in Folge des von EZB-Chef Draghi inszenierten geldpolitischen Überschwangs. Und doch macht sich nun Ernüchterung breit, die längst fällige Annäherung an die Realität hat begonnen.

Nervosität kann umschlagen
Die meisten Börsenindizes liegen inzwischen wieder unter oder in der Nähe ihrer Werte zu Beginn des Jahres. Die Volatilität hat wieder zugenommen und mit ihr auch die Angst vor mehr als nur einer Korrektur. Die Ingredienzen, welche die Korrektur eingeleitet haben, schwelen schon länger im Untergrund, kommen nun aber kaskadenartig zum Vorschein. Aus der Annektierung der Krim Anfang Jahr ist mittlerweile ein militärischer Konflikt geworden, der einen handfesten Wirtschaftskrieg ausgelöst hat, mit ungewissem Ausgang und gehörigem Eskalationspotenzial. Im Irak und Syrien versuchen extreme Islamisten einen radikalen Gottesstaat zu errichten, was die Amerikaner nun zu verhindern versuchen. In vielen arabischen und (nord)afrikanischen Ländern tobt unterschwellig oder offen der Bürgerkrieg und Israel sieht sich gezwungen, mit harten Mitteln den Hamas im Gazastreifen Einhalt zu gebieten, das die atomare Bedrohung durch Syrien auf der Agenda Israels mittlerweile verdrängt hat. Allein dieser nicht mal vollständige geopolitische Cocktail wird zusehend unverdaulich. Und auch wenn die EZB mit ihrem tiefen Zinsversprechen den Börsen festen Boden in Aussicht stellt, genügt dies nicht mehr, um auch in Europa beim Aufkeimen von «bad news» Panikattacken zu verhindern. Das Tauziehen um die Banco Espírito Santo und ihre milliardenschwere Zweiteilung war jüngster Zeuge der fragilen Verfassung der Börsen.

Argentiniens Haltung im Schuldenstreit mit den Hedge Fonds sorgte weltweit für Unruhe. Und davor waren es die überraschend starken Wachstumszahlen der US-amerikanischen Wirtschaft im zweiten Quartal, welche ein kleines Börsenbeben auslösten. Nur weil sich vage Zinserhöhungsängste wieder einmal urplötzlich konkretisierten und erst durch einen weniger ansprechenden Arbeitsmarktbericht wieder etwas in den Hintergrund gerieten. Mit den zuletzt schlechten Konjunkturmeldungen vor allem aus Italien und den über alles betrachtet eher enttäuschen-den Quartalsresultaten der europäischen Unternehmen haben die Notierungen zusätzlich Momentum verloren. Die Nervosität der Anleger ist jetzt das Zünglein an der Waage. Wenn sie weiter steigt, kann sie rasch in Panik umschlagen und dann sind selbst heftigste Kurseinbrüche nicht auszuschliessen.

Kaum das Ende des «Superzyklus»
Nicht nur Crashpropheten werden wieder durch die Medien gereicht. Es werden auch Stimmen laut, welche das Ende des im März 2009 einsetzenden Aktienbooms vorhersagen. In der Tat dauert dieser Superzyklus schon ungewöhnlich lange an. Er war aber auch nie ganz frei von Rückschlägen. Es gab immer wieder Taucher der Kurse, die wie der aktuelle sogar technische Konstellationen sprengten und zusätzlich Verkaufsdruck auslösten. Doch stets wurde Boden gefunden, da sich letztendlich jeder Investor besann, dass es kaum Alternativen zu Aktien gibt. Auch wenn die Korrektur, die wir gerade durchmachen, noch weiter gehen dürfte, wird sie kaum in einen Crash ausufern, da die hohe Liquidität und der Anlagedruck früher oder später auch wieder Aktienkäufe auslösen werden, die kurstützend wirken. Spätestens dann, wenn die Bewertungen wieder vertretbar erscheinen und sich herausstellt, dass zu viel Pessimismus eingepreist wurde, wird dies wieder der Fall sein. Ähnlich wie in den Jahren 2011 oder 2013, als die Börsen nach übertriebenen Korrekturen wieder Fuss fassen konnten. Das dürfte dieses Mal länger gehen und vielleicht geht es davor noch etwas steiler abwärts, ein Crash müsste aber exogen herbeigeführt werden, etwa wenn die geopolitische Lage aus dem Ruder läuft. Alles andere – Schulden- und Bankenkrisen, Rezessions- und Zinsängste etc. haben die Börsen bisher ja auch weggesteckt.  (Raiffeisen/mc/ps)

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