Börse der Zukunft

Börse der Zukunft

Von Martin Raab , Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch

Nahezu unbemerkt hat sich die SIX Swiss Exchange an den Börsenolymp herangearbeitet. Die Leistungspalette für Anleger war in allen Kategorien nie umfangreicher als heute. Auch beim Handling von Strukturierten Produkten setzt die Börse neue Standards. Dennoch wird das Umfeld immer anspruchsvoller.

Sekundenhandel, Latenzzeiten und webbasierte Wertschriftendaten waren für die 24 Gründungspartner der New York Stock Exchange im Mai 1792 im Schatten des Bottomwood-Baums genau so unbedeutend wie für die Bankiers im Jahr 1850, als sich mit der Bourse de Genève die erste Börse der Schweiz formierte. Doch Technisierung und Automatisierung des Investmentgeschäfts starteten seit den 1950er-Jahren einen unaufhaltsamen Vormarsch. Mit Instinet wurde in den USA schon 1969 das erste elektronische Handelssystem in Betrieb genommen. An der Toronto Stock Exchange ging 1977 mit CATS (Computer Assisted Trading System) das erste automatisierte Börsensystem in Betrieb – wenn auch noch für lange Zeit in einem sehr beschränkten Ausmass.

Vielfach ausgezeichnet

Die Schweiz spielt seit jeher eine wichtige Rolle als international ausgerichteter Marktplatz. So stellte das Fortune Magazine bereits in der November-Ausgabe des Jahres 1958 begeistert fest: «Zürich hat den kosmopolitischsten Wertschriftenhandel der Welt — es werden ausserhalb von Nordamerika nirgendwo mehr US-Wertpapiere gehandelt.» Nach damaligen Statistiken war die Schweiz der drittgrösste Börsenplatz der Welt, nach New York und Tokio, vor dem Erzrivalen London. Heute, durch den Zusammenschluss der Börsen Genf, Basel und Zürich, zur SIX Swiss Exchange fusioniert, steht der hiesige Handelsplatz zwar nur noch auf Platz 12 der Weltrangliste, gemessen am Handelsvolumen, aber das Innovationsstreben geht unvermindert weiter. So wurde die Schweizer Börse als «Exchange of the Year 2014» ausgezeichnet und ist gleichzeitig in Sachen Handelsgeschwindigkeit die schnellste Börse der Welt.

Schnell, schneller, SIX

Diese herausragende Performance hat man sich unter Nutzung von Handelstechnologie der Nasdaq OMX eingekauft und die Rechnung scheint bis dato aufzugehen: Die durchschnittliche Latenzzeit von gerade mal noch 37 Mikrosekunden – ein Wimpernschlag und bis zu 10‘000 Orders sind ausgeführt – lockt grosse Tickets an, die über die SIX Swiss Exchange handeln (siehe Grafik). Damit hält man sich reine Computerbörsen wie die inzwischen fusionierte Chi-X/BATS Europe oder Turquoise (Plattform der London Stock Exchange) bisher elegant vom Hals. Und ab 6. Oktober 2014 geht auch die effektive Depot-Abwicklung für alle Wertpapiere, die an SIX Swiss Exchange und SIX Structured Products Exchange handelbar sind und durch den Schweizer Zentralverwahrer SIX SIS AG abgewickelt werden, binnen zwei statt bisher drei Tagen über die Bühne. Damit setzt man eine neue europäische Norm um. Nachhaltig überleben kann im Haifischbecken der Börsenbetreiber nur, wer agil und technologisch auf höchstem Weltniveau mitspielt. Diese Formel hat man in Zürich bislang verstanden, obgleich der Börse oftmals überlange Entscheidungswege und Bürokratismus nachgesagt werden.

«In Sachen Handelsgeschwindigkeit ist die SIX die schnellste Börse der Welt.»

Passive Shooting Stars

Jüngste Initiativen zur Erhöhung der Attraktivität für Anleger – und natürlich zum Anlocken weiterer Marktteilnehmer und Produkt-Listings – sind u.a. die Lancierung des Börsensegments Sponsored Funds sowie die Kotierung aktiver ETFs. Im erstgenannten Segment haben Investoren die Möglichkeit, klassische Anlagefonds (Preisfeststellung bisher einmal täglich, rückwirkend) fortlaufend zu handeln. Das macht Fonds liquider und gibt Anlegern mehr Flexibilität. Mit der Listingaufnahme von aktiven ETFs (Pilotkunde ist Julius Bär mit der «Smart Equity»-Produktfamilie) ist erstmals aktives Portfolio-Management in einer passiven Struktur (ETF) verpackt handelbar. Shooting Star unter den Börsensegmenten ist ohne Zweifel das der Exchange Traded Funds. Die zunehmende Nachfrage, gepaart mit exzessiver Emissionstätigkeit, trieb die Produktanzahl und Handelsumsätze auf zuletzt 933 ETFs, in denen (per ultimo Juli 2014) CHF 48 Mrd. gehandelt wurden. Im letzten Jahr belief sich das Handelsvolumen in ETFs an der SIX auf CHF 90 Mrd., vor zehn Jahren dümpelten die Umsätze bei gerade mal CHF 10 Mrd. In Europa ist man damit fünftgrösster Handelsplatz. Frankfurt dominiert den börslichen ETF-Handel mit Abstand (31% Marktanteil).

Vollautomatisierung bei Strukis perfektioniert

Weltmarktführer ist der Finanzplatz Schweiz aber nach wie vor im Segment der Strukturierten Produkte. In hiesigen Depots sind derzeit derivative Finanzprodukte im Wert von CHF 192 Mrd. verbucht. Vor exakt sieben Jahren lag der Wert bei CHF 361 Mrd., vorerst das historische Allzeithoch. Die Emissionsflut an neuen Produkten, gepaart mit dem Ziel, das Stammdaten-Management Zehntausender Strukis effizienter zu handhaben, führte im Juli 2008 zur Lancierung der Internet Based Terms (IBT). Statt mühsam, fehleranfällig und hochgradig ineffizient Datenfelder wie Laufzeit, Coupon oder Barriere händisch einzutippen, wurde die Erfassung direkt an der Quelle – sprich beim Emittenten – zentralisiert. Zusätzlich sind Änderungen während der Produktlaufzeit in einer zentralen Datenbank möglich. Damit ist der SIX beim Lifecycle-Management von strukturierten Finanzinstrumenten ein grosser Wurf gelungen. Inzwischen wurde IBT deutlich weiterentwickelt und hört auf den Namen CONNEXOR. Dahinter verbirgt sich nun ein ausgefeiltes Master-Tool, mit dessen Hilfe sämtliche Referenzdaten wie Ausstattungsdetails, Laufzeit oder Barriere-Events elektronisch erfasst, administriert und an Tausende Nutzer in Echtzeit weitergegeben werden.

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CONNEXOR auch für ETFs und Bonds

Wurden zum Start im Jahr 2008 gerade mal 545 Termsheets im Datawarehouse von CONNEXOR gepflegt, werden per 30.07.2014 inzwischen rekordverdächtige 3‘746‘601 Termsheet-Updates bewältigt. Das Niveau, wie in der Schweiz heute mittels direkter, webbasierter Übermittlung die jeweiligen Produktstammdaten verarbeitet werden, ist weltweit einzigartig. Als wesentliches Merkmal werden seit Januar 2012 auch Finanzinstrument-Ereignisse (Barriereberührung, Kündigung, vorzeitige Rückzahlung) via CONNEXOR-Events erfasst und via Datenvendoren in Echtzeit an die Financial Community kommuniziert. Doch die mittels CONNEXOR erfassten und verteilten Datensätze von Strukturierten Produkten sind nicht nur auf den Schweizer Markt begrenzt. Wird ein Struki im sog. «Dual-Listing» auch in Deutschland kotiert, kann die Datenübermittelung ebenfalls via CONNEXOR erfolgen, was verschiedene Emittenten inzwischen rege in Anspruch nehmen. In Zukunft plant die Börse die Ausdehnung des Lifecycle-Managements von CONNEXOR auch auf das Segment ETFs und bei den Bonds.

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Anspruchsvolles Umfeld

Bei allen Stärken und Errungenschaften, die die Schweizer Börse derzeit widerspiegelt, bleibt das Terrain des Börsenhandels weiterhin sehr anspruchsvoll. Die Regulatoren greifen immer weiter in die Marktwirtschaft ein (FIDLEG, FINFRAG etc.) und obendrein schläft die Konkurrenz auch hierzulande nicht. So wird die SIX Structured Products Exchange (ehemals Scoach Schweiz) seit Mai 2012 von der OTC-Tradingplattform SwissDOTS attackiert. Das Joint Venture von Swissquote, UBS und Goldman Sachs bietet den Direkthandel von Hebelprodukten an. Man setzt dort auf eine Tiefpreisstrategie. Konkrete Volumenzahlen lässt Swiss DOTS bisher unter Verschluss, lediglich bei der Ticketanzahl wirbt man mit 20% Marktanteil. Die letztjährige Initiative der Berner Börse zur Lancierung eines Handelsplatzes für verbriefte Derivate hatte sich dagegen bereits nach kurzer Zeit als Luftnummer entpuppt.

«Zu Zeiten des Ringhandels variierte die Latenzzeit zwischen 15 Minuten und sechs Stunden — je nach Stimmung der Händler.»

Verschiebung der Wertetreiber

Doch auch im Kassamarkt mit ETFs und Schweizer Aktien hat die SIX treue Verfolger. An vorderster Front wildern zusätzlich die oben genannten Computerbörsen wie Chi-X/BATS Europe, Turquoise und auch die berüchtigten Dark Pools der Banken. Primärer Wertetreiber für einen Börsenplatz hingegen sind u.a. Terminbörsen, Settlement- und Clearingdienste sowie das Finanzdatengeschäft. So lässt sich aus den jüngst publizierten Konzernzahlen der SIX des ersten Halbjahres ablesen, dass im Geschäftsbereich Swiss Exchange, dem klassischen Börsengeschäft, der Betriebsertrag quasi unverändert (+0,8%) bei rund CHF 102 Mio. stagnierte. Das Kartengeschäft und der elektronische Zahlungsverkehr («Payment Services») explodierten dagegen um rekordverdächtige +39,1% auf CHF 453 Mio. Betriebsertrag.

Vorsprung ausbauen

Trotz aller Konkurrenz und sich verschiebender Wachstumsfelder bleibt die SIX Swiss Exchange dem Innovationsgeist verpflichtet. Mit Blick in die Zukunft gilt es gleichwohl den technischen Vorsprung auszubauen. Das ist für Börsenbetreiber in der heutigen Zeit eine der raren Lebensversicherungen, um nicht auf das Abstellgleis zu geraten und als taumelndes Übernahmeziel zu enden. Wohl nur wenige Börsenhändler hätten sich im August 1996, als der Ringhandel vom elektronischen Handel abgelöst wurde, träumen lassen, dass Anleger mit Strukturierten Produkten oder ETFs nahezu jederzeit, sekundenschnell und kostengünstig via Computer oder Mobiltelefon an der Schweizer Börse handeln können. Die Latenzzeit variierte gemäss eines Zeitzeugen damals zwischen 15 Minuten und sechs Stunden – je nach Stimmung und Arbeitsanfall bei den Ringhändlern. Auch heute schwer vorstellbar ist, dass ein einziger Händler bis zu 25% Volumen in einer Schweizer Aktie vereinen konnte. Derartige Fakten sind inzwischen Börsenromantik — genau wie tintengeschriebene Trading-Tickets, die im Schatten eines Bottomwood-Baums kalligrafiert wurden.

Dark-Pools, Flash Trading vs. neue Handelsethik — Die Realitäten im Wertschriftenhandel
Wissensvorsprünge sind oft ein Garant für finanzielle Vorteile. Jetzt wissen, welche Aktien in wenigen Sekunden steigen oder fallen, ist an der Börse ein lukratives Milliardenbusiness geworden. Allein im E-Mini S&P500 Future (Ticker: ES) verdienen zwei Duzend Hochfrequenz-Trader nach Zahlen der kanadischen Zentralbank in 20 Tagen rund USD 30 Millionen durch gezielte An- und Weiterverkäufe in Millisekunden. Mit der Hilfe von Order- und Umsatzdaten, welche in Echtzeit analysiert und ausgewertet werden, lassen sich grosse Orders identifizieren. Bevor diese vollständig ausgeführt werden, kaufen die hochfrequenten Algo-Trader diese Finanzinstrumente und verkaufen sie dem vorab identifizierten Käufer — jeweils mit einem Preisaufschlag oder –abschlag versteht sich. Erfolgreich ist, wer Glasfaseranschlüsse zur Börse, Supercomputer und Mathematiker besitzt. Anschaulich porträtiert Autor Michael Lewis in seinem jüngsten Buch «Flash Boys» das Gebaren am Beispiel des Handelschefs der Royal Bank of Canada, Brad Katsuyama (Foto oben). Der Bank-Trader kommt dunklen Marktmanipulationen auf die Spur (US-Behörden ermitteln immer noch) und hat als Konsequenz inzwischen seine eigene Börse gegründet: IEX. Diese soll die transparenteste ihrer Art werden. IEX möchte als kollektiver Bremsklotz, genannt «IEX True Price», für Orderausführungen im Millisekundenbereich dienen. Damit soll die Übervorteilung von Anleger künftig gestoppt werden. Selbst Wall Street Titan Goldman Sachs, welcher kräftig vom Hochfrequenzhandel profitiert, bringt mittlerweile als grösster Broker der IEX einen substanziellen Orderflow. Vielleicht also doch der Anfang von neuen Realitäten?

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