Telekommunikationskonzerne am Scheideweg

Telekommunikationskonzerne am Scheideweg
Telekommunikation, Kommunikation, Daten (Foto: Alex Tihonov - Fotolia)

(Foto: Alex Tihonov – Fotolia)

Zürich – Das Management der meisten europäischen Telekommunikationsunternehmen legt den Schwerpunkt derzeit stärker auf die Senkung der Betriebskosten und auf die Sicherung der Bestandskunden als darauf, um weitere Marktanteile zu kämpfen. 66 Prozent der befragten Führungskräfte sagten, dass die Branche „wesentliche Veränderungen» brauche, um den anhaltenden Margendruck und die Nachfrage der Kunden nach mehr und zugleich billigeren Telecom-Dienstleistungen bewältigen zu können. Das ergab eine Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney, an der über 60 Geschäftsleitungsmitglieder von Telecom-Firmen in Europa teilnahmen.

Viele Führungskräfte sehen für ihre Unternehmen die Zukunft als reine Anschlussanbieter oder die Gefahr, auf reinen Netzbetrieb reduziert zu werden. Ein kleinerer Teil der Studienteilnehmer glaubt, dass in der besseren Integration von Festnetz- und Mobilfunk, dem Anbieten von Inhalten und dem Einbinden digitaler Dienste Dritter eine attraktive Zukunft liegt. Letztendlich müssen sich die Konzerne entscheiden, ob sie die Rolle eines einfachen „Daten-Versorgers” spielen möchten oder sich zum vollwertigen „Digitalen Navigator» weiterentwickeln.

Europäische Telecom-Konzerne müssen Preisdruck und Investitionsbedarf austarieren
„Europäische Telekommunikationskonzerne sind an einem Scheideweg. Viele Unternehmen setzen auf die in vielen Märkten notwendige Konsolidierung und in einigen Märkten passiert diese bereits“, sagt Dr. Florian Dickgreber, A.T. Kearney-Partner und Mitautor der Studie. „Eine solche Konzentration – auch über Ländergrenzen hinweg – schafft die notwendige Grösse, um neue Dienste erfolgreich anzubieten und gleichzeitig die Investitionsanforderungen mit der Rentabilität wieder besser in Deckung zu bringen. Erste Signale aus Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten stimmen verhalten positiv. Aber die Branche wird unter anderem weitere Veränderungen in der Regulierung brauchen, um nicht noch weiter aus der Telecom-Wertschöpfungskette gedrängt zu werden.“

Ganze 50 bis 70 Prozent der Arbeitsplätze der Branche und dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur stehen auf dem Spiel. Die Telecom-Konzerne müssen mehr digitale Mehrwertdienste anbieten – der Schwerpunkt liegt hier auf erfolgreicher Einbindung der Dienste Dritter – und nicht länger die neue Konkurrenz von Geräteanbietern wie Apple und Samsung oder den „Over-The-Top“-(OTT)-Playern wie Google, Facebook und Netflix scheuen. Innovativere Vertriebs- und Serviceangebote müssen diese neuen Produktangebote ergänzen. Internationale Beispiele in den USA oder Asien weisen hier den Weg für die europäischen Spieler. Die Unternehmen müssen dem Ruf europäischer Konsumenten und Politiker nach innovativen und preiswerten Dienstleistungen auf der Grundlage neuer Netzgenerationen gerecht werden. Die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen boomt: Der mobile Datenverkehr wird von 2014 bis 2018 voraussichtlich um 61 Prozent pro Jahr wachsen, der Datenverkehr im Festnetz um jährlich 20 Prozent. Aber der Druck auf die Konzerne, weiterhin die Preise zu senken und gleichzeitig zu investieren, bedeutet, dass die finanziellen Aussichten der europäischen Telecom-Unternehmen bestenfalls gemischt sind.

Als Folge hat die Konsolidierung der Branche an Dynamik gewonnen – und sie beschränkt sich nicht alleine auf Netzwerkkooperationen oder Zusammenschlüsse unter Mobilfunkanbietern. Auch Festnetzanbieter, integrierte Telekommunikationsgruppen und Kabelunternehmen haben Transaktionen ausgelotet oder Angebote gemacht. Laut A.T. Kearney ist die Konzentration dringend erforderlich, um bessere Bedingungen für Telecom-Unternehmen und grössere, effizientere Märkte zu schaffen. Darüber hinaus seien grundlegende Änderungen der Geschäfts- und Betriebsmodelle erforderlich, um künftig die Geschäftsziele zu erreichen, wie zwei Drittel der von AT Kearney befragten C-Level-Führungskräfte berichteten.

Telecom-Konzerne wollen Betriebskosten senken und Kundenumsätze steigern
Europas Telecom-Konzerne passen derzeit ihre Kostenstrukturen an niedrigere Umsatzerwartungen an. Damit wollen sie weitere Investitionen in die europäische Breitbandinfrastruktur und qualitativ hochwertige Dienstleistungen sichern. Massnahmen zur Kostensenkung werden über die Betriebskosten hinaus ausgeweitet und betreffen zunehmend auch die kommerziellen Kosten wie Kommissionen und Stützung der Telefone. Auch bei Investitionsprogrammen liegt der Fokus immer stärker auf Effizienz. Die Priorität liegt auf der Optimierung der Netze – deren Performance ist als Erfolgsfaktor heute noch entscheidender. Dabei sind Themen wie Netzwerk-Outsourcing und -Kooperation zum Standard auf der CTO-Agenda geworden. Die Investitionsanforderungen für Hochleistungsnetzwerke werden den Konsolidierungsdruck auf die Telecom-Konzerne weiter erhöhen und auch grenzüberschreitende Netzwerkbereitstellung und Betriebsmodelle erfordern.

Kosten sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Ein Blick auf die Geschäftsmodelle zeigt, dass die meisten Betreiber jede Hoffnung aufgegeben haben, ihren Marktanteil organisch wesentlich zu erhöhen. Grosse Zuwächse kann es nur noch über Zukäufe und die Ausweitung des Produktangebots auf „Quad Play“ also Festnetz, Mobilfunk, Daten und Entertainment-Angebote wie IPTV geben. Die meisten europäischen Märkte sind gesättigt, die Nachfrage verschiedenster Kundengruppen – von den Nutzern von Budget-Angeboten bis zum Premium-Kunden – abgedeckt. Folglich werden Konzerne ihren Fokus auf die bessere Adressierung der bestehenden Kundenbasis und das Schaffen neuer Dienstleistungen lenken. Die Telecom-Führungskräfte betonen, dass die Entwicklung neuer Geschäfte – allein oder in Zusammenarbeit mit Partnern – ein entscheidender Erfolgsfaktor sei.

Angesichts der beeindruckenden Erfolgsbilanz von OTTs herrscht unter den europäischen Telekommunikationsunternehmen viel Ernüchterung, über die Chancen mit ihnen zu konkurrieren. Ein Interviewpartner gab bei der Befragung an: „Der Kampf gegen die OTT-Spieler war von Anfang an verloren». Aber nicht alle Führungskräfte sind so pessimistisch. Auch A.T. Kearney glaubt, dass die Betreiber von Telekommunikationsnetzen noch viele Möglichkeiten haben, um Erfolge zu erzielen. Sie können Dienstleistungen neu entwickeln oder vorhandene Services für ihre Kunden bündeln und angemessenen Datenschutz und lokale Datenspeicherung garantieren. Diese „digitale Navigatoren» haben gute Chancen, erfolgreich zu sein.

Telecom-Konzerne brauchen mehr Spielraum in Betriebsgrösse, Regulierung und Preisfindung
In der Studie wurden Erfolgsgeschichten aus der ganzen Welt untersucht. Daraus ergaben sich zwei Faktoren, die für den Erfolg der europäischen Telekommunikationsbranche wesentlich sind: Strategie und Regulierung. Allerdings können CXOs nach Ansicht von A.T. Kearney ihre strategischen Optionen nur voll ausnutzen, wenn nationale und europäische Regulierungsbehörden ihnen endlich mehr Spielräume erlauben. Zum Beispiel mehr Spielraum, um grössere Unternehmen und Märkte zu schaffen.

Mehr Konsolidierung würde erhebliche Kosten- und Investitionssynergien ermöglichen und somit Investitionen in die Verbesserung von Infrastruktur und Service sicherstellen. Die grenzüberschreitende Konsolidierung würde mehr grosse Spieler schaffen, die grossen Kundenstämmen zuverlässige digitale Dienste – wie zum Beispiel das Überweisen von Geld oder die Vernetzung von Autos – anbieten könnten.

„Wenn der heutige Regulierungsrahmen so weiter bestehen bleibt, wird sich das drastisch auswirken“, warnt Dr. Florian Dickgreber. „Als Konsequenz könnten Netzbetreiber auf reine Zugangsbetreiber oder Grosshändler reduziert werden. Umsätze und Steuereinnahmen werden sinken und Arbeitsplätze nach Kalifornien verlagert.“

Die Regulierungsbehörden sollten Telecom-Konzerne und Nicht-Teleco-Spieler gleich behandeln, gerade wenn es um Servicebündelung, Quersubventionierung von Diensten und Partnerschaften geht. Die Regulierer sollten gleiche Standards für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre anwenden. Dies würde Innovationen fördern und Kunden ermutigen, neue digitale Dienste zu benutzen. Die Freiheit, uneingeschränkt Preise zu bestimmen, ist Voraussetzung für die Fähigkeit der Telecom-Unternehmen, sowohl verschiedenste Service- und Inhaltebündel als auch Serviceeigenschaften anzubieten. Nur so werden die Telecom-Konzerne mit den OTT und deren innovativer Preisgestaltung und Content-Bündelung konkurrieren können. (A.T.Kearney/mc/pg)

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