Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Rezession?

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Rezession?
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Das Nachbeben des SNB-Wechselkursschockers ist kaum verhallt und schon macht das Rezessionswort die Runde. Klar steht der Schweizer Wirtschaft einiges bevor, aber haben wir tatsächlich mit einer Rezession zu rechnen? BAK und KOF warnen bereits ganz konkret. Nur wer weiss schon, wo sich der Schweizer Franken am Ende einpendeln wird, was das Konjunkturbild der nahen Zukunft – sprich 2015 – fast ausnahmslos beeinflusst?

Dynamische Prognostiker
Ob die jüngste Bewegung von EUR/CHF Richtung 1.04/1.05 eine technische Gegenreaktion oder eine Bodenbildung ist steht jedenfalls noch in den Sternen. Daher ist sehr früh, sich prognostisch weit hinauszuwagen. Zumal die zentrale Grösse diejenige des Wechselkurses ist, die jeweils am schwierigsten vorhersehbare Komponente. Auch dominieren die Nachteile der harten Währung gegenwärtig die öffentliche Diskussion, das ist einseitig. Für die Prognose der Konjunktur interessiert der Nettoeffekt, also der Saldo von Vor- und Nachteilen der neuen Frankenstärke. Je höher beispielsweise der Vorleistungsanteil ist, den ein Schweizer Unternehmen aus dem Euroraum bezieht, desto tiefer liegt dessen Betroffenheit.

Entscheidend ist weiter, ob Produkte oder Dienstleistungen so einzigartig sind, dass sie faktisch nicht substituierbar sind, also mehr oder weniger konkurrenzlos. Davon gibt es im Sortiment der Schweizer Industrie eine Fülle. Problematisch wird es da, wo der Preis das einzige Wettbewerbskriterium ist, also in den sogenannt wertschöpfungsärmeren Industrie- und Dienstleistungszweigen. Auch davon gibt es etliche. Es ist daher fast unmöglich, aus heutiger Warte zu beurteilen, wie viel Wachstum uns der Wechselkursschock am Ende tatsächlich kostet und ob es tatsächlich zu einer Rezession in der Schweiz kommt oder nicht. Die rasanten Anpassungen der Prognosen nach unten könnten sich vielleicht als Schnellschuss herausstellen. Der Finanzmarkt neigte in einer ersten Reaktion auf den Wegfall der Wechselkursuntergrenze zum Überschiessen. Es ist nicht auszuschliessen, dass dies nun auch die Prognostiker tun. Wir halten uns deshalb noch zurück mit Prognoserevisionen. Noch ist zu wenig klar, ob und wo ein neues Gleichgewicht gefunden wird und wie die Wirtschaft mit der neuen Konstellation zurechtkommt.

Haben die Finanzmärkte für einmal Recht?
Die Finanzmärkte sind der wahre Puls der Wirtschaft und nehmen – zumindest gemäss Lehrbuch – sensibel vorweg, was die Realwirtschaft erwartet. Nimmt man nun die ersten Reaktionen der Finanzmärkte als Gradmesser, dann besteht sicherlich Grund zur Beunruhigung. Eins zu eins wurde die Aufwertung des Franken in die Aktienbewertungen eingepreist, getreu der Formel: 20% Aufwertung ist gleich 20% weniger Gewinn. Mittlerweile steht der Euro zwar nicht auf viel stabilerem Fundament, aber er hat trotzdem wieder etwas Boden zum Franken gut gemacht. Der Schweizer Aktienmarkt hat sich auch darauf zurückbesonnen, die Effekte differenzierter zu beurteilen und auch wieder etwas Boden zugelegt. Ein EUR/CHF-Wechselkurs von 1.05 ist zwar immer noch drastisch zu hoch, aber schon weniger schmerzhaft als Werte deutlich unter Parität. Wer weiss, vielleicht kommen ja die Märkte zum Schluss, dass der Franken jetzt massiv überbewertet ist, was sie davon abhält, weiter auf ihn zu spekulieren? So würde der Wegfall der Wechselkursuntergrenze gar zum Befreiungsschlag.

Der Einfluss des Wechselkurses auf die Schweizer Wirtschaft wird häufig übertrieben. Entscheidend für das Tempo unseres Wirtschaftsgangs ist nicht die Wechselkursrelation, sondern das Wachstum in den Abnehmerländern schweizerischer Ausfuhren. Die Schweizer Wirtschaft reagiert, gemessen an sogenannten Elastizitäten, etwa zehnmal stärker auf Wachstums- als auf Wechselkursschwankungen. Eine Aufwertung des Frankens um 1 % reduziert unsere Exporte in die Eurozone um etwa 0.2% bis 0.3%. Eine Beschleunigung des Wachstums in der Eurozone um 1% schafft hingegen Raum für 2.5% Exportwachstum. Auf das Wachstum kommt es nun also an, nicht auf den Wechselkurs. Die Eurozone könnte wegen des günstigen Euros, des gefallenen Ölpreises und des Niedrigzinsumfeldes bald schon erste positive Signale senden. Wenn die Märkte zum Schluss kommen, dass damit das zyklische Tief verlassen wird, wird dies auch der Schweiz wieder Rückenwind verleihen. Gut möglich, dass das im Sommer der Fall ist, der Zeitraum also, für den in der Schweiz nun eine Rezession prognostiziert wird. Ich denke, am Ende werden die Märkte wieder besser liegen als die Auguren. (Raiffeisen/mc/ps)

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