Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Nein, der Eindruck täuscht nicht, es ist ruhiger geworden um die ominöse Schweizer Immobilienblase. Obwohl kaum eindeutige Zeichen einer Entspannung im Sinne der Warner vorliegen, halten diese sich momentan eher zurück. Das liegt aber nicht daran, dass sich am Markt die Konstellationen grundsätzlich geändert hätten, sondern daran, dass man heute mit Negativzinsen und Wechselkurschock für mehr Schlagzeilen sorgt.

Dabei war das was am 15. Januar 2015 passierte ein durchaus immobilienmarktrelevanter Grossanlass. Denn mit der Einführung der Negativzinsen als Ersatz für die fallengelassene Wechselkursuntergrenze sind Immobilienanlagen relativ gesehen noch einmal lukrativer geworden. Die Bewertungen der an der Börse kotierten Immobiliengesellschaften, ebenso wie die Agios der meisten Immobilienfonds sind im Sog der Negativzinsen auf neue Rekordhöhen geklettert. Die vorübergehend über alle Laufzeiten negative eidgenössische Zinskurve hat eine wahre Flucht in Immobilien ausgelöst und vor allem kommerziellen Immobilien nochmals Aufwind verliehen.

Da die Hypothekarzinsen den Zinsschritt nach unten nur bedingt nachvollzogen haben, fiel die Reaktion im Eigenheimmarkt zunächst verhaltener aus. Aber auch da machen sich derzeit offenbar viele Gedanken, ob sie ihre keine Rendite mehr eintragenden Spareinlagen nicht besser gegen Immobilienvermögen eintauschen: trotz der mittlerweile hohen Niveaus haben die Preise im ersten Quartal – je nach Quelle – wieder angezogen, ein Signal, das darauf hindeutet, dass auch private Haushalte in der Falle der Negativzinsen gefangen sind.

Preise sind zu diskutieren
Jeden Monat publiziert das Bundesamt für Statistik den Landesindex der Konsumentenpreise, die offizielle Inflationsrate der Schweiz. Dieser Wert ist amtlich bestätigt, weitgehend unbestritten und wird daher kaum hinterfragt. Höchstens aktuell, wo an der Schwelle zur Null von Experten über Deflation oder Inflation gestritten wird und die Daten etwas genauer unter die Lupe genommen werden, stellen die einen oder anderen Fragen, etwa, ob der Index wirklich das richtige Mass ist, oder in wie weit «Anlagen-Inflation» wie steigende Aktien- oder Immobilienpreise mitberücksichtigt werden sollte. Doch als offizielles Teuerungsmass für unser Land bleibt der Index wohl bis auf weiteres unumstritten und es gibt keine Alternativen. Ganz anders im heiss laufenden Immobilienmarkt, für dessen Preisentwicklung es gleich mehrere Quellen gibt.

Die verschiedenen Anbieter stehen mehr oder weniger in Konkurrenz zueinander, da sie zum Teil ähnliche Dienstleistungen rund um die Immobilienmärkte anbieten. Das ist nicht weiter zu beanstanden, Wettbewerb ist ja in der Regel gut für das Marktergebnis, nur in diesem Falle führt der Wettbewerb leider dazu, dass die Transparenz – nicht nur für den Laien – abhandenkommt. Die Preise sind daher nicht nur wegen ihrer stolzen Niveaus zu diskutieren.

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Abweichungen modell- nicht marktbedingt
Nehmen wir das erste Quartal 2015 und vergleichen die Preisschätzungen der drei relevanten Anbieter für Transaktionspreise im Eigenheimmarkt. Gemäss Wüst und Partner (W&P) stiegen die Preise für Stockwerkeigentum (STWE) im ersten Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 3.3%, die für Einfamilienhäuser (EFH) um 3.6%. Fahrländer und Partner (FPRE) gelangen zu Werten von 0.2% (STWE) und -0.7% (EFH) und ein weiteres Immobilienberatungsunternehmen (IAZI) publizierte fürs erste Quartal einen Anstieg von je 2.4% für STWE und EFH. Diese Bandbreite ist eindeutig zu gross und vom Markt nicht gewollt.

Die Abweichungen der Preisschätzungen liegen in der Systematik der angewandten Modelle begründet, die dafür benutzt werden, aus real beobachteten Transaktionen Preisindizes zu generieren. Da es bei Immobilien nicht möglich ist, einmal im Monat eine Preisetikette anzuschauen und so die Teuerung sozusagen vom Zähler abzulesen, ist man auf recht komplexe Modelle angewiesen, über deren Qualität die Experten sich – gelinde gesagt – zumindest mal nicht einig sind.

Wettbewerb der Schätzungen
In einem Markt, an dem derart heterogene Güter gehandelt werden wie Immobilien, ist es zweifellos kaum möglich, einen eindeutigen Marktpreis für jedes Objekt zu bestimmen. Letztendlich ist der Marktpreis der, zu dem die Transaktion notariell beurkundet wird, doch wäre ein höherer oder tieferer Preis oft auch möglich gewesen. Je nach Konstellation von Angebot und Nachfrage oder Mikro- und Makrolage werden für ein Haus oder eine Wohnung stark abweichende Preise bezahlt. Das ist sonst bei «Marktpreisen» nicht der Fall. Die Milch kostet plus minus schweizweit gleich viel, genauso wie ein Automobil oder Treibstoff. Die Heterogenität der Immobilie macht sie daher zu einem sehr speziellen Investitionsobjekt.

Man spricht im Immobilienmarkt seltener von Marktpreisen als von Schätzungen, was dies unterstreicht. Schätzungen sind die Wegbereiter der Preisfindung am Markt. Innerhalb ihrer Bandbreiten verhandeln Käufer und Verkäufer, wobei jüngst gerade bei Renditeliegenschaften die Bandbreite nach oben zum Teil sogar durchbrochen wird. Damit wird klar, dass es sich bei den in der Schweiz verfügbaren Preisindizes letztlich auch «nur» um Schätzungen handelt. Je nach Grösse und Zusammensetzung der Stichprobe und ökonometrischem Modell resultieren für den Experten zwar plausible, für die Praxis aber leider wenig taugliche Preisreihen.

Dieser unbefriedigende Befund ist bis auf weiteres nicht weg zu diskutieren und zwar aus einem einfachen Grund. Der Immobilienmarkt ist nämlich gerade deshalb für viele Akteure so attraktiv, weil er mit 3 Billionen Franken der grösste Markt für Investitionen überhaupt ist und so vieles «vage» ist, wie der Begriff der Schätzung ja bereits nahelegt. Das fängt schon auf der Baustelle an, wo Unikate gefertigt werden und Überraschungen nie ausgeschlossen werden können. Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle Investoren dessen bewusst sind – eigentlich erstaunlich, wenn man sich vor Augen führt, von welchen Summen wir hier sprechen.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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