Mario Moretti Polegato, GEOX: «Wir verstehen uns nicht als Schuhfabrik, sondern als Kulturfabrik»

Andreas Thomann, emagazine

Signor Moretti Polegato, sogar Papst Benedikt XVI soll GEOX-Schuhe tragen. Freut Sie das?

Mario Moretti Polegato: Es ist für mich eine Ehre, wenn der Papst unsere Schuhe trägt – übrigens war auch sein Vorgänger Johannes Paul II mit GEOX unterwegs. Wenn ich die Zeitungen aufschlage, entdecke ich immer wieder prominente Persönlichkeiten, die GEOX tragen – die Kinder von Angelina Jolie, Paul Mc Cartney, die spanische Königsfamilie, Kate Winslet oder Prinz Albert von Monaco.



«Wenn man in einen gesättigten Markt einsteigt, so darf man nicht anbieten, was schon alle anderen anbieten.»  Mario Moretti Polegato


Steckt dahinter eine Marketing-Strategie?

Ganz im Gegenteil. Wir machen ganz bewusst keine Kampagnen mit Celebrities. Unser Produkt basiert auf einer innovativen Technologie. Deshalb  steht diese auch bei unseren Werbekampagnen im Mittelpunkt, grafisch dargestellt durch die Sohle, aus der Dampf entweicht. Anfangs gefiel das vielen Werbern überhaupt nicht, doch das war uns egal.


Offensichtlich hatten Sie damit Erfolg. In etwas mehr als zehn Jahren ist GEOX zu einer der weltweit führenden Schuhhersteller aufgestiegen…

….genau. Ein Kollege sagte mir einmal: GEOX ist ein amerikanischer Traum «made in Italy.» Ich kann dem nur beipflichten.


Haben Sie nie Angst, dass dieser Traum eines Tages zu Ende ist?

Das ist unmöglich. Denn alle kennen das Hygiene-Problem mit Gummisohlen. Denken Sie mal nach: 90 Prozent der Weltbevölkerung benutzt Gummisohlen, nur 10 Prozent Ledersohlen. Mit GEOX sind alle andern Gummisohlen veraltet. Sie haben natürlich Recht, wenn Sie sagen, dass wir uns sehr schnell entwickelt haben – bis Jahresende werden wir mehr als 16 Millionen Paar Schuhe verkaufen. Aber das ist nichts, wenn man bedenkt, was man noch alles machen könnte.


Die fulminante Entwicklung von GEOX steht in krassem Gegensatz zur darbenden Schuhindustrie Italiens. Was machen Sie besser?

Wenn man in einen gesättigten Markt einsteigt, so darf man nicht anbieten, was schon alle anderen anbieten. Das stimmt für Flaschen oder Zahnbürsten genauso wie für Schuhe. Und der Schuhmarkt ist ein rundum gesättigter Markt, ob im Billigsegment, im Medium- oder im Luxusbereich. GEOX ist anders als die anderen, weil wir eine einzigartige Technologie haben. Insofern haben wir keine Konkurrenten. Abgesehen davon haben wir von Anfang an auf ein anderes Business-Modell gesetzt als die meisten Konkurrenten.


Inwiefern?

In Italien dominiert in vielen Branchen nach wie vor das System der ,Mama and Papa Corporation›. Es gibt einen ,Padrone›, der sich um alles kümmert, mit der Folge, dass das Unternehmen selten das Stadium eines Kleinbetriebs verlässt. Wir dagegen haben an die Stelle des Padrone professionelle Manager gesetzt, ob bei der Produktion, im Marketing oder bei der Distribution. Gestartet haben wir mit fünf Mitarbeitern. Mittlerweile sind daraus rund 30.000 Mitarbeiter geworden.


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Doch nur 650 davon arbeiten am Hauptsitz in Treviso, denn GEOX lässt sämtliche Schuhe ausserhalb Italiens produzieren – in 28 verschiedenen Ländern rund um den Globus. Ist GEOX überhaupt eine italienische Marke?

Diese Frage ist für mich absolut unwichtig. Denn wir operieren nicht mit dem Gütesiegel «Made in Italy». Interessanterweise denken viele Konsumenten, dass GEOX aus ihrem Land stamme. Der Name unterstützt diese Wahrnehmung: Die Franzosen sprechen ihn als «Scheox» aus, die Deutschen als «Geox», die Engländer als «Tschiox», die Italiener als «Tscheox».



«Italien besitzt ein riesiges Reservoir an kreativen Köpfen. Doch leider werden nur die wenigsten Ideen realisiert und auf den Markt gebracht.»


Wie wichtig ist in diesem universalen Unternehmen denn noch die Heimbasis?

Sie ist sehr wichtig. In Treviso ist die Forschung und Entwicklung angesiedelt, das Design, die Logistik, das Controlling. Hier entstehen die Ideen, mit denen wir neue Märkte erobern wollen, zum Beispiel die atmungsaktive Ledersohle oder die atmungsaktive Jacke. Nur wenn wir fortlaufend in neue Technologien investieren, können wir unsere Position ausbauen. Insofern verstehen wir uns nicht als Schuhfabrik, sondern als Kulturfabrik, als eine Art Microsoft des Schuhbusiness.


Glauben Sie, dass Ihr Beispiel in Italien Nachahmer finden wird?
Warum nicht? Italien besitzt ein riesiges Reservoir an kreativen Köpfen. Doch leider werden nur die wenigsten Ideen realisiert und auf den Markt gebracht. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: In Westeuropa melden nur Portugal, Spanien und Irland weniger Patente pro Kopf an als Italien. Einige der brillantesten italienischen Erfindungen werden von andern vermarktet, aus dem simplen Grund, weil sie niemand geschützt hat. Nehmen Sie den Kaffee. Den besten Espresso der Welt trinken Sie in Neapel. Doch es sind Firmen wie Starbucks, die mit dem italienischen Kaffee ein globales Business machen. Dasselbe ist mit der Pizza passiert – ebenfalls eine neapolitanische Erfindung, mit der jedoch Ketten wie Pizza Hut das meiste Geld verdienen.


Sie haben GEOX zum grössten italienischen Schuhkonzern gemacht, daneben wurden Sie mehrmals zum italienischen Unternehmer des Jahres ausgezeichnet. Was möchten Sie noch erreichen?

Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, der gerne viel arbeitet. Mir reicht es nicht, der grösste Schuhfabrikant Italiens zu sein. Ich möchte die Nummer eins der Welt werden (lächelt). Und warum sollten wir das nicht schaffen?





Der Gesprächspartner
Nichts in der Biographie von Mario Moretti Polegato hätte darauf hingedeutet, dass er eines Tages im Schuhbusiness landen würde. Als Vertreter der dritten Generation einer angesehenen Weinbaudynastie war er dazu auserkoren, die Familientradition fortzuführen. Eine prickelnde Aufgabe, denn das Weingut Villa Sandi, gelegen in der Provinz Treviso, ist der weltgrösste Prosecco-Exporteur. Doch ein Geistesblitz, der Moretti Polegato in der gleissenden Sonne des US-Wüstenstaates Nevada traf, führte ihn auf Abwege. Die offizielle Legende, die der smarte Unternehmer nicht müde wird, in Interviews zu erzählen, lautet wie folgt: Im Anschluss an einen Weinkongress, der im Sommer 1992 in Reno stattfand, unternahm Moretti Polegato eine Trekkingtour in die Rocky Mountains. Die Füsse in seinen Turnschuhen schwitzten, und er überlegte sich, ob dieses traurige Schicksal tatsächlich unabwendbar sei. Kurzerhand bohrte er mit seinem Taschenmesser je ein Loch in die Gummisohlen seiner Schuhe, um seinen heissgelaufenen Füssen Linderung zu verschaffen.


Zurück in Italien begann Moretti Polegato, sich wissenschaftlich mit dem Phänomen zu befassen. Daraus entstand die perforierte Gummisohle, die mit einer sowohl atmungsaktiven als auch wasserdichten Membran hinterlegt ist. Die Kapillaren dieser Membran sind gerade so gross, dass die Fusswärme in Form von Wasserdampf entweichen kann, aber kein Wasser in den Schuh dringt. Möglich ist das, weil die Wasserdampfmoleküle 700 mal kleiner sind als Wassermoleküle. Die Patentlösung im Kampf gegen den Fussschweiss war gefunden. Moretti Polegato liess die Erfindung sofort in fünf verschiedenen Ländern patentieren. Wie jeder gute Erfinder hatte er vor, die Technologie zu verkaufen. Doch keiner der führenden Schuhhersteller der Welt biss an. So blieb ihm nichts anderes übrig, als selber ins Schuhbusiness einzusteigen.


Im Jahr 1995 übertrug er die Führung der Villa Sandi an seinen jüngeren Bruder Giancarlo und gründete mit fünf Mitarbeitern die Firma GEOX. Gut elf Jahre später sind es insgesamt rund 30’000 direkte und indirekte Mitarbeiter weltweit, und GEOX ist mit einem Umsatz von 455 Millionen Euro im Jahr 2005 (erwartet werden 600 Millionen Euro im Jahr 2006) zum grössten Schuhhersteller Italiens avanciert. GEOX-Schuhe werden mittlerweile in 68 verschiedenen Ländern vertrieben – in insgesamt 10’000 unabhängigen Verkaufsstellen sowie 481 exklusiven GEOX-Boutiquen. Dass sich diese unglaubliche Erfolgsgeschichte nicht in der Biotechnologie oder einer anderen Zukunftsbranche ereignet hat, sondern in der kriselnden italienischen Schuhindustrie, lässt sie noch spektakulärer erscheinen. Auch an der Börse ist GEOX zu einem Star avanciert: Seit dem IPO im Dezember 2004 hat sich der Aktienkurs mehr als verdoppelt. emagazine traf den von Ernst & Young zum «Besten italienischen Unternehmer des Jahres 2003» ausgezeichneten Senkrechtstarter in Lugano, am Rande des von der Credit Suisse organisierten Anlasses «Prospettive».







Das Interview wurde uns freundlicherweise vom EMAGAZINE der Credit Suisse zu Verfügung gestellt

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