Steuerstreit: Nationalrat sagt Ja zu Gruppenanfragen

Steuerstreit: Nationalrat sagt Ja zu Gruppenanfragen

Bern – Die Schweiz soll bei Gruppenanfragen Amtshilfe leisten und so dazu beitragen, dass Steuersünder identifiziert werden können. Nach dem Ständerat hat sich auch der Nationalrat dafür ausgesprochen, solche Anfragen zuzulassen.

Gruppenanfragen gehören seit Mitte Juli zum OECD-Standard. Dies bedeutet, dass die Staaten auch dann Amtshilfe leisten, wenn sich das Gesuch auf eine Gruppe von nicht einzeln identifizierten Personen bezieht, die sich durch ein bestimmtes Verhaltensmuster verdächtig gemacht haben. Auch der Vertreter der Schweiz bei der OECD stimmte der Neuerung zu. Im Schweizer Recht ist der neue Standard jedoch noch nicht verankert. Der Bundesrat hatte Gruppenanfragen im Steueramtshilfegesetz ursprünglich sogar ausschliessen wollen: Amtshilfe sollte ausschliesslich auf Ersuchen im Einzelfall geleistet werden.

Mit Blick auf den neuen OECD-Standards kam der Bundesrat jedoch darauf zurück und empfahl, Gruppenanfragen zuzulassen. Der Ständerat strich in der Folge die Wendung «im Einzelfall» aus dem Gesetz. Dem hat nun auch der Nationalrat zugestimmt, mit 130 zu 54 Stimmen.

Bankgeheimnis zu Grabe getragen?
Dagegen stellte sich die SVP. «Damit tragen Sie heute das Bankkundengeheimnis zu Grabe, und zwar definitiv», sagte Caspar Baader (SVP/BL). Es gehe nicht an, Gruppenanfragen zuzulassen, ohne die Voraussetzungen genau zu definieren. «So wie wir hier legiferieren, das ist ein Pfusch», kritisierte der SVP-Nationalrat. «Fishing expeditions» – Ermittlungen ins Blaue hinaus – würden Tür und Tor geöffnet. «Wenn wir so weitermachen, vertreiben wir noch den letzten Ausländer von unserem Finanzplatz.»

Warnung vor schwarzen Listen
Die Befürworter warnten vor schwarzen und grauen Listen, wenn die Schweiz den OECD-Standard nicht umsetze. Dies sollte sich die Schweiz ersparen, befand Louis Schelbert (Grüne/LU). Ohnehin sollte die Schweiz nicht verteidigen, was sie letztlich doch werde aufgeben müssen. Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) plädierte ebenfalls dafür, die Gruppenanfragen zuzulassen. Sie warf aber die Frage auf, was denn nun für jene Länder gelte, mit welchen die Schweiz Doppelbesteuerungsabkommen ohne Gruppenanfragen abgeschlossen habe.

Einzelne Abkommen anpassen
Laut Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gilt in diesen Fällen der Text der Doppelsteuerungsabkommen. Die meisten Abkommen seien aber offen formuliert. Nur in einzelnen seien Gruppenanfragen ausgeschlossen. Diese müssten jetzt angepasst werden, sagte Widmer-Schlumpf.

Gruppenanfragen sind bisher nur im Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA explizit vorgesehen. Allerdings sind die Voraussetzungen dafür in diesem Abkommen leicht anders formuliert als im neuen OECD-Standard. Gemäss dem Abkommen mit den USA sind Gruppenanfragen nämlich nur zugelassen, wenn die Bank in erheblicher Weise zum Steuervergehen beigetragen hat.

Vorwürfe an die Finanzministerin
Die Geschwindigkeit, mit welcher die Gesetze in letzter Zeit angepasst wurden, stiess im Rat auf Kritik. «Wir haben langsam aber sicher genug von diesem dauernden Zeitdruck», sagte Thomas Maier (GLP/ZH). Der Finanzministerin wurde auch vorgeworfen, der Bundesrat habe den neuen OECD-Standard über die Köpfe des Parlaments hinweg akzeptiert. Sie stritt dies ab: Der Schritt sei unter dem Vorbehalt erfolgt, dass das Parlament zustimme. Ein Veto habe der Bundesrat deshalb nicht eingelegt, weil es sinnlos gewesen wäre, sich allen OECD-Staaten entgegenzustellen.

Keine rückwirkenden Anfragen
Zu reden gab erneut, ab wann Gruppenanfragen zugelassen sind. Widmer-Schlumpf sagte, der Bundesrat werde das Gesetz voraussichtlich am 1. Januar 2013 in Kraft setzen. Ab diesem Zeitpunkt wären auch Gruppenanfragen möglich.

Die vorberatende Kommission hatte in Erwägung gezogen, einen Zeitpunkt ins Gesetz zu schreiben, am Ende aber darauf verzichtet. Zur Diskussion stand, Gruppenanfragen rückwirkend zuzulassen. Dies sollte dazu dienen, das Steuerabkommen mit Deutschland zu retten.

Informationen für «Abschleicher»
Deutschland hätte so eventuell Informationen über Steuersünder erhalten können, die ihr Geld in den letzten Monaten wegen des Steuerabkommens in ein anderes Land verschoben haben. Die nationalrätliche Wirtschaftskommission kam aber zum Schluss, eine Rückwirkung wäre rechtsstaatlich problematisch und würde die Chancen des Steuerabkommens nicht erhöhen. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass die Gerichte klären werden, ob Gruppenanfragen bereits für Sachverhalte zulässig sind, die sich ab dem 18. Juli ereignet haben, als der neue OECD-Standard verabschiedet wurde.

Das Steueramtshilfegesetz ist nun bereit für die Schlussabstimmung am Ende der Session. Es regelt generell, welche Angaben ein Gesuch enthalten muss, damit die Schweiz Amtshilfe leistet. (awp/mc/pg)

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