Ukraine: Geiseln frei – Gewalt in der Ostukraine tobt weiter

Ukraine: Geiseln frei – Gewalt in der Ostukraine tobt weiter

Die unterdessen in Slawjansk freigelassenen OSZE-Geiseln während ihrer Vorführung vor den Medien Ende April 2014

Moskau / Kiew – Nach der Freilassung der entführten Militärbeobachter gleitet die Ostukraine zunehmend in bürgerkriegsähnliche Zustände ab. Mit Kampfhubschraubern und Panzerfahrzeugen gingen Regierungstruppen am Sonntag erneut gegen prorussische Separatisten vor, es gab Tote und Verletzte. Der «Anti-Terror-Einsatz» werde fortgesetzt, kündigte Innenminister Arsen Awakow in Kiew an. Moskau befürchtet eine Grossoffensive der ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Bundesregierung verteidigte die Entsendung ihrer OSZE-Militärbeobachter in die Kampfzone.

Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen prorussischen und proukrainischen Kräften schwappen auf andere Landesteile über. Dabei verwandelt sich die Schwarzmeermetropole Odessa zu einem weiterem Zentrum der Gewalt. Eine mit Knüppeln bewaffnete Menge stürmte am Sonntag den örtlichen Sitz der Miliz, um moskautreue Gesinnungsgenossen zu befreien. Spezialeinheiten drängten die Angreifer laut örtlichen Medienberichten zuerst zurück. Unter dem Druck der Demonstranten habe die Polizei später zahlreiche Gefangene freigelassen, die nach den jüngsten Unruhen festgenommen worden waren. Augenzeugen sprachen von 30 Menschen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen
Angesichts der nicht enden wollenden Gewalt streiten Russland und die ukrainische Führung weiter, wer dafür verantwortlich ist. Kiew verantworte ein «Blutvergiessen, das schiessende Truppen an unbewaffneten Menschen» anrichteten, erklärte das Aussenamt in Moskau. Awakow sagte jedoch: «Wir werden weiter gegen Extremisten und Terroristen vorgehen, die Gesetze ignorieren und das Leben der Bürger gefährden.»

Gemeint sind die prorussischen Aktivisten, die mehr Autonomie für die Regionen im Osten der früheren Sowjetrepublik fordern. Seit Wochen halten die zum Grossteil bewaffneten Kräfte in der Region Dutzende Verwaltungsgebäude besetzt, sie haben zudem eine «Volksrepublik Donezk» ausgerufen.

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rechtfertigte die Entsendung der unbewaffneten Militärbeobachter in die umkämpfte Region. Die CDU-Politikerin wies Vorwürfe zurück, die Mission unter Leitung von Bundeswehroberst Axel Schneider sei zu riskant gewesen. Die Bundesregierung dürfe sich «nicht einschüchtern lassen», sagte sie im «heute journal».

Freigelassene Geiseln zurück
Nach acht Tagen Geiselhaft war das in Slawjansk festgesetzte Team am Samstag freigekommen. Die Männer, unter ihnen vier Deutsche, landeten abends an Bord einer Bundeswehr-Maschine in Berlin. Dem Team gehörten auch ein Tscheche, ein Däne und ein Pole an. Fünf Ukrainer, die das Inspektorenteam begleitet hatten, wurden von der Bundeswehrmaschine in Kiew abgesetzt. Ein kranker Schwede war schon vor einigen Tagen freigekommen.

Der Leiter der Mission, Oberst Schneider, äusserte sich erleichtert. «Von uns fällt im Moment ein beträchtlicher Druck», sagte Schneider. Es sei immer bedrohlicher geworden. Nach Beginn der jüngsten Offensive von Regierungseinheiten sei sprichwörtlich das Feuer von Handwaffen und von Artillerie immer näher gekommen.

CSU-Vizechef Peter Gauweiler kritisierte, die Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten in der Ostukraine – zeitgleich und ausserhalb der diplomatischen OSZE-Sondermission – seien nicht im deutschen Interesse. So lasse sich Deutschland «in plumper Weise» noch tiefer in den Konflikt hineinziehen, sagte er dem «Spiegel».

Der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, Alexander Neu, sagte der dpa, bis heute habe die Bundesregierung nicht plausibel dargestellt, was eigentlich unbewaffnete Bundeswehrangehörige in einem Krisengebiet zu suchen hatten. Offen sei auch, was die Beobachter ausgerechnet in Slawjansk inspizieren wollten. «Diese Mission war ein schwerer politischer Fehler, für die die Bundesregierung die Verantwortung trägt», bilanzierte er. Die Linke werde im Parlament Aufklärung verlangen.

Der SPD-Verteidigungsexperte Lars Klingbeil forderte einen Bericht des Verteidigungsministeriums. Fraglich sei, ob die Militärbeobachter im Sinne des Wiener Dokuments wirklich die Aufgabe hatten, nach Slawjansk zu fahren, sagte er der «Bild»-Zeitung (Montag).

Neue Gewalt in Odessa
In Odessa entlud sich am Sonntag nach einer Kundgebung von rund 2000 Gegnern der Regierung in Kiew neue Gewalt. Moskautreue Aktivisten stürmten eine Polizeistation. Bereits am Freitag lieferten sich Anhänger und Gegner der Übergangsregierung in Kiew schwere Strassenschlachten. Dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo Dutzende Menschen starben. Die Staatsanwaltschaft zählte insgesamt 46 Tote und 214 Verletzte.

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk machte Russland dafür verantwortlich. Es habe sich um einen «organisierten Angriff auf das Volk» gehandelt, sagte der prowestliche Politiker während eines Besuchs in der Millionenstadt am Sonntag. «Es war Russlands Absicht, in Odessa zu wiederholen, was sich im Osten des Landes ereignet», meinte Jazenjuk. (awp/mc/ps)

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