Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Zeit ist Geld

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Zeit ist Geld
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Geld regiert die Welt lautet ein altbekanntes Sprichwort und noch nie war dies zutreffender als heute. Gut sechs Jahre nach Ausbruch der grössten Finanz­krise der Nachkriegszeit sind alle Augen nur noch auf die Hüter des Geldes gerichtet. Die Regierungen der hochverschul­deten Industrieländer haben die Kompetenz in finanziellen An­gelegenheiten an die Währungshüter abtreten müssen, nachdem sie genug unter Beweis gestellt hatten, dass sie mit Geld, das ihnen nicht gehört, nicht umgehen können.

Sie liessen zu, dass in den von ihnen regierten Ländern massiv über die Verhältnisse gelebt wurde, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern beim ersten Gegenwind nicht die Wahrheit sagen wollten – nur um ihre Wahlchancen nicht zu gefährden. Dafür wurden sie wiederholt ver­tragsbrüchig, die Verträge von Maastricht wurden syste­matisch ausgehebelt und verdienen den Namen eines Stabilitätspaktes bekanntlich schon lange nicht mehr. Die Politiker schreckten auch vor Lügen nicht zurück. Als es schliesslich darum ging, die Zeche zu bezahlen, überlies­sen sie den Währungshütern das Feld, anstatt endlich dafür gerade zu stehen und sich und dem Volk die längst fällige Rosskur zu verordnen. Die Währungshüter sind indessen auch zusehend mit ihrem Latein am Ende und die Zeit, die sie für die Politiker immer teurer erkauften, geht zu Ende, ohne dass letztere sie nutzten. Die Geldpo­litiker müssten endlich eingestehen, dass sie die Bequem­lichkeit der alten Welt nicht mehr aufrichten können. Sechs Jahre geldpolitischer Experimente sind zu viel des vermeintlich Guten. Was als Rettungsübung in höchster Not noch sinnvoll war, wird nun immer mehr zur Last. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die nega­tiven Begleiterscheinungen der ultraexpansiven Geldpoli­tik häufen und die Verzerrungen unkontrollierbar wer­den. Sie sind inzwischen so gross, dass man sich fragen darf, ob man nicht besser von Anfang an den grossen Crash riskiert hätte, anstatt eine Rettungsübung aufzu­gleisen, von der man nie wusste, ob sie tatsächlich hilft oder am Ende erst recht in einen Crash mündet.

Die Zeit nach Lehman ist anders
Als die Finanzwelt im Spätsommer 2008 aus den Fugen geriet und die Realwirtschaft in eine tiefe Rezession zog, sah es danach aus, dass der Wille zur Veränderung gege­ben sei. Mit einer konzertierten globalen Rettungsaktion wurden Finanzmärkte provisorisch stabilisiert und die Rezession überwunden. Danach wäre es Zeit geworden, das System nicht nur zu überdenken, sondern einen radi­kalen Richtungswechsel ins Auge zu fassen. Es mag banal klingen, aber es tat offensichtlich nicht genügend weh. Nur so ist zu erklären, dass man noch immer Wachstum um jeden Preis – sprich Schulden – herbeizaubern möchte. Obwohl die Kassen längst leer sind, werden klamme Banken und Staaten gestützt, ohne dass die wirklich willens oder in der Lage wären, eine nachhaltige Wende zu vollziehen. Was kurzfristig sinnvoll gewesen sein mag, ist langfristig – und sechs Jahre sind eine lange Zeit – Gift. Doch heute sind die Märkte, namentlich die Finanzmärk­te, süchtig nach dem geldpolitischen Gift. Es ist wie Mor­phium. Das ist gut gegen starke Schmerzen, aber taugt nicht zur Ursachentherapie. Die ist langwierig und an­strengend. Das wussten die Staats- und Regierungschefs schon immer, weshalb sie es Ihren Wählern nie zumuten wollten, genauso wenig wie die Währungshüter es nun den Märkten zumuten wollen.

Der ewige Ausstieg
Darum wird der Ausstieg aus der ultraexpansiven Geld­politik immer illusorischer, zumindest ein Ausstieg ohne massive Entzugserscheinungen. Ende Mai 2013 bekamen wir einen Vorgeschmack, was allein schon eine Verbali­sierung des Ausstiegs anrichten kann: Bernanke’s Tape­ringankündigung schickte die Märkte bachab, so dass er schon bald in Erklärungsnotstand geriet. Die Macht der Geldhüter ist inzwischen so gross geworden, dass jedes Wort aus ihren Reihen an den Finanzmärkten auf die Goldwaage gelegt wird. Wenn kommenden Mittwoch die Fed Chefin Janet Yellen nur schon auf das Wort «considerable» (beträchtlich) verzichten dürfte, kann das schon wieder ein kleines Beben an den Märkten auslö­sen. Die Finanzmärkte haben sich inzwischen zwar mit dem Ausstieg aus dem QE III, das Ende Oktober ausläuft, abgefunden. Dies jedoch nur, weil eben noch dieser beträchtliche Zeitraum bis zur ersten Zinserhöhung ver­gehen sollte. Die EZB geht mittlerweile bekanntlich ihren eigenen Weg und liebäugelt auch schon mit Quantitative Easing, nachdem Draghis Bazooka nur dafür gut war, Panik abzuwenden und den reformunwilligen Politikern noch mehr Zeit zu verschaffen. Die konventionellen Mas­snahmen der EZB sind ausgeschöpft. Und auf Teufel komm raus den Kreditzyklus anzuwerfen, kann nicht funktionieren, wenn sich die Aussichten in Europa ver­düstern anstatt aufzuhellen. Auch wenn Draghi immer wieder Überraschungen aus dem Hut zaubert, verpufft deren Wirkung immer schneller. Und wenn die Glaub­würdigkeit der Währungshüter erst einmal ähnlichen Schaden erleidet, wie diejenige der Politiker, dann gibt es kaum mehr eine höhere Macht, die man anrufen könnte. Zeit für den Ausstieg also, auch wenn es noch so rum-pelt, ehe es zu spät dafür ist. Ansonsten läuft die Geldpo­litik Gefahr, dass die Märkte auch sie testen, so wie Is­land, Irland, Griechenland oder Zypern.

Geldpolitischer Krampf, nicht Kampf
Auch die SNB hat aus einer geldpolitischen Notfallübung mit der nun schon drei Jahre währenden Euroanbindung ein «Perpetuum immobile» geschaffen und dafür Unab­hängigkeit und Handlungsspielraum preisgegeben. Wieso musste eine Wechselkursuntergrenze fixiert werden und warum genau bei 1.20 CHF für einen Euro? Hätte es nicht genügt, den Märkten klar zu machen, dass jede spekulative Attacke gegen den Franken, wenn sie wie im September 2011 zu extrem ausfällt, ein Spiel mit dem Feuer ist, das die SNB entschieden bekämpft? Ohne zu konkretisieren, bei welchem Wert dies der Fall sei, wären jederzeit überraschende Interventionen möglich gewe­sen. Die Berechenbarkeit der Untergrenze verursacht nur unerwünschte Nebenwirkungen, die die SNB nun mit allen Mittel einzudämmen versucht. Auch hierzulande bewegt sich der geldpolitische Aktivitätslevel auf histori­schen Höchstständen, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Seit der Kurs zum Euro per währungspolitischem Dekret bei 1.20 fixiert wurde, verhält sich der Franken wie ein Euro, aktuell also eher wie eine schwache Währung. Die Tabuisierung der Wechselkursuntergrenze hat nicht nur dazu geführt, dass die SNB ihren Handlungsspielraum beschnitten hat, sondern dass jeder der sich dazu kritisch äussert, fast schon als Ketzer gilt. Dabei werden die ne­gativen Begleiterscheinungen dieser Wechselkurspolitik gänzlich ausgeblendet. Denn der Strukturwandel im Tou­rismus und wettbewerbsschwachen Exportzweigen wird ausgesetzt, die Immobilienpreise sind für immer weniger Leute tragbar, Vorleistungen aus dem Ausland und Roh­stoffe werden künstlich verteuert, Sparer sowie kom­mende Rentner schleichend enteignet. Dass die Nutznies­ser dieser Politik dies nicht in Frage stellen, ist nachvoll­ziehbar, dass aber die vermeintliche Unabhängigkeit der SNB sie auch immun für jede Kritik macht, schon weni­ger. Es wird auch hierzulande Zeit für den Ausstieg, denn die Zeit frisst Geld auch in der Schweiz. (Raiffeisen/mc/ps)

 

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