Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: 9000 Meter über Meer

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: 9000 Meter über Meer
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Nein so hoch ist kein Berg in der Welt. Der Mount Everest bringt es bekanntlich auf 8’848 Meter. Aber der SMI schnuppert neuerdings in der Todeszone von über 9’000 Punkten. Kaum jemand hat das dem Schweizer Aktienmarkt Anfang Jahr zugetraut. Doch wenn man das Jahr Revue passieren lässt, muss man eingestehen, dass es ein beschwerlicher Weg zu diesem Gipfel war. Der jüngste Rückschlag und der pfeilschnelle Rebound der Kurse in Oktober waren heftig und fundamental nicht erklärbar und konfrontierten die Anleger mit einem Szenario, das immer wieder eintreten kann, wenn die Marktkonstellation zur Instabilität neigt und grosse Erwartungen in die Kurse eingepreist sind.  

Jahresendrallye
Die Stimmung an der Börse ist derzeit ziemlich unberechenbar. Die einzige Konstante ist, dass sie sich hundertprozentig auf die Geldpolitik konzentriert. Die Worte des EZB Chefs werden in Europa inzwischen höher gewichtet als Konjunktur- oder Unternehmensdaten. Für die Finanzmärkte ist klar, dass die EZB nächstes Jahr wohl auch Staatsanleihen kaufen wird, nachdem sie das zunächst nur als weitere Möglichkeit des Quantitative Easing ins Spiel gebracht hatte. Jetzt muss nur noch die Zuversicht wachsen, dass die Konjunktur in den Vereinigten Staaten robust genug ist, um erste Zinserhöhungen wegzustecken, wenn sie denn kommen Mitte 2015. Dann könnten die amerikanischen Märkte und der SMI ihre Rekordjagd durchaus fortsetzen, denn mit der schwachen europäischen Konjunktur haben sich die Märkte inzwischen abgefunden. Beim SMI stehen nun ganz grosse Hürden an, ein Indexstand von 10’000 Punkten ist ambitiös, aber gar nicht mehr unrealistisch, nicht nur weil für die Börsianer eine solch runde Zahl besondere Anziehungskraft ausübt. Die Jahresendrallye hat jedenfalls früh eingesetzt 2014. Mitte Oktober begann der Gipfelsturm und im November setzten die Kurse dann neue Höchstmarken. Wenn der Markt jetzt erst einmal durchatmet, wäre das auch keine Überraschung.

Kann 2015 überhaupt noch besser werden?
Klar ist, dass in den heutigen Bewertungen eine rosige Zukunft eingepreist ist. Nachdem sich die Märkte als robust gegenüber den geopolitischen Verwerfungen erwiesen und die konjunkturellen Erwartungen global auf ein moderates Mass zurückgeschraubt wurden, dürften die Märkte 2015 nicht mehr zu so vielen Zugeständnissen bereit sein wie 2014 und die Nachhaltigkeit der Bewertungen sehr kritisch im Auge behalten. Denn jeder weiss, dass Aktien mittlerweile teuer geworden sind und die aktuellen Kurse nur dann gerechtfertigt, wenn die Unternehmen neue Gewinnrekorde erzielen. Darauf zu setzen, dass das den Schweizer Unternehmen etwas mehr als drei Jahre nach Einführung der Wechselkursuntergrenze zum Euro gelingt, ist eine ziemliche Wette. Sie kann nur aufgehen, wenn Europa tatsächlich aus dem Sumpf kommt. Denn auch wenn unsere Exportindustrie nicht mehr so stark von Europa abhängig ist, wie in früheren Dekaden, bleibt Europa immer noch der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Nur wenn Europa wie-der auf die Beine kommt, können auch die Gewinne steigen, so einfach ist die Formel. Die Chancen dafür sind noch intakt, aber es darf nur wenig dazwischen kommen. Spanien darf den jüngsten Schwung nicht verlieren, Deutschland schon gar nicht und Frankreich besser auch nicht in eine technische Rezession abtauchen, Italien muss sich aus der Stagnation lösen und Griechenland und Portugal dürfen nicht wanken, das hoffen die Börsianer 2015.

Etwas unheimlich
Etwas unheimlich ist der Höhenflug der Kurse schon. Viel unheimlicher noch als der Anstieg der Immobilienpreise. Doch sowohl für Aktien als auch Immobilien gilt, dass sie chronischen Nullzinsumfeld schlichtweg alternativlos sind. Wer sein Geld ein Jahr festanlegt, erzielt faktisch überhaupt keine Rendite. Unternehmensanleihen sind bisweilen noch eine Alternative, da sie immerhin etwas Zins abwerfen, aber mittlerweile auch hoch bewertet. So bleibt vielen Anlegern gar keine andere Wahl, als auf Dividendenpapiere auszuweichen. Solange die Dividendenrendite weit über dem risikofreien Zinssatz liegt, ist auch die Absturzgefahr an den Aktienmärkten begrenzt. Wie im Oktober gesehen, als sich der SMI kurzfristig unter 8’000 Punkte verabschiedete, worauf dann wieder kräftige Käufe einsetzten. Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir solche Ausschläge gesehen haben. Wem das unheimlich vorkommt, der sollte definitiv nicht mit Aktien liebäugeln; wer aber 10’000 eine runde Zahl findet, schon. (Raiffeisen/mc/ps)

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