«Digital Natives»: Viel Zeit im Netz – doch Offline-Welt überraschend wichtig

«Digital Natives»: Viel Zeit im Netz – doch Offline-Welt überraschend wichtig
(Foto: Pixabay)

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Zürich – 1996 am Weltwirtschaftsforum in Davos wurde das erste Mal von «Digital Natives» gesprochen. Heute, kurz vor dem 20. Geburtstag des vielzitierten Begriffes, ermöglicht das Credit Suisse Jugendbarometer einen Einblick in die Welt dieser Generation, die inzwischen erwachsen geworden ist.

Doch obwohl – oder vielleicht gerade weil – die «Digital Natives» das Leben ohne Internet gar nicht kennen, präsentiert sich die Jugend bei der Internetnutzung äusserst heterogen. Je nach Dienstleistung, Transaktion oder Prozess wählen die Jugendlichen den digitalen oder den analogen Weg: Gerne bezahlt man online, und auch bei gesellschaftlich-politischen Aktivitäten, Hobbys und bei der Stellensuche wird das Internet den analogen Möglichkeiten sehr oft vorgezogen. Eher auf herkömmliche Art werden jedoch Bekanntschaften und das Flirten gepflegt. Auch die Arbeit, die Finanzberatung, der Kleidereinkauf und – mit Ausnahme der Schweiz – der Produktevergleich geschehen nach wie vor vorwiegend offline.

Brasiliens Jugend äusserst online-affin
Soweit die generellen Ergebnisse, doch der Globalisierung zum Trotz bestehen klare regionale Unterschiede hinsichtlich der konkreten Ausprägung dieser Digitalisierung. So gibt sich beispielsweise besonders die brasilianische Jugend in den meisten Bereichen äusserst online-affin, und auch in den USA und Singapur dringt die Digitalisierung bis weit in die verschiedenen Lebensbereiche vor.

Schweiz: Politisches und gesellschaftliches Engagement analog
In der Schweiz hingegen wird je nach Situation entschieden: Wählen und Abstimmen sowie politisches und gesellschaftliches Engagement bleiben hier beispielsweise analog; also jene Lebensbereiche, die stark mit politischen und gesellschaftlichen Werten im Zusammenhang stehen. Dazu passt, dass sich 60% der Schweizer Jugendlichen im Gegensatz zu jenen in den anderen untersuchten Ländern einem Verein zugehörig fühlen, vor vier Jahren waren es erst 52%.

Überraschenderweise sind die «Digital Natives» dem Internet gegenüber nicht vorbehaltlos positiv eingestellt. Zwischen 72% (USA) und 86% (Brasilien) sehen Vorteile für sich persönlich, aber weit weniger sind sich sicher, ob die immer grössere Vernetzung auch für die Gesellschaft gut ist (60% USA, 66% Schweiz, 75% Singapur und 83% Brasilien).

Nebst der digitalen Identität wurden unter anderem Beruf/Bildung, Lebensstil/Trends, Ziele im Leben und die Probleme der Jugendlichen abgefragt.

Die zehn wichtigsten Erkenntnisse des Jugendbarometers 2015 im Überblick:

  1. Digitale Welt: Die wichtige oder gar unverzichtbare Rolle des Internets für über 85% zeigt sich bei den Jugendlichen vor allem bei der Nutzungsdauer: Mit Ausnahme der Schweiz verbringt die Mehrheit der Jugendlichen mehr als zwei Stunden täglich im Netz, und zwar für private Zwecke, sprich zusätzlich zu Schule oder Arbeit.
  2. Datenschutz: Für über 78% ist klar, dass sie sich im Internet selber schützen müssen. 69% wünschen sich aber auch, dass der Staat hier eine bedeutendere Rolle einnehmen würde.
  3. Facebook: Das soziale Netzwerk spielt bei allen digitalen Themen eine zentrale Rolle – mehr als die Hälfte der Befragten finden gar, Facebook verändere die Welt. Doch erstaunlicherweise ist die Plattform für die Kommunikation nicht mehr so wichtig, da dominiert ganz klar WhatsApp (ausser in den USA). Das Netzwerk hat eine andere Funktion übernommen: 27% der Befragten aus Singapur, 22% aus den USA, 17% aus Brasilien und 5% aus der Schweiz geben an, Facebook sei ihre wichtigste Informationsquelle. Somit ist Facebook für diese Generation ein wichtigeres Nachrichtenmedium als News-Apps, Radio, TV oder Zeitungen.
  4. Mediennutzung: Im Jugendbarometer liess sich der Leserschwund von Bezahlzeitungen schon früh erkennen; nun deutet sich an, dass dem Fernsehen ein ähnliches Schicksal drohen könnte: Sogar im TV-Land USA ist das Fernsehen erstmals nicht mehr unter den Top 3 der Dinge, die angesagt sind. In der Schweiz ist die Popularität des Fernsehens innert fünf Jahren von 80% auf 62% gesunken. Parallel dazu verläuft der Aufstieg der Videoplattform YouTube, die in allen vier untersuchten Ländern als in gilt. Interessanterweise ist das Radio konstant beliebt, zumindest in der Schweiz.
  5. Out: Als unattraktiv in allen vier Ländern gelten Drogen und Rauchen sowie politische Parteien und Religionen. Zudem sind veraltete Internetplattformen wie Myspace und Orkut (mittlerweile nicht mehr in Betrieb) bei den Jugendlichen unbeliebt.
  6. Finanzen: In den USA und Brasilien haben 20% bis 30% der Jugendlichen Schulden, in Singapur und vor allem in der Schweiz ist die Anzahl weitaus tiefer (etwa 12% respektive 3%) – diese Zahlen sind seit Jahren ungefähr konstant.
  7. Ziele: Diese Generation möchte ein bisschen von allem: Selbstverwirklichung und Arbeit, die erfüllend ist und den eigenen Talenten entspricht. Die Work-Life-Balance soll stimmen und man will viele verschiedene Dinge ausprobieren. Dann erst folgt das, was Vater und Mutter vielleicht eher hören möchten – Karriere machen und mehr Wohlstand als die eigenen Eltern erreichen. Bezeichnenderweise werden diese zwei letzten Punkte vor allem in dem Land genannt, welches das tiefste Pro-Kopf-Einkommen aufweist: Brasilien. In der Schweiz hingegen stehen solche Ziele eher im Hintergrund.
  8. Karriere/Beruf: In welchen Branchen wären die Jugendlichen am liebsten angestellt? 1. Medien, 2. Tourismus, 3. Bildungswesen, 4. Telekommunikation, 5. Gesundheitswesen, 6. Banken. Jedoch hat eine grosse Anzahl der Befragten in allen Ländern die Erfahrung gemacht, dass weibliche Arbeitskräfte benachteiligt werden. Und nirgendwo ist die Zustimmung zu dieser Aussage so hoch wie in der Schweiz (57%).
  9. Zukunft: Die befragten Jugendlichen – sie sind geboren zwischen 1990 und 1999 – blicken optimistisch nach vorne. In der Schweiz hat die Zuversicht seit 2010 Jahr für Jahr zugenommen, heute sind 64% optimistisch. So hohe Werte erreicht kein anderes Land. Traditionell waren auch die Brasilianerinnen und Brasilianer im Jugendbarometer jeweils sehr hoffnungsvoll, doch die letzten, schwierigen Jahre und die düsteren wirtschaftlichen Prognosen liessen die Gruppe der Optimisten auf 58% schrumpfen (-15 Prozentpunkte seit 2012). In den USA (57%) und in Singapur (47%) beurteilen die 16- bis 25-Jährigen die eigene Zukunft dagegen zuversichtlicher als in den letzten drei Jahren.
  10. Sorgen: Die pessimistischere Haltung in Brasilien (Punkt 9) hängt eng mit den Problemen des Landes zusammen: Drei von vier Jugendlichen in Brasilien finden, es gebe zu viel Korruption im Land. Kein anderes Problem in keinem anderen Land wird derart einstimmig diagnostiziert. Auch die Arbeitslosigkeit bereitet in Brasilien wieder mehr Sorgen (59%). Sie ist auch in Singapur (33%) und in den USA (50%) ein grosses Thema. In der Schweiz stehen hingegen Ausländerthemen zuoberst (51%).

Zusammenfassung Schweiz: Ausländersorgen und Generationenkonflikt
In der Schweiz haben die Sorgen rund um Ausländer generell – und um Flüchtlinge im Besonderen – in den letzten fünf Jahren stetig zugenommen. 51% der Jugendlichen finden heute, Ausländer und Ausländerinnen stellten das grösste Problem des Landes dar, 2010 waren es erst 44%. Und 38% sorgen sich um Asylfragen, 2010 waren es 22%.

Als weiteres grosses Problem wird die Altersvorsorge genannt (43%, 2010 waren es erst 29%): Es bahnt sich ein Generationenkonflikt an. Die entsprechende Frage «Halten Sie es für ein Problem, dass es immer mehr ältere und immer weniger junge Menschen gibt?» wird von immer mehr jungen Schweizerinnen und Schweizern bejaht: 72% sehen das heute so, 2010 waren es erst 65%.

Interessant ist, was die Schweizer Jugendlichen mit geschenkten 10‘000 Franken tun würden. Hier widerspiegeln sich die wirtschaftlich angespannten Jahre der jüngeren Vergangenheit: Sie würden durchschnittlich 1’163 Franken «für schwierige Zeiten sparen», das sind 324 Franken mehr als noch 2010.

Nationale Unterschiede
Brasilien ist in vielen Bereichen das digitalste Land: In Brasilien wird mehr online geflirtet und eingekauft, es werden mehr Online-Freundschaften gepflegt und -Finanzberatungen abgefragt als in den anderen drei Ländern. Doch die grossen Probleme des Landes beunruhigen die Jugend: 73% von ihnen bereitet die Korruption Sorgen. Auch die Arbeitslosigkeit beschäftigt wieder mehr – verständlich, hat doch die Arbeitslosenquote bis 2014 kontinuierlich abgenommen und ist jetzt wieder angestiegen.

In den USA hat die Hauptsorge, die Arbeitslosigkeit, mit der wirtschaftlichen Entspannung etwas an Dringlichkeit verloren, trotzdem sehen sie noch 50% als Problem an. Die nächstgrösste Sorge, der Terrorismus, teilen 33%. Auf dem dritten Platz folgt der Rassismus mit 30%. Eine amerikanische Eigenheit ist, dass der weltweit beliebte Nachrichtendienst WhatsApp nur von 4% genutzt wird (Schweiz: 84%). Der Grund: Das Senden von SMS war in den USA von Beginn weg meist kostenlos, es gab nie einen Grund, auf einen anderen Dienst umzusteigen.

In Singapur zeichnet sich mit dem demografischen Wandel eine neue Entwicklung ab: Die Alterung der Bevölkerung, respektive die niedrige Geburtenrate, wird als Hauptproblem angesehen. Fragt man direkt, ob der immer grössere Anteil an älteren Menschen ein Problem darstelle, antworten 67% der Jugendlichen mit «Ja». Die Resultate korrelieren jedoch nicht mit dem Medianalter der Bevölkerung: Singapur weist das zweitjüngste Medianalter der untersuchten Länder auf (34 Jahre). Eine andere Erklärung könnte die Grösse des Landes sein: In einem Kleinstaat, wo man dicht aufeinander wohnt, wird die Bevölkerungsdurchmischung stärker wahrgenommen. Dazu passt, dass auch in der Schweiz die Überalterung als Problem wahrgenommen wird. (CS/mc/pg)

Jugendbarometer 2015

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