Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Gift für die Märkte

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Gift für die Märkte
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Bessere Daten hat der amerikanische Arbeitsmarkt seit Jahren nicht gesehen und doch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es 2015 zu keiner Zinserhöhung mehr kommen wird. Und somit auch fast in der ganzen Welt nicht. Ja es gibt mittlerweile sogar Stimmen an der Wall Street, die selbst bis zu den Wahlen im November 2016 mit keiner Zinserhöhung mehr rechnen. Das ist aus heutiger Perspektive zwar eine gewagte Wette. Doch so ganz absurd ist sie bei näherem Hinsehen gar nicht.

Zyklus überschritten?
In der Debatte über das Ob und Wann der Zinswende spielt die Reife des amerikanischen Konjunkturzyklus seit dem Sommer die Hauptrolle. Zweifellos sendet der Arbeitsmarkt Signale höchster Reife. Würde es aber danach gehen, wäre die Federal Reserve ihrem ursprünglichen Credo treu geblieben und hätte die Zinsen spätestens im Frühjahr anheben müssen. Der Arbeitsmarkt ist jedoch nicht mehr im Fokus der US-Notenbank.

Vielmehr die Frage, ob sich nach der Dollarstärke und den Marktturbulenzen in und um China nun nicht sogar ein allgemeiner zyklischer Abschwung der US-Wirtschaft anbahnt. Das wäre – anders kann man es wohl kaum ausdrücken – Gift für die Märkte. Die Vorstellung, dass sich das Wachstum der Wirtschaft vielleicht sogar bald kritisch verlangsamen könnte und wir noch immer in einem Nullzinsregime festsitzen, sorgt für ziemliches Unbehagen an den Märkten. Der amerikanische Aktienmarkt kommt deshalb seit geraumer Zeit auch nicht mehr richtig vom Fleck.

Und selbst die europäischen Märkte sind trotz des laufenden QE der EZB und eines die Erwartungen erfüllenden Konjunkturverlaufs nicht mehr so euphorisch wie in der ersten Jahreshälfte, was fast ausschliesslich am amerikanischen Zaudern liegt.

In der Zwickmühle
Wenn Janet Yellen jetzt noch länger mit einem ersten Zinsschritt wartet, läuft sie Gefahr, den letztmöglichen Zeitpunkt dafür zu verpassen. Doch inzwischen ist die Fed in der Zwickmühle. Dreht sie im reifen Zyklus an der Zinsschraube, wird ihr noch vorgeworfen, einen Abschwung erst eingeleitet zu haben. Das ist ihre momentan grösste Sorge. Daher ist jetzt absolutes Feintuning gefragt. Nicht ganz einfach für die meisten Geldhüter, dies sich daran gewöhnt haben, mit grobem Geschoss zu arbeiten. Wir stehen aber vor der paradoxen Situation, in der sich die Finanzmärkte nichts sehnlicher als eine klitzekleine Zinserhöhung wünschten und nun nicht wissen, ob sie sich freuen oder darüber hadern sollen, dass ihr Wunsch unerfüllt bleibt. Diese Markstimmung ist nicht nur wenig konstruktiv, sondern auch sehr anfällig und einzig Frau Yellen kann daran etwas ändern. Bis es soweit ist, leisten ihr die Märkte Gesellschaft – in der Zwickmühle.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

 

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