Fredy Iseli, CEO Ecocell (Schweiz) AG, im Interview

Fredy Iseli, CEO Ecocell (Schweiz) AG, im Interview

Fredy Iseli, CEO Ecocell (Schweiz) AG. (Foto: Ecocell)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Iseli, für Ihr Bausystem, mit dem man Gebäude aus Altpapier und Holz erstellen kann, hat die Ecocell AG den GreenTec Award in der Kategorie «Bauen und Wohnen» gewonnen. Herzliche Gratulation dazu. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Fredy Iseli: Diese Auszeichnung kam für uns völlig überraschend. Natürlich freuen wir uns sehr über diesen Preis. Immerhin gilt der GreenTec Award als eine der bedeutendsten Auszeichnungen in Europa im Bereich Nachhaltigkeit. Zugleich bestätigt die Auszeichnung, dass wir mit unserer Innovation im Bausektor einen sehr aktuellen wie auch sensiblen Punkt adressiert haben: Eine grössere Umweltverträglichkeit beim Bau von Immobilien sowie die Eindämmung der steigenden Baukosten durch ein neues Konzept.

Sie haben das System über viele Jahre entwickelt. Welcher Grundgedanke liegt der Innovation zu Grunde?

Als Architekt ging es mir darum, herkömmliche Baustoffe wie Ziegelstein und Beton, die grosse Mengen an grauer Energie für ihre Herstellung benötigen und damit auch viel CO2 verursachen, durch einen umweltfreundlicheren und nachhaltigen Werkstoff zu ersetzen. Der neue Baustoff sollte leicht sein, nachhaltig und wenig oder kein CO2 im Fussabdruck hinterlassen. Auch sollten sich Häuser schneller und preiswerter bauen lassen als bisher. Altpapier, das in Recyclingkreisläufen gesammelt und weltweit in riesigen Mengen mehrfach immer wieder zu Wellkarton verarbeitet wird, ist so ein Werkstoff. Er besteht in seinem Ursprung bekanntlich aus Holz, das in Nutzwäldern gewonnen wird.

Häuser aus Recycling-Papier – das hört sich zuerst seltsam an. Wie erreichen Sie die hohe Belastbarkeit? Wie funktioniert die nachhaltige Ecocell-Technologie?

Wie jeder weiss, ist Papier ein sehr flexibles Material. Als Wellkarton verarbeitet erreicht es bereits beachtliche Stabilität. Werden viele solcher Wabenstrukturen zu dicken Platten verarbeitet, ergibt sich eine enorm hohe Tragfähigkeit. Wird diese Wabenstruktur dann noch mit einem hauchdünnen Überzug aus einer speziellen Zementemulsion beschichtet, erreichen die Papierwaben Tragfähigkeiten von über 220 Tonnen je Quadratmeter. Zugleich erzielen wir damit die notwendige Feuerfestigkeit und Wasserresistenz. Diese sogenannte ‘Betonwabe‘ wird abschliessend mit Holzplatten zu einem Verbundwerkstoff verleimt und die so entstehenden Sandwichelemente für das Bausystem genau auf Mass bearbeitet.

«Häuser, die mit dem Ecocell-System erstellt werden, sind besonders umweltfreundlich, denn ihr CO2-Fussabdruck ist positiv.»
Fredy Iseli, CEO Ecocell (Schweiz) AG

Welches sind die herausragenden Eigenschaften des neuen Baustoffs?

Ecocell muss man als Verbundwerkstoff sowie ganzheitlich als ein Bausystem betrachten. Die besonderen Eigenschaften sind in erster Linie dessen Nachhaltigkeit sowie die Tatsache, dass es sich beim Verbundwerkstoff um die erste statisch belastbare Isolation der Welt handelt. Der Werkstoff ist leicht, brandgeschützt, wärmedämmend und hoch belastbar. Ausserdem ist Ecocell ein Schnellbau-System. Wände und auch ganze Häuser lassen sich damit in einem Bruchteil der sonst üblichen Bauzeit errichten, den Rohbau beispielsweise für ein Einfamilienhaus in weniger als einer Woche.

Und noch eine Besonderheit: Investitionsschutz. Die Bauelemente, die mit einem einfachen Nut/Feder-Prinzip miteinander verbunden und verschraubt sind, lassen sich z.B. bei ihrer Verwendung zur Raumunterteilung bei Gewerbeimmobilien ganz einfach wieder auseinandernehmen und als flexibles Wandsystem woanders erneut verwenden, wenn sich die Raumaufteilung verändert. Eine solche Flexibilität ist einmalig.

Wie gross ist die Reduktion der Emissionen gegenüber dem konventionellen Hausbau?

Häuser, die mit dem Ecocell-System erstellt werden, sind besonders umweltfreundlich, denn ihr CO2-Fussabdruck ist positiv. Das bedeutet: Der Baustoff Ecocell bindet CO2 anstatt CO2 zu emittieren, wie dies bei der Herstellung von Beton und Backstein der Fall ist. Das Delta beträgt in etwa 1 zu 3. Bezogen auf ein Haus mit drei Etagen und einer gesamten Wohnfläche von 600 Quadratmetern heisst das in Zahlen: Während der Werkstoff Ecocell rund 50 Tonnen an CO2 aus der Atmosphäre bindet, gibt die Herstellung konventioneller Baustoffe für eines solches Haus rund 100 Tonnen CO2 in die Umgebung ab.

Ihr Ziel ist es, möglichst wenige verschiedene Bauelemente zu verwenden. Wie individuell lassen sich so Bauausführungen gestalten?

Unsere raumhohen Bauelemente verwenden ein Rastermass von 78,5 cm Breite. Der Freiraum für eine individuelle Gestaltung wird hierbei so gut wie nicht eingeschränkt. Daneben verwenden wir für den Rohbau Wandstärken von 11,5 cm und 19,5 cm für Wände sowie 27,5 cm für Decken mit immerhin bis zu sechs Meter Spannweite.

In St. Margrethen wurde Ende letzten Jahres das erste Haus mit dem neuen Bausystem aufgestellt. Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Insgesamt entstehen in St. Margrethen vier Einfamilienhäuser. Aktuell bauen wir in Uttwil mehrere Reihenhäuser. Weitere Objekte in Rorschacherberg und Romanshorn sind in Planung, darunter auch ein Hotel mit 30 bis 50 Doppelzimmern sowie eine Seniorenresidenz.

«Auf der Grundlage von Ecocell entstehen energetisch optimierte Häuser nach einem ökonomisch wie ökologisch ungewöhnlichen Gesamtkonzept.»

Sie verfolgen über den Baustoff hinaus bei Ihren Projekten einen ökonomischen und ökologischen Ansatz. Wie sieht dieser aus?

Die Philosophie von Ecocell verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: das umweltfreundliche Haus. Der neue Verbundwerkstoff und das Bausystem Ecocell sind hierbei wesentliche Facetten: Auf der Grundlage von Ecocell entstehen energetisch optimierte Häuser nach einem ökonomisch wie ökologisch ungewöhnlichen Gesamtkonzept. So erzeugen die Häuser durch Photovoltaik auf Dach und Fassade ihre elektrische Energie selbst. Eine hinter Glas angeordnete “transparente Wärmedämmung” isoliert und produziert elektrischen Strom. Die Eigenversorgung macht die Häuser und Wohnungen teilweise und vollkommen unabhängig vom Netz.

Hinzu kommt ein im Mietpreis der Wohnungen enthaltenes Elektromobil für jeden Haushalt. Es ist Bestandteil des innovativen Konzepts und dient der emissionsfreien Mobilität. Die Batterien des E-Mobil werden diesen „ECO-Solar-Häusern“ ebenfalls mit Energie gespeist.

Sie projektieren und bauen Häuser aus Ecocell ausschliesslich für die eigene Immobiliengesellschaft. Die Häuser werden nicht verkauft, sondern vermietet. Weshalb?

Es ist unser Ziel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Um Preisspekulationen beim Baugrund vorzubeugen und damit hohe Mieten, suchen wir stattdessen Baugrund im Baurecht mit langjähriger Nutzungsdauer. Dem Verpächter, beispielsweise auch Bürgergemeinden, sichert dies eine attraktive Verzinsung. Zugleich dämpft dieses Modell den Mietzins für die Wohnungen.

Das Ecocell-Bausystem erlaubt den Bau von Häusern in reiner Trockenbauweise. Wo fertigen Sie die Elemente und welche Kapazitäten bestehen?

Unsere Elemente-Produktion befindet sich Sulgen TG, wo wir die Papierwaben mineralisch beschichten, mit Holz beplanken und die verleimten Verbundelemente auf einem computergesteuerten Bearbeitungszentrum auf Mass bearbeiten. Die Papierwaben selbst kommen aus unserer neuen Fertigungsanlage an unserem Standort in Sigmaringen in Baden Württemberg, rund 70 km von Sulgen.

«Um Preisspekulationen beim Baugrund vorzubeugen und damit hohe Mieten, suchen wir stattdessen Baugrund im Baurecht mit langjähriger Nutzungsdauer.»

Welche Zeit- und Kostenvorteile gegenüber herkömmlichen Bauweisen ergeben sich durch die automatisierte Produktion in der Fabrik?

Die in der Fabrik vorgefertigten Bauelemente und die Trockenbauweise auf der Baustelle ergeben für das fertige Haus einen Kostenvorteil zwischen 15 und 20 Prozent. Die Bauzeit für den Rohbau verringert sich im Schnitt um 85 Prozent.

Ecocell ist ein Schnellbau-System und würde sich entsprechend eignen, in Katastrophengebieten – zum Beispiel nach einem Erdbeben – oder auch in Flüchtlingslagern eingesetzt zu werden. Welche Bestrebungen gibt es in diese Richtung?

Unterkünfte aus dem Ecocell-Bausystem sind nicht nur schnell aufgestellt. Häuser aus diesem System sind aufgrund des Verbundwerkstoffs wie auch der verschraubten Nut/Feder-Verbindung der einzelnen Elemente auch erdbebensicher und bieten Schutz. Hinsichtlich dem Bau von Flüchtlingsunterkünften im Freien oder der Nutzung als flexibles und wiederverwendbares Wandsystem in Hallen stehen wir in Kontakt mit verschiedenen Gemeinden, auch in der Schweiz.

Herr Iseli, besten Dank für das Interview.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert