Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Kakophonie im Quadrat

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Kakophonie im Quadrat
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Wie schon beim Brexit lagen wieder fast alle schief und entgegen allen Erwartungen haben die USA vorgestern Nacht einen Präsidenten gewählt, der monatelang und auch noch am vergangenen Wochenende als unmöglicher und chancenloser Kandidat gehandelt wurde. Seine Wahl ist eine Sensation. Sie sorgte weltweit für sehr viel Gesprächsstoff, wobei dieser Gesprächsstoff auf Grund grosser Inhaltsleere eigentlich fast nur emotional verarbeitet wurde.

Wer weiss schon wirklich, was jetzt auf uns zukommt? Klartext: niemand, auch wenn es plötzlich ganz viele gibt, die geahnt haben, dass es so raus kommt und was nun folgt. Ich kann Ihnen mit gutem Gewissen raten, auszublenden, was nun so über den Ticker läuft. Es wird garantiert anders kommen. Auch ich fasse mich daher heute lieber kurz, denn viel Schlaues lässt sich noch gar nicht sagen.

Dort wo die Profis und Experten Informationen jeder Art am schnellsten verarbeiten, namentlich an den Finanzmärkten, ereignete sich gestern mal wieder seltsames. Der Nikkei folgte dem brachial vereinfachten Muster „Clinton bewährt – Trump unberechenbar“ und verlor über 5%. Auch die mexikanische Börse hatte keine Freude am Wahlergebnis, jedoch weniger weil sich die Börsianer dort schon Gedanken darüber machten, ob nun ein Mauerbau bevorsteht, sondern wohl auch mehr aus Angst davor, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern verschlechtern könnten. In Südamerika fiel die erste Reaktion der Märkte diesem Muster folgend ebenso entsprechend negativ aus. Diese Reaktionen sind zumindest einigermassen nachvollziehbar.

Masslose Übertreibungen in den USA und Europa, Pharmaland Schweiz freut es
Doch das war es dann auch schon in Sachen einfacher Logik. In Europa etwa öffneten die Börsen tief in der Verlustzone und da auch die Futures in Amerika steil nach unten zeigten, schien klar, dass die Märkte auf dem alten Kontinent und der neuen Welt zumindest gestern kräftig Federn lassen würden. Am Ende schlossen aber Euro Stoxx 50 und die grösseren nationalen Börsen im Plus und die amerikanischen eröffneten sogar leicht über Vortagsniveau. Darauf hätte kaum jemand gesetzt. Die (Finanz-)Welt muss sich offenbar erst noch an Trump gewöhnen und vollzog gestern einen klitzekleinen, ersten Schritt in diese Richtung, in dem sie sich zumindest mit dem Wahlergebnis abfand und nun wohl der Zeit Raum verschafft. Somit bleibt als erstes Fazit der Marktreaktionen gestern: viel Rauch um nichts, da nichts konkret.

An den Bondmärkten und auch denen für Rohstoffe ging es gestern übrigens ähnlich stürmisch zu wie an den Aktienbörsen. Letztendlich wurde aber nur Nervosität gehandelt und nicht etwa ein fundamental begründbarer Richtungswechsel. Doch halt, die gestrige Kakophonie an den Märkten ist damit noch nicht vollends kommentiert, es fehlt noch unser Land, das gestern besonders hervorstach und die Börsenlogik endgültig als Idiotie enttarnt. Nicht etwa der sogenannt defensive Charakter unseres Marktes entlud sich zuerst in einem positiven Kursfeuerwerk, sondern vor allem die massiven Kursgewinne der beiden Schwergewichte im Schweizer Aktienmarkt Roche und Novartis. Analysten für Pharmaaktien konnten Trump offenbar einiges abgewinnen und gaben sofort Entwarnung. Für sie wäre schliesslich Clinton die Angstwahl gewesen, hatte die unterlegene Präsidentschaftskandidatin in der Vergangenheit wiederholt allein schon damit kleine Kursstürze verursacht, dass sie die hohen Gesundheitskosten anprangerte.

Abwarten und Tee trinken
Auf den ersten Blick ist dies kein origineller Ratschlag, aber bloss keine Hektik jetzt und nüchternen Kopf bewahren. In den kommenden Wochen wird sich herausstellen, wer Recht hat und ob diese Wahl wirklich so schlimm ist, wie im Vorfeld befürchtet wurde oder sogar das Gegenteil, einen Bullenmarkt ins Leben ruft. Momentan wird alles herumgereicht. Bankaktien boomten, weil Wall Street und Co. auf Deregulierung spekulieren, Rüstungsaktien dito, weil der eine oder andere „make America great again“ militärisch interpretiert, Pharma, Biotech und Life Science hoben ab, weil Clinton – wie erwähnt – als grösseres Übel empfunden worden wäre. Das ist alles nur keine stabile Meinung. Mit Trump werden sich die Märkte rascher abfinden als die meisten dachten. Das heisst aber nicht, dass nun der richtige Einstiegszeitpunkt gekommen ist. Denn bald schon wird nicht mehr Trump sondern Yellen wieder den Taktstock schwingen. Und dann wird sich zeigen, dass selbst ein kleines Zinsschrittchen, ob nur befürchtet oder auch tatsächlich mehr bewirkt an den Märkten als ein vermeintliches Beben in der politischen Exekutive. (Raiffeisen/mc)

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

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