EZB geht ersten Minischritt in Richtung geldpolitischer Straffung

EZB geht ersten Minischritt in Richtung geldpolitischer Straffung
EZB-Chef Mario Draghi. (Foto: EZB)

Tallinn / Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen ersten, kleinen Schritt in Richtung geldpolitischer Straffung unternommen. Dazu nahm sie in ihrer Erklärung zum Zinsentscheid zwei Änderungen in der Wortwahl vor. Wie EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag nach der auswärtigen Sitzung im estnischen Tallinn erklärte, bewertet der EZB-Rat die Wachstumsaussichten nunmehr weitgehend ausgewogen. Bisher war über Jahre hinweg von «nach unten gerichteten» Risiken die Rede gewesen.

Eine zweite Änderung bezieht sich auf den Zinsausblick. Anstatt wie bislang die Möglichkeit weiterer Zinssenkungen zu signalisieren, strich die EZB den entsprechenden Hinweise in ihrer Erklärung. Demnach dürften die Leitzinsen über einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau verbleiben. Den bisher stets erwähnten Hinweis, dass das Zinsniveau auch noch niedriger ausfallen könnte, wurde gestrichen. Der EZB-Rat begründete die Entscheidung damit, dass das Risiko einer Deflation – einer Spirale aus fallendem Preisniveau und wirtschaftlichem Abschwung – nicht mehr existent sei. Analysten hatten diese Änderung wie auch den optimistischeren Wachstumsausblick erwartet. Beides deutet eine etwas weniger lockere geldpolitische Haltung des EZB-Rats an.

Mehr Wachstum – weniger Inflation
Zuvor hatte die Notenbank mitgeteilt, ihre extrem lockere Geldpolitik mit Nullzinsen und milliardenschweren Wertpapierkäufen fortzusetzen. Nach wie vor beträgt der Hauptleitzins null Prozent, für Bankeinlagen bei der EZB werden Strafzinsen von 0,4 Prozent fällig. Die Wertpapierkäufe belaufen sich auf unverändert 60 Milliarden Euro je Monat und laufen bis mindestens Ende 2017. Eine Ausweitung dieses Programms, dessen Volumen mittlerweile knapp 1,9 Billionen Euro beträgt, wird wie bisher nicht ausgeschlossen.

EZB-Präsident Draghi gab sich vor Pressevertretern einerseits zuversichtlicher für das Wirtschaftswachstum, andererseits aber wenig zuversichtlich für die Preisentwicklung. Diese Einschätzung spiegeln auch neue Projektionen der EZB wider. So wurden die Wachstumsvorhersagen für 2017 bis 2019 leicht erhöht, die Inflationsprognosen für dieselben Jahre dagegen verringert. An der schwachen Inflation habe sich in der letzten Zeit nichts geändert, unterstrich Draghi. Er verwies wiederholt auf die schwache Kerninflation, also die Preisentwicklung abzüglich Energie und Lebensmittel.

Zinssenkungen weiter möglich
Draghi versuchte, Gründe für die schwache Kerninflation zu benennen. Er verwies etwa auf die in vielen Euroländern durchgeführten Strukturreformen zur Wachstumsstärkung, die die Lohnentwicklung gedämpft haben könnten. Zudem nannte er die Art der Lohnfindung, die eher vergangenheits- als zukunftsbezogen sei. Man müsse geduldig, zuversichtlich und hartnäckig sein, um die Inflation wieder in den Zielbereich der EZB von knapp zwei Prozent zu heben, sagte Draghi.

Eine Normalisierung der Geldpolitik, also konkrete Schritte dorthin, sei nicht diskutiert worden, sagte Draghi auf Rückfrage. Es habe zwar einige Wortmeldungen dazu gegeben, aber keine Debatte darüber. Ebenfalls auf Rückfrage unterstrich Draghi, dass Zinssenkungen trotz der Streichung der entsprechenden Passage in der Zinserklärung grundsätzlich möglich seien, falls sich die Rahmenbedingungen verschlechtern sollten.

An den Finanzmärkten geriet der Euro während Draghis Äusserungen unter Druck und fiel kurz unter 1,12 US-Dollar. Die Renditen vieler Staatsanleihen im Euroraum gaben ebenfalls nach. An den Aktienmärkten waren die Reaktionen verhalten. (awp/mc/upd/ps)

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