Stefan Ruf, CEO Euler Hermes Schweiz, im Interview

Stefan Ruf, CEO Euler Hermes Schweiz, im Interview
Stefan Ruf, CEO Euler Hermes Schweiz (Bild: Euler Hermes)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Ruf,  die Liquiditätspositionen in Unternehmen, die nicht zum Finanzsektor gehören, haben im letzten Jahr eine Rekordsumme in Höhe von 7 Billionen USD erreicht. Was ist der Grund dafür und was braucht es, dass dieses Bargeld wieder in den produktiven Kreislauf fliesst?

Stefan Ruf: Einerseits haben die Firmen in den Zeiten der grossen Unsicherheit Reserven angelegt und gleichzeitig wurden Investitionen zurückbehalten. Das Wirtschaftswachstum hat nach der Finanzkrise dazu geführt, dass sich die Cashbestände zusätzlich erhöht haben.

«Auch der Druck der Aktionäre für mehr Dividenden und Aktienrückkäufe sowie das Aufspüren von rentablen Investitionsmöglichkeiten führten zu den überdurchschnittlichen Geldreserven» Stefan Ruf, CEO Euler Hermes Schweiz

Die grössten Bargeldreserven werden aktuell im Technologiesektor angehäuft. Ein Ausdruck von zu hohen Gewinnen oder fehlenden Übernahme- und Investitionsmöglichkeiten?

Dieser Rekordbetrag spiegelt die Herausforderungen wider, denen sich die gesamte Branche gegenübersieht: Die harte Konkurrenz und die Notwendigkeit für dauerhafte Innovationen und damit enorme Investitionen in Forschung und Entwicklung. Aber auch der Druck der Aktionäre für mehr Dividenden und Aktienrückkäufe sowie das Aufspüren von rentablen Investitionsmöglichkeiten führten zu den überdurchschnittlichen Geldreserven  in dieser Branche.

Die aktuell anlaufende Digitalisierung und Automatisierung fordert alle Industrien. Welche sind aktuell am besten aufgestellt, von den Entwicklungen zu profitieren, welche sind den grössten Gefahren ausgesetzt?

Wenn wir die Auswirkungen auf die Cashbestände als Kriterium nehmen, sind Transport, Telecom, Haushaltsgeräte und Maschinen & Ausrüstungen den grössten Gefahren ausgesetzt, bedingt durch tiefere Auftragsbestände. Auch bei den Unternehmen im Energie-, Metall-, und Agrifood-Bereich lässt sich eine sinkende Rentabilität in den letzten zwei Jahren feststellen.

«Es zeigt sich, dass die grossen Firmen eher mehr Mühe haben um in der sicheren Zone zu bleiben, weil die Anpassungsprozesse träge sind und mehr Zeit brauchen.»

Bei den weltweiten Insolvenzen ist im ersten Quartal 2017 ein Anstieg bei den Grossunternehmen (Umsatz über 50 Millionen EUR) zu verzeichnen. Was sind die Gründe und Auswirkungen dieses Anstiegs?

Es zeigt sich, dass die grossen Firmen eher mehr Mühe haben um in der sicheren Zone zu bleiben, weil die Anpassungsprozesse träge sind und mehr Zeit brauchen. Die meisten Grosskonkurse betreffen Retail und Services. In diesen Branchen ist die Geschwindigkeit in der Digitalisierung und in der Einführung von neuen Geschäftsmodellen sehr hoch.

In Europa blickt man gespannt auf die Entwicklung Grossbritannien nach der Entscheidung für den Brexit. Entgegen vieler Untergangsszenarien scheint es der  Wirtschaft prächtig zu gehen mit erwarteten zwei Prozent Wachstum für 2017 und einer rekordtiefen Arbeitslosigkeit von etwa 4.6 Prozent. Welche Entwicklung ist für UK zu erwarten, welche Risiken gilt es zu beachten?

In UK wird eine Zunahme der Insolvenzen um 5% über das ganze Jahr 2017 prognostiziert. Dies hat auch mit den Konkursen von grossen britischen Retailern zu tun, die sich negativ auf die Electronics- und Manufactoring-Lieferanten auswirken werden – auch global. Jetzt gilt es die Entwicklung bis 2020 aufmerksam zu verfolgen.

Der Frankenschock ist endgültig verdaut, die Exportindustrie floriert (2016 Zuwachs von 3.8 Prozent). Welches sind für die Schweizer Unternehmen die vielversprechendsten Wachstumsmärkte, wo ist Vorsicht geboten?

In Asien sind nebst China und Taiwan, Singapur und Hongkong die Sorgenkinder. In Südamerika Brasilien und Chile. In Europa ist es eher Osteuropa, wo Vorsicht geboten werden muss, wobei es in einzelnen Ländern auch eine Trendwende gibt wie zum Beispiel in Ungarn, aber hier noch auf sehr tiefem Niveau.

Euler Hermes selbst ist durch neue Entwicklungen und Risikoverschiebungen gefordert, am Markt neue Dienste zu erbringen. Welche neuen Angebote stehen an, in welchen Bereichen investieren Sie für zukünftige Produkte?

Euler Hermes sieht sich in der Rolle als Navigator der Wirtschaft. Dazu gehört die Bereitstellung von Daten und Informationen, damit Firmen ihre Kreditrisiken managen können. In der Vergangenheit wurde dieser Service vor allem bei Eintreten eines Schadenfalls genutzt, in der Zukunft soll es aber für die Erschliessung von Geschäftsfeldern sein. Das heisst die Services rücken ganz an den Anfang der Servicekette und begleiten den Kunden im täglichen Geschäft – im Bedarfsfall bis zur Deckung eines Schadens. Die Voraussetzung dazu ist, dass die Services und Deckungen immer mehr in digitaler Form angeboten werden.

Amerika nach der Wahl von Donald Trump bietet ein zwiespältiges Bild: Politisch gespalten wie selten zuvor, eine sich langsamer als im Vorjahr entwickelnde Wirtschaft und ein Präsident, der ein starkes Amerika propagiert. Auf was sollen sich Schweizer Unternehmen im US-Geschäft einstellen?

Die USA bleibt einer der wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Die US Wachstumsraten werden sich aber im Rahmen der Vorjahre im Bereich von 2 bis 2.5% entwickeln und somit unter dem langjährigen Schnitt bleiben. Die Insolvenzen steigen, allerdings gibt es starke Unterschiede zwischen den Branchen. Dazu kommt die Unsicherheit hinsichtlich protektionistischer Massnahmen. Schweizer Firmen müssen sich deshalb in nächster Zeit mit einer gewissen Unsicherheit arrangieren.

«Die USA bleibt einer der wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Die US Wachstumsraten werden sich aber im Rahmen der Vorjahre im Bereich von 2 bis 2.5% entwickeln und somit unter dem langjährigen Schnitt bleiben.»

Der Finanzmarkt ist geprägt durch zunehmende Regulierungen und Compliance-Anforderungen (Basel III, Solvency II etc.). Wir wirkt sich das auf den Kautionsmarkt und auf das Geschäft von Euler Hermes aus?

Die Anforderungen des Regulators an die Finanz- und Versicherungsindustrie unterscheiden sich nicht gross. Im Markt ist jedoch ein zunehmendes Interesse an Versicherungspartnern für das Garantiegeschäft spürbar. Das ist nicht erstaunlich, weil dieses Geschäft global versicherungsdominiert ist, während die Banken den Cash-Kreditbedarf abdecken. Eine Aufteilung von Geldkredit bei der Bank und Kautionskredit bei der Versicherung gibt einem Unternehmen mehr Spielraum und macht durchaus Sinn.

Die EZB hält an ihrer Nullzins-Politik fest, obschon sich die wirtschaftliche Lage in Europa erholt. Welche Risiken birgt das und wann erwarten Sie eine Rückkehr zur Normalität?

Die EZB hat angekündigt in nächster Zeit ihre lockere Geldpolitik zu beenden. Dauerhaft tiefe oder gar sinkende Preise führen zu einer Verzögerung der Investitionen und könnten die Konjunktur abwürgen. Da die Inflationsrate in den letzten Monaten etwas gestiegen ist und die Konjunktur besser läuft, sind die Voraussetzungen für geldpolitische Kursanpassungen günstig.

Welche Länder stehen bei Euler Hermes aktuell besonders im Fokus, weil sie ungewöhnlich grosse Chancen oder Risiken bieten?

In letzter Zeit verläuft die Entwicklung durch Länder und Branchen sehr heterogen. Dies sehen wir sehr gut am Beispiel von Europa. Die Situation kann sich aber auch sehr rasch ändern, weil wir im globalen System mit zunehmender Spezialisierung auch eine steigende Abhängigkeit schaffen. Generell bleiben aber sicher die grossen Volkswirtschaften wie USA und China im Fokus.

«Für die Schweiz ist die Digitalisierung eine grosse Chance.»

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche. Wie sehen die aus?

Für die Schweiz ist die Digitalisierung eine grosse Chance, denn sie gibt die Möglichkeit mittels hoher Automatisierung und digitalen Prozessen die heutigen Kostennachteile des Produktionsstandorts Schweiz zu kompensieren. Deshalb wünsche ich mir, dass die Unternehmen den Mut haben, das Risiko der dafür notwendigen Investitionen einzugehen. Gelingt das, kann ich getrost auf einen zweiten Wunsch verzichten.

Der Gesprächspartner:
Stefan Ruf wurde am 1. April 2013 zum CEO der Euler Hermes Schweiz AG ernannt.

Stefan Ruf begann seine Laufbahn 1992 bei der Schweizerischen Kreditanstalt Solothurn und absolvierte anschliessend eine langjährige Karriere in verschiedenen Führungspositionen im Corporate Business bei der Credit Suisse. Von 2006 bis 2013 war er Leiter der Abteilung „Special Products Leasing“ und gehörte dem Board of Directors der Credit Suisse Fleetmanagement AG an.

Stefan Ruf hat Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bern und Neuenburg studiert. Seit 2013 ist Stefan Ruf Vorstandsmitglied im Verband „Swiss Export“. In seiner Freizeit engagiert er sich als Präsident für die alljährlichen Powerman Duathlon Weltmeisterschaften in Zofingen.

Das Unternehmen:

Euler Hermes ist weltweiter Marktführer im Kreditversicherungsbereich und anerkannter Spezialist in den Bereichen Kaution, Garantien und Inkasso. Das Unternehmen verfügt über mehr als 100 Jahre Erfahrung und bietet seinen Business-to-Business-Kunden Finanzdienstleistungen an, um sie im Liquiditäts- und Forderungsmanagement zu unterstützen. Über das unternehmenseigene Monitoring System verfolgt und analysiert Euler Hermes täglich die Insolvenzentwicklung kleiner, mittlerer und multinationaler Unternehmen. Insgesamt umfassen die Expertenanalysen Märkte, auf die 92% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entfallen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Paris ist in mehr als 50 Ländern vertreten und beschäftigt mehr als 5‘800 Mitarbeiter. Euler Hermes ist eine Tochtergesellschaft der Allianz und ist an der Euronext Paris notiert (ELE.PA). Das Unternehmen wird von Standard & Poor’s mit einem Rating von AA- bewertet. 2016 wies das Unternehmen einen konsolidierten Umsatz von EUR 2,6 Milliarden aus und versicherte weltweit Geschäftstransaktionen im Wert von EUR 883 Milliarden.

Euler Hermes Schweiz beschäftigt rund 50 Mitarbeitende an ihrem Hauptsitz in Wallisellen und den weiteren Standorten in Lausanne und Lugano. Weitere Informationen finden sich unter: www.eulerhermes.ch

Firmeninformationen zu Euler Hermes bei monetas.ch

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