Nordkorea provoziert mit neuem Raketentest

Nordkorea provoziert mit neuem Raketentest

Pjöngjang – Mit dem Test einer neuen Interkontinentalrakete hat Nordkorea einmal mehr die Supermacht USA herausgefordert. Mit der neuartigen Rakete des Typs Hwasong-15 sei das Land nun in der Lage, das gesamte Festland der USA mit Atomsprengköpfen anzugreifen, liess die Führung in Pjöngjang am Mittwoch nach dem Test am frühen Morgen (Ortszeit) über das Staatsfernsehen verkünden. Weniger als 100 Tage vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang zeigte sich Südkoreas Präsident Moon Jae In besorgt, dass sich der Raketentest des Nachbarn eventuell auf das Grossereignis im Februar auswirken könnte.

Moon ordnete nach Angaben seines Büros an, zu überprüfen, ob der Test eine erfolgreiche Austragung der Spiele gefährden könnte. Der Austragungsort liegt nicht weit entfernt an der Grenze zu Nordkorea im Nordosten von Südkorea. Die Vorbereitungen laufen jedoch ungeachtet des verschärften Konflikts um das nordkoreanische Atomprogramm auf Hochtouren.

Weltweite Kritik
Der erste Raketentest von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un nach einer Pause von zweieinhalb Monaten stiess international auf scharfe Kritik. Südkorea und die USA warnten, dass der Weltfrieden bedroht sei. US-Präsident Donald Trump reagierte trotzdem sehr verhalten. «Das ist eine Situation, mit der wir umgehen werden», sagte er in Washington. Der Raketenstart ändere nichts an der Nordkorea-Politik der USA.

Nordkorea deklariert sich als Atomstreitmacht
Der Test der Hwasong-15 genannten Rakete sei «erfolgreich» gewesen, erklärte Nordkoreas Propaganda. Kim Jong Un erklärte den Berichten zufolge nach dem dritten Versuch einer ICBM in diesem Jahr stolz: Nun habe Nordkorea endlich das grosse historische Ziel realisiert, die Entwicklung einer staatlichen Atomstreitmacht abzuschliessen. Den USA wurde in der Erklärung eine «Politik der atomaren Erpressung» unterstellt. Nordkorea werde «keine Drohung für irgendein Land oder eine Region» darstellen. Im Juli hatte das Land nach eigenen Angaben zwei Raketen des Vorläufertyps Hwasong-14 getestet.

Unklarheit über Erfolg oder Misserfolg des Tests
Die Hwasong-15 sei vom «höchsten Abschusswinkel» gestartet worden, hiess es. Dadurch habe sie eine Höhe von 4475 Kilometern erreicht und eine Distanz von 950 Kilometern zurückgelegt, bevor sie ihr Ziel im Ostmeer (Japanisches Meer) getroffen habe. Die Streitkräfte Südkoreas und der USA hatten zuvor ähnliche Angaben zu den Entfernungen gemacht.

Südkoreas Ministerpräsident Lee Nak Yon äusserte jedoch Zweifel an den Angaben Nordkorea, dass der Raketenversuch erfolgreich gewesen sei. Der Kontakt zum Flugkörper sei ungefähr zur Mitte des Flugs abgebrochen, sagte Lee vor Journalisten in Seoul. «An diesem Punkt ist es schwer zu sagen, das ist ein Erfolg.»

Reichweite wird auf 13’000 km geschätzt
Die Rakete flog nach Angaben von US-Verteidigungsminister James Mattis so hoch wie keine vor ihr. Nordkoreas Forschung und Entwicklung von ballistischen Raketen, die eine Bedrohung «überall in der Welt» seien, dauerten an. Südkoreas Militär berichtete, die Rakete sei 4500 Kilometer hoch geflogen – zehnmal höher als die Umlaufbahn der internationalen Raumstation (ISS). Es waren der bisher längste Flug und die grösste Reichweite, die eine nordkoreanische Rakete erreichte.

Damit könnte die Rakete das US-Kernland treffen, wenn sie von einem Standard-Abschusswinkel abgefeuert eine normale Flugbahn erreicht hätte, meinten Experten. Sie schätzten die Reichweite auf 13 000 Kilometer. «Eine solche Rakete hätte mehr als genug Reichweite, um Washington und jeden anderen Teil der kontinentalen USA zu erreichen», meinte David Wright von der Vereinigung besorgter Wissenschaftler.

Allerdings ist fraglich, ob die Sprengköpfe auch den kritischen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre heil überstehen würden. Nordkoreas Propaganda gab vor, die Rakete habe einen «besonders schweren, grossen Sprengkopf» getragen. Der Experte Wright ging aber davon aus, dass der Sprengkopf «eine sehr leichte Attrappe» gewesen sei. Mit einem echten, deutlich schwereren Sprengkopf wäre eine solche Entfernung nicht zurückgelegt worden.

Ballistische Raketen werden zu Beginn der Flugphase sehr stark beschleunigt und fliegen dann ohne Antrieb weiter – bis sie die Schwerkraft wie einen geworfenen Ball oder Stein zurück auf die Erde zieht.

China äussert «grosse Sorge»
Trump telefonierte mit Südkoreas Präsidenten und Japans Premier Shinzo Abe. Südkorea reagierte nur fünf Minuten nach dem Start der Rakete mit Manövern und schoss drei Raketen für Zielübungen ins Meer. Moon warnte in Seoul vor einer Eskalation. Falls Nordkorea weiter Raketen entwickle, die andere Kontinente erreichen könnten, «könnte es zu einer Situation kommen, die nicht mehr gut zu machen ist». «Wir müssen verhindern, dass Nordkorea die Lage falsch einschätzt und uns mit Atomwaffen bedroht, oder dass die USA einen Präventivschlag erwägen könnten», sagte Moon.

Nordkoreas Nachbar China verurteilte den Raketentest und äusserte «grosse Sorge». Nordkorea solle sich an die UN-Resolutionen halten, die dem Land Raketenstarts untersagen. Pjöngjang solle nichts tun, was die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel verschärfe, sagte ein Aussenamtssprecher in Peking. «Wir hoffen, dass alle Parteien umsichtig handeln und gemeinsam Frieden und Stabilität in der Region sichern.»

Die russische Staatsführung rief zur Ruhe auf. «Es gibt keinen Zweifel, das ist ein provokanter Schritt», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Das könne zu weiteren Spannungen führen und eine Lösung des Konflikts verzögern. Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte «Nordkoreas neueste Provokation» scharf. «Es ist wichtiger denn je, gegen die Bedrohung der internationalen Sicherheit durch Pjöngjang zusammenzustehen», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

In den vergangenen Monaten hatten sich die Spannungen in der Region deutlich verschärft, nachdem Nordkorea mehrfach Raketen sowie Anfang September eine weitere Atombombe getestet und damit gegen UN-Resolutionen verstossen hatte. Die USA hatten Nordkorea vor einer Woche auf die Liste der staatlichen Unterstützer von Terrorismus gesetzt, was Pjöngjang als schwere Provokation kritisiert hatte. (awp/mc/pg)

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