Credit Suisse Sorgenbarometer: Altersvorsorge überholt Arbeitslosigkeit

Credit Suisse Sorgenbarometer: Altersvorsorge überholt Arbeitslosigkeit
(Foto: eyetronic - Fotolia.com)

Zürich – Die Altersvorsorge bereitet den Schweizerinnen und Schweizern am meisten Sorge, ihre Sicherung betrachten sie als das wichtigste politische Ziel. Damit wurde die Arbeitslosigkeit als Top-Sorge der Schweizer Bevölkerung abgelöst. Dies zeigt die neueste Erhebung des Credit Suisse Sorgenbarometers. Ausserdem schätzen die Befragten die eigene Arbeitsstelle als erstaunlich sicher ein, sehen die wirtschaftlichen Aussichten allerdings etwas getrübt. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der steigenden Lebenserwartung werden mitunter kritisch empfunden, speziell von älteren Leuten.

Im Auftrag der Credit Suisse hat das Forschungsinstitut gfs.bern die Schweizerinnen und Schweizer auch dieses Jahr nach ihren Sorgen und nach wesentlichen Identitätsmerkmalen des Landes befragt. Seit 2003 kannte das Sorgenbarometer einen einsamen Spitzenreiter: die Arbeitslosigkeit. Doch 2017 liegt die Altersvorsorge erstmals vorne. «Dieses Jahr hat sich die Sorgen-Hierarchie deutlich verschoben», sagte Manuel Rybach, Global Head of Public Affairs and Policy der Credit Suisse. «Alle Bevölkerungsschichten scheinen sich nun einig, dass die Vorsorge saniert werden muss.»

Altersvorsorge wie Arbeitslosigkeit werden gerundet von 44 % der Befragten zu den fünf wichtigsten Problemen der Schweiz gezählt; die Altersvorsorge liegt leicht vorne. Vor allem hat sie in der Sorgenwahrnehmung um 16 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr zugenommen, wohingegen die Arbeitslosigkeit im selben Zeitraum leicht eingebüsst hat, gegenüber 2015 gar 12 Prozentpunkte. «Der Trend könnte die Altersvorsorge zu einem klimaprägenden gesellschaftlichen Thema werden lassen», sagte Lukas Golder, Co-Leiter von gfs.bern, welches das Credit Suisse Sorgenbarometer seit 1995 erhebt. «Das Nein zur AHV-Reform 2020 nach der Erhebung hat kaum zu einer Beruhigung beigetragen. In solchen Stimmungslagen kommen Politik und Verwaltung unter starken Druck, für die Gesellschaft tragfähige Kompromisslösungen zu erarbeiten.» Auch auf die Frage nach dem wichtigsten politischen Ziel ist die häufigste Antwort denn die AHV. In diesem Zusammenhang nennen sie 24 % der Befragten.

Wenig Angst um Job
Kaum Einfluss auf die Wahrnehmung der Schweizer Stimmbevölkerung scheint hingegen die aktuelle Diskussion über den Wegfall von Stellen durch die Digitalisierung zu haben. Es wird im Vergleich zu Vorjahren nicht nur die Arbeitslosigkeit insgesamt von weniger Befragten als Bedrohung empfunden, sondern es glauben auch 37 % von ihnen dieses Jahr, ihr Job sei sehr sicher – so viele wie noch nie.

Die Sorgen «Ausländer» (35 %) und «Flüchtlinge/Asyl» (19 %) haben seit 2015 an Dringlichkeit verloren (minus 8 und minus 16 Prozentpunkte) und liegen auf den Plätzen 3 und 6 der Sorgenrangliste. Die Befragten wünschen dennoch eine Einschränkung oder zumindest eine Kontrolle der Einwanderung. Mehr als drei von vier Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern befürworten Kontingente für Ausländer, in der Romandie sind es gar 91 %.

Vertrauen: Viele Verlierer, aber Bundesgericht und Banken legen zu
Die Schweizer vertrauen ihren Institutionen wie kaum ein anderes Volk. 60 % vertrauen dem Bundesrat, während das Vertrauen in die jeweilige Regierung in OECD-Ländern durchschnittlich bei 42 % liegt. Dennoch hat es auch in der Schweiz dieses Jahr einen Dämpfer erlitten: Von den 20 in der Vertrauensrangliste höchstplatzierten Institutionen haben 18 an Vertrauen eingebüsst – nach jahrelanger allgemeiner Zunahme. Verlierer gibt es viele: Die Armee und die Nationalbank haben mit je minus 10 Prozentpunkten am stärksten an Vertrauen verloren, gefolgt von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen (minus 9 und minus 6 Prozentpunkte). Der ganze Medienblock (Fernsehen, Radio, Gratis- und Bezahlzeitungen) hat zudem zwischen 5 und 6 Prozentpunkte an Vertrauen eingebüsst.

Zu den wenigen Vertrauensgewinnern: Angeführt wird die Vertrauensrangliste zum dritten Mal in Folge vom Bundesgericht (66 %, plus 1 Prozentpunkt gegenüber 2016). Die Banken machten einen Sprung vom 15. auf den zweiten Rang, der Zuspruch stieg von 57 auf 61 % an – keine andere Institution gewann mehr Vertrauen.

Nationalstolz: Verbindend über politische Lager hinweg
Das Vertrauen in die Institutionen mag etwas unter Druck gekommen sein, doch das tut dem nationalen Zusammenhalt keinen Abbruch. Im Gegenteil. Fragt man, welcher geografischen Einheit sich die Befragten am meisten zugehörig fühlen, nennen 34 % die Schweiz (Vorjahr 25 %).

2004 waren 73 % der Schweizerinnen und Schweizer stolz oder sehr stolz auf ihr Land, 2010 waren es 82 %, heute sind es gar 90 %. Es scheint, dass diese neue, vorwärtsgewandte Identität, die auf Bildung, Forschung und Internationalität baut, eine breite Basis findet – auch politisch. Waren früher vor allem jene stolz auf die Schweiz, die sich selber als politisch «rechts» einordneten, gibt es heute beim Nationalstolz praktisch keinen Unterschied zwischen Rechts-, Mitte- und Links-Sympathisanten mehr.

Wirtschaftliche Lage: Verhaltene Einschätzung
Die Schweizerinnen und Schweizer schätzen das ökonomische Klima etwas pessimistischer ein als vor Jahresfrist: 24 % der Befragten glauben, die allgemeine wirtschaftliche Lage habe sich im vergangenen Jahr verschlechtert, nur 17 % finden, sie habe sich verbessert. Der Ausblick ist ebenfalls getrübt: 23 % denken, die Lage werde sich weiter verschlechtern – nur 17 % denken, in Zukunft werde es besser. Allerdings nimmt die Mehrheit der Bevölkerung keine klare Entwicklung in die eine oder andere Richtung wahr.

Die eigene wirtschaftliche Lage wird ebenfalls weniger gut bewertet als noch 2016, und auch der Ausblick fällt pessimistischer aus: 14 % der Befragten denken, es gehe abwärts – doppelt so viele wie letztes Jahr und so viele wie noch nie seit 1995. Anders als bei der Einschätzung der Allgemeinlage überwiegt der Optimismus hier aber noch leicht: 17 % der Schweizer Stimmbevölkerung glauben, es komme besser, und die Mehrheit denkt, es bleibe gleich.

Alte gegen das Alter
Der medizinische und technische Fortschritt führt dazu, dass Menschen immer länger leben. Im diesjährigen Sorgenbarometer wurde gefragt: «Wie beurteilen Sie die gesellschaftlichen Auswirkungen des langen Lebens?». Nicht ganz überraschend freut sich eine deutliche Mehrheit über diese (68 %). Trotzdem findet jeder Vierte, dass er oder sie die gesellschaftlichen Veränderungen eher oder gar nicht begrüsse. Zwar finden sich in allen Altersgruppen unter 70 immer mindestens zwei Drittel Befragte, die diese Entwicklungen positiv sehen. Von den Befragten über 70 freuen sich aber nur 55 % darüber, 35 % hingegen eher nicht oder überhaupt nicht. Über alle Altersgruppen hinweg sind 62 % der Befragten der Meinung, die finanzielle Absicherung im Alter sei in der Schweiz ungenügend. Das deckt sich mit anderen Sorgenbarometer-Resultaten dahingehend, dass die Befragten bei der AHV den grössten Reformbedarf ausmachen.

Heute ist die Alterspflegeversicherung in der Schweiz freiwillig. Laut Sorgenbarometer finden 48 % der Befragten, es brauche eine obligatorische Alterspflegeversicherung. Eine weitere Erkenntnis zu diesem Thema ist, dass 57 % der Befragten die Einschätzung teilen, das Leben im Alter werde durch die Automatisierung und Roboter angenehmer.

Identität: Entsteht eine neue Schweiz?
Ein Wandel der nationalen Identität deutet sich an. An erster Stelle liegt neu das gute Schul- respektive Bildungssystem. Die klassischen Merkmale der Schweizer Identität hingegen haben an Bedeutung eingebüsst: Die Neutralität wurde 2015 von 32 % der Befragten als eines der drei Hauptmerkmale der Schweiz genannt, letztes Jahr von 15 %, dieses Jahr von 11 %. Ähnlich negativ sieht die Beliebtheitskurve des Merkmals «Sicherheit» aus (19 %, 21 %, 12 %). Und auch «Landschaft» (10 %) und «Heimat» (6 %) haben über die letzten fünf Jahre kontinuierlich an Bedeutung verloren. Die «direkte Demokratie» wurde in den letzten Jahren immer von knapp 10 % der Befragten genannt – dieses Jahr sind es noch 4 %.

Bestätigt wird diese neue Schweizer Wertrangliste auch durch jene Aspekte der Wirtschaft, auf die man sehr oder ziemlich stolz ist. Auf den ersten Plätzen liegen: 1. internationale Firmen mit Sitz in der Schweiz, 2. Forschung, 3. starke Schweizer Marken im Ausland, 4. der internationale Qualitätsruf.

Die wichtigsten Erkenntnisse des Credit Suisse Sorgenbarometers 2017

  1. Die grösste Sorge der Schweiz ist die AHV/Altersvorsorge, finden 44% der Schweizerinnen und Schweizer. Welches politische Ziel ist prioritär zu behandeln? Auch da lautet die meistgenannte Antwort: die AHV (24 %).
  2. Beinahe gleichauf mit der AHV liegt die Arbeitslosigkeit auf dem zweiten Platz des Sorgenbarometers. Seit 2003 wurde sie ununterbrochen als grösstes Problem der Schweiz ausgemacht, und auch 2017 bleibt sie nahe an der Spitze – im Gegensatz zur Altersvorsorge aber mit sinkender Tendenz.
  3. Die Sorgen «Ausländer» (35 %) und «Flüchtlinge/Asyl» (19 %) haben seit 2015 an Dringlichkeit verloren (minus 8 und minus 16 Prozentpunkte). Mehr als drei von vier Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern befürworten aber Kontingente für Ausländer, in der Romandie sind es gar 91 %. 60 % der Befragten nennen aber auch die Fortsetzung der bilateralen Verträge mit der EU als erste oder zweite Priorität für die weitere Ausgestaltung der Beziehungen der Schweiz zur EU – womit diese Option deutlich populärer ist als ein EWR-Beitritt (erste oder zweite Priorität für 51 % der Befragten), die Kündigung der bilateralen Verträge (28 %) oder aber ein EU-Beitritt (21 %).
  4. Vertrauen: Angeführt wird die Vertrauensrangliste zum dritten Mal in Folge vom Bundesgericht (66 %, plus 1 Prozentpunkt gegenüber 2016). Die Banken machten einen Sprung vom 15. auf den zweiten Rang, der Zuspruch stieg von 57 auf 61% an. Von den 20 höchstplatzieren Institutionen haben die restlichen 18 hingegen an Vertrauen eingebüsst: die Armee und die Nationalbank um 10 Prozentpunkte, die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen um 9 respektive 6 Prozentpunkte.
  5. Wofür steht die Schweiz? An erster Stelle (13 %) wird das gute Schul- respektive Bildungssystem genannt. Einige klassisch helvetische Identitätsmerkmale wie Neutralität, Sicherheit, Landschaft oder Heimat haben in den letzten Jahren an Bedeutung verloren.
  6. Wirtschaftliche Aspekte, auf die man sehr oder ziemlich stolz ist: 1. internationale Firmen mit Sitz in der Schweiz, 2. Forschung, 3. starke Schweizer Marken im Ausland, 4. der internationale Qualitätsruf.
  7. 2004 waren 73 % der Schweizerinnen und Schweizer stolz oder sehr stolz auf ihr Land, 2010 waren es 82 %, heute sind es gar 90 %. Zwischen Rechts-, Mitte- und Links-Sympathisanten gibt es praktisch keine Unterschiede.
  8. 62 % der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind der Meinung, die finanzielle Absicherung im Alter sei in der Schweiz ungenügend. 57 % sind überzeugt, das Leben im Alter werde durch die Automatisierung und Roboter angenehmer.
  9. Die eigene und die allgemeine Wirtschaftslage werden etwas weniger positiv eingeschätzt als 2016, wenn auch eine absolute Mehrheit eine gleichgebliebene Lage wahrnimmt und für das nächste Jahr keine klare Entwicklung in die eine oder andere Richtung erwartet.

Sorgenbarometer: Repräsentative Umfrage
Welches sind die grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer? Und wie steht es um das Vertrauen in die Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Diesen Fragen geht die Credit Suisse seit nunmehr 41 Jahren in ihrer jährlichen Sorgenbarometer-Umfrage nach. Im Jahr 2017 befragte das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag der Credit Suisse 1000 Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz zwischen dem 26. Juni und 15. Juli. Der statistische Stichprobenfehler liegt bei ±3,2 Prozentpunkten.
Im Bulletin Nummer 4/2017 der Credit Suisse findet sich ein ausführliches Dossier mit Resultaten, Infografiken und Interpretationen. www.credit-suisse.com/bulletin
Die detaillierten Auswertungen der Studie, inklusive Infografiken, finden Sie unter:
www.credit-suisse.com/sorgenbarometer

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