Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Mal wieder die Zwei vor dem Komma

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Mal wieder die Zwei vor dem Komma
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Die Perspektiven für die Schweizer Wirtschaft sehen 2018 blendend aus. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um gut 2% zulegen. Auch wenn der Frankenschock noch nachhallt, können wir doch aufatmen (siehe Medienmitteilung zur Prognosekonferenz vom 10. Januar https://www.raiffeisen.ch/rch/de/ueber-uns/news/rch/wechselkurs-nicht-mehr-im-vorder-grund.html). Denn Europa bewegt sich, und wie. Allen voran schnaubt die Konjunkturlokomotive Deutschland mit einem Tempo, dass sich dort namhafte Ökonomen schon Sorgen machen, es könne zu einer Überhitzung kommen. Und das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Schweiz. Denn Deutschland ist nach wie vor unser wichtigster Handelspartner. Der Export nach Deutschland allein ist fast so gross wie die Ausfuhren nach ganz Asien oder ganz Nord- und Südamerika zusammengenommen. Die alte Formel, wonach es der Schweiz gut geht, wenn es in Deutschland wirtschaftlich rund läuft, gilt unverändert, auch wenn die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von ihrem nördlichen Nachbarn nicht mehr so gross ist wie früher.

Auch die leichte Aufwertung des Euros sorgt für eine gewisse Entspannung und so können sich exportorientierte Schweizer Branchen endlich ein wenig Luft verschaffen. In den letzten zwei Jahren rutschten fast alle Exportbranchen ins Minus, praktisch nur die Pharmaindustrie konnte ihre Ausfuhren steigern. Die Medikamentenhersteller werden auch 2018 wieder das absolute Schwergewicht der Exportwirtschaft bleiben und rund 40% der Schweizer Warenexporte bestreiten. Viele andere Branchen sind nun aber ebenfalls auf Erholungskurs und erstmals seit längerem zeigt sich das Exportwachstum breit abgestützt. Die stark von der europäischen Konjunktur abhängige Maschinen- und Metallindustrie wächst wieder, ebenso weniger gewichtete Exportbranchen wie Chemie oder Fahrzeugbau. Auch aus dem Gastgewerbe kamen in den letzten Monaten wieder ermutigende Zahlen. Von der steigenden Anzahl Touristen, insbesondere aus Fernost, profitiert nicht zuletzt auch die Uhrenindustrie, welche den Weg aus der Talsohle gefunden hat.

Deutschlands Aufschwung weiter fortgeschritten
So weit so gut. Trotzdem lässt sich die aktuelle Konjunkturlage in der Schweiz noch nicht mit dem rosigen Bild in Deutschland vergleichen, wo der Aufschwung weiter fortgeschritten ist. In unserem nördlichen Nachbarland herrscht schon länger Hochkonjunktur und der Fachkräftemangel wird zu einem immer grösseren Problem. Die mächtige und zuweilen auch unzimperliche Gewerkschaft IG Metall geht mittlerweile aufs Ganze und fordert u.a. eine Lohnerhöhung um satte 6%. Kommt es zu keiner Einigung im Tarifstreit, könnte es in der mit rund vier Millionen Beschäftige schweren Metall- und Elektroindustrie zum ersten Grossstreik seit 2003 kommen. Solche Meldungen lassen in Deutschland vereinzelt Befürchtungen vor einer Überhitzung und einer möglichen ausufernden Lohn-Preis-Spirale aufkommen, auch wenn die derzeitige Lohn- und Preisentwicklung noch moderat ist. Die Reallöhne sind seit 2014 um ca. 2% pro Jahr gestiegen, das Argument die Arbeitnehmer profitierten nicht vom Aufschwung ist also nur bedingt richtig.

Keine Überhitzungsgefahr in der Schweiz in Sicht
In der Schweiz hingegen ist eine mögliche Überhitzungsgefahr noch lange kein Thema. Dafür bräuchte es noch mindestens zwei, drei gute Wachstumsjahre. Die Erholung hat in der Schweiz spät eingesetzt und im Gegensatz zur Exportwirtschaft zeigt sich die Schweizer Binnennachfrage noch verhalten. Die Maschinen- und Metallindustrie beispielsweise meldet eher schwache Auftragseingänge aus dem Inland. Noch scheinen die Unternehmen hierzulande nicht in der Lage, bzw. gewillt, zu expandieren und entsprechend die Investitionen hochzufahren. Das zeigt u.a. auch die jüngste Kreditmarktstatistik der SNB. Die Geschäftsbanken erhöhen ihre Kreditlimiten schon seit einigen Quartalen, insbesondere für Grossbanken, aber auch für KMUs. Letztere machen von dieser Gelegenheit aber noch kaum Gebrauch (siehe Grafik). Der grösste Pfeiler der Binnennachfrage wiederum, der Privatkonsum, entwickelt sich zwar stabil, ist aber ebenfalls nicht gerade auf Überholspur. Das Bevölkerungswachstum hat sich in den letzten ein, zwei Jahren verlangsamt und damit auch die Konsumnachfrage. Hier sind auch 2018 keine grossen zusätzlichen Impulse zu erwarten, denn mit der Konjunkturerholung in Europa ist auch die Zuwanderung rückläufig. Insbesondere aus den südeuropäischen EU-Mitgliedsländern kommen massiv weniger Zuwanderer als noch vor wenigen Jahren. Auch die letztes Jahr leicht gestiegene Teuerung spricht gegen einen Konsumschub, denn sie schmälert das Reallohnwachstum.

Es lässt sich also konstatieren: Für Optimismus gibt es 2018 gute Gründe, Euphorie ist allerdings nicht angebracht. Ihnen allen wünsche ich auf jeden Fall schon Mal ein frohes und erfolgreiches Neues Jahr! (Raiffeisen/mc/ps)


Quelle: Raiffeisen

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