Digitale Innovationsfähigkeit: Schweiz in den Diplomrängen

Digitale Innovationsfähigkeit: Schweiz in den Diplomrängen
Reto Savoia, stellvertretender CEO von Deloitte Schweiz.

Zürich – Wie gut ist die Schweiz im Vergleich mit anderen OECD-Ländern bei der Anwendung und Entwicklung digitaler Technologien aufgestellt? Dieser Frage ist Deloitte in Zusammenarbeit mit BAK Economics nachgegangen und hat dazu den Index «Digitale Innovationsfähigkeit» entwickelt. Er misst die Fähigkeit eines Landes, innovative digitale Technologien zu entwickeln, zu kommerzialisieren und anzuwenden, um damit langfristig den Wohlstand einer Volkswirtschaft zu sichern. Die Schweiz schneidet mit dem 8. Rang insgesamt gut ab, hat aber vor allem in den Bereichen Start-ups sowie Investitionen und Patente Aufholbedarf. Der Staat, aber vor allem die hier ansässigen Unternehmen, müssen mit gezielten Massnahmen vorgehen, um das Potenzial der Digitalisierung noch besser zu nutzen.

Im Vergleich mit anderen Industrieländern schneidet die Schweiz bei vielen volkswirtschaftlichen Indikatoren bekanntlich überdurchschnittlich gut ab. Sie verfügt über eine hohe Wettbewerbsfähigkeit, niedrige Arbeitslosigkeit und niedrige Staatsschulden. Bei der Produktivität ist die Schweiz hingegen nur Mittelmass. Das Produktivitätswachstum hat sich in den letzten Jahren nicht nur abgeschwächt, es lag auch deutlich unter demjenigen anderer Industrieländer.

Abbildung 1 – Entwicklung des Arbeitsproduktivitätswachstums: Fünfjahresdurchschnitte des jährlichen Wachstums (Quelle: OECD, Deloitte)

Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und die Gesellschaft stetig zugenommen hat. Anders gesagt scheinen sich die Fortschritte der Digitalisierung der letzten Jahre noch kaum auf die Produktivitäts-Statistiken ausgewirkt zu haben. Ein Hauptfaktor dafür ist, dass sich diese vorwiegend im Konsumentenbereich bemerkbar gemacht haben. Hingegen fand eine breite Anwendung neuster digitaler Technologien auf Unternehmensseite noch kaum statt. Ferner dürften einige digitale Technologien auch erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung stehen.

Trotz abnehmendem Produktivitätswachstum besteht kaum Zweifel daran, dass digitale Technologien das derzeit grösste Potenzial bieten, die Produktivität und damit den Wohlstand der Bevölkerung langfristig zu steigern. Entscheidend dafür ist aber, wie innovationsfähig bzw. wie gut gerüstet die Schweiz und die hier ansässigen Unternehmen sind, dieses Potenzial zu nutzen.

Um dies zu messen, hat Deloitte in Zusammenarbeit mit BAK Economics den Index «Digitale Innovationsfähigkeit» entwickelt. Dieser zeigt auf, wie die Schweiz im Vergleich mit den anderen OECD-Ländern bei der Entwicklung, Anwendung und Kommerzialisierung digitaler Technologien aufgestellt ist. Drei Grundpfeiler stehen im Zentrum des Index: Talente, Start-ups sowie Investitionen und Patente.

Schweiz auf dem 8. Rang: Gut, aber nicht gut genug?
Insgesamt schneidet die Schweiz relativ gut ab. Mit 51 Punkten liegt sie auf Rang 8 von 35 gemessenen OECD-Ländern (siehe Tabelle). Anders gesagt: Die Schweiz schneidet überdurchschnittlich ab, es besteht aber noch relativ viel Raum nach oben. Vor allem der Rückstand auf die erstplatzierten USA ist gross. Damit zeigen diese Resultate ein etwas anderes Bild als die bekannten und vielzitierten Innovations- und Wettbewerbsrankings, bei denen die Schweiz seit Jahren an der Spitze liegt.

Abbildung 2 – Rangliste Top 20 der OECD-Ländern. Anmerkung: Die grünen Rauten bilden den jeweiligen Wert der einzelnen Länder in der Gesamtverteilung ab. Die dunkelgraue Raute zeigt den Durchschnitt. Ganz rechts liegt die maximal erreichte Punktzahl, ganz links das Minimum. (Quelle: Deloitte, BAK Economics)

Talente: Schweiz schneidet sehr gut ab
Beim ersten Hauptpfeiler, den Talenten, gehört die Schweiz zur Spitzengruppe. Die Schweiz kann nicht nur auf einen guten Pool an Arbeitskräften zurückgreifen, auch die Aussichten für die Zukunft sind erfreulich. Das liegt vor allem an der Qualität des Schweizer Bildungssystems. Dank dieses Bildungssystems, den renommierten Hochschulen und einer hohen Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte erreicht die Schweiz den zweiten Platz aller OECD-Länder.

Verbesserungsbedarf besteht vor allem bei der MINT-Ausbildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und der Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Grundausbildung. Bei der Zahl der MINT-Abgänger ist die Schweiz nur OECD-Mittelmass. Jugendliche sollten stärker für technische Berufe begeistert und die Kooperation zwischen Schulen und Unternehmen verstärkt werden; hierzu wurden bereits erste Massnahmen getroffen. Bei den digitalen Grundkompetenzen der Beschäftigten liegt die Schweiz nur knapp über dem OECD-Durchschnitt. Mitverantwortlich dafür dürfte die noch unzureichende Verankerung von IKT-Kompetenzen in der Grundausbildung sein. Hier gilt es anzusetzen; einerseits, indem das Verständnis für technische Fächer in der Schule allgemein gestärkt wird, und anderseits, indem IT als Fach mehr Gewicht bekommt.

Start-ups: Fehlende Gründeraffinität, relativ gute Infrastruktur
Der zweite Grundpfeiler des Index, Start-ups, misst die unternehmerische Aktivität eines Landes und dessen Affinität zu Unternehmertum. Hier schneidet die Schweiz mittelmässig ab – mit Platz 17 liegt sie genau im OECD-Durchschnitt. Hauptfaktoren dafür sind die fehlende Gründeraffinität, die relativ geringe Start-up-Aktivität und regulatorische Hürden im Gründungs- und Insolvenzprozess von Unternehmen. Positiv ins Gewicht fallen die digitale Infrastruktur sowie die internationale Ausrichtung der Start-ups.

Reto Savoia, stellvertretender CEO von Deloitte Schweiz, sagt: «Bei den Start-ups hat die Schweiz Aufholbedarf. Die Affinität der Bevölkerung zu Unternehmertum ist hierzulande kleiner als in angelsächsischen Ländern wie die USA, Kanada und Neuseeland. Ansatzpunkte bieten sich hier vor allem bei der gesellschaftlichen Wahrnehmung und dem Status des Unternehmertums. Hier gilt es, Unternehmertum und Start-ups als valide Karriereoptionen zu thematisieren und Studierende und Auszubildende entsprechend vorzubereiten. Ebenfalls entscheidend sind Hilfen bei der Unternehmensgründung, sei es durch eine Verknüpfung von Universität und Unternehmen, universitäre Start-up-Förderung oder private Akzeleratoren. Die Schweiz hat hier ihre Position bereits stark verbessert, bleibt aber hinter den weltbesten Angeboten zurück.»

Investitionen & Patente: Hohe Investitionen, tiefe Vernetzung
Der dritte Grundpfeiler des Index «Digitale Innovationsfähigkeit» misst die Investitionen in Innovation, einmal in Form von Kapitalinvestitionen und einmal in Form von Investitionen in digitales Wissenskapital, Letzteres gemessen über Patente. Bei den Investitionen und Patenten liegt die Schweiz in den Top 10. Die IKT-Investitionen sind sehr hoch, die Wertschöpfung des IKT-Sektors hingegen relativ gering. Auch die Zahl der digitalen Patente pro Kopf ist im OECD-Vergleich relativ hoch. Im Gegensatz dazu durchdringen digitale Technologien die Patente anderer Technologien noch zu wenig.

«Bei der Zahl der digitalen Patente pro Kopf kann sich die Schweiz in den Top 10 platzieren. Dagegen ist die Breitenwirkung digitaler Technologien weit unterdurchschnittlich; die Anwendung der digitalen Technologien in anderen Technologiefeldern – der sogenannte Durchdringungsgrad – liegt weit hinter den Spitzenreitern in diesem Gebiet», sagt Marc Bros de Puechredon von BAK Economics, und fügt hinzu: «Die wichtigste Erkenntnis für die Schweiz ist, dass sie in den einzelnen Technologien international mithalten kann, aber in der Technologieverflechtung Schwächen aufweist. Sie kann ihre vorhandenen digitalen Kompetenzen nicht in dem Masse in die Entwicklung anderer Technologien einbringen wie ein Grossteil der Konkurrenzländer. Die Herausforderung wird deshalb für die Schweiz darin liegen, die Vernetzung und Verflechtung ihrer technologischen Möglichkeiten voranzutreiben.»

Schweizer Unternehmen müssen digitaler werden
Die Innovationsstärke der Schweiz ist vorwiegend den traditionellen, in der Schweiz stark verankerten Branchen wie der Pharma, Chemie oder Maschinenindustrie zu verdanken. Geht es hingegen um digitale Innovationen, spielt die Schweiz nicht ganz vorne mit, wie der Index zeigt. Ein Blick auf eine aktuelle Liste der weltweit innovativsten Unternehmen, die auf einer Befragung von Unternehmensführungskräften basiert, bekräftigt diese These: Unter den Top 50 befindet sich keine Schweizer Firma. Die Spitzenplätze belegen digitale Player wie Apple, Google, Airbnb, Netflix oder Uber. Viel beachtete Innovationen sind vor allem im digitalen Bereich und besonders im Business-to-Consumer-Bereich entstanden.

Reto Savoia dazu: «Entscheidend ist letztlich, wie stark die in der Schweiz ansässigen Unternehmen auf die Entwicklung und Anwendung digitaler Innovationen und die Optimierung ihrer Prozesse setzen. Der Staat kann mit den richtigen Anreizen und Rahmenbedingungen zwar einen nicht unwichtigen, aber letztlich nur indirekten Einfluss auf die digitale Innovationsfähigkeit nehmen. Die Unternehmen spielen deshalb eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Stellung der Schweiz im Index «Digitale Innovationsfähigkeit» zu verbessern. Schweizer Unternehmen haben die Wichtigkeit von Digitalisierung natürlich längst erkannt. Gleichwohl scheint das Potenzial bei den meisten Unternehmen noch bei weitem nicht ausgeschöpft zu sein.» (Deloitte/KOF/mc/ps)

 

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