Bundesrat setzt beim Rahmenabkommen auf ein Schiedsgericht

Bundesrat setzt beim Rahmenabkommen auf ein Schiedsgericht
Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher EDA. (Foto: Schweizerische Bundeskanzlei)

Bern – Die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU dauern nun seit vier Jahren. Ein Abschluss ist bisher an der Frage der Streitbeilegung gescheitert. Ein unabhängiges Schiedsgericht könnte den Durchbruch bringen.

Die EU-Unterhändler hatten diese Option letzten Dezember ins Spiel gebracht. Die Schweizer Seite reagierte zunächst zurückhaltend. Nachdem der Bundesrat seine Optionen geprüft hat, zeigt er sich nun offen. Vor den Bundeshausmedien sprach Aussenminister Ignazio Cassis am Montag von einem «realistischen Ansatz».

Das von ihm skizzierte Verfahren sieht vor, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) verbindlich über die Auslegung von EU-Recht entscheidet. Es handelt sich um jene Rechtsbereiche, in welchen die EU-Regelung unverändert in ein gemeinsames Abkommen übernommen wurde.

Für Schweizer Recht wären weiterhin Schweizer Gerichte zuständig. Ein Beispiel dafür sind die flankierenden Massnahmen. «Da wollen wir keine fremden Richter», erklärte Cassis. Das Schiedsgericht wäre also nur für die gemeinsam im jeweiligen Abkommen geregelten Rechtsbereiche zuständig.

Das Problem ist, dass diese Rechtsbereiche nicht exakt voneinander getrennt werden können. Nach dem Grundsatzentscheid des Bundesrats müssen sich die Verhandlungsdelegationen nun auf eine Abgrenzung einigen, mit der beide Seiten leben können. «Wenn wir das definiert haben, werden wir auch akzeptieren können, dass der EuGH eine Auslegung macht», sagte Cassis.

Durchbruch möglich
Eine Einigung bei der Streitbeilegung wäre ein Durchbruch bei den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen über institutionelle Fragen. Diese finden unter dem Damoklesschwert der Selbstbestimmungsinitiative der SVP statt, die ausdrücklich auf «fremde Richter» zielt.

Einigkeit herrscht laut Cassis beim Mechanismus für die Übernahme von EU-Recht. Diese soll nicht automatisch, sondern «dynamisch» geschehen: Die Schweiz könnte also neues EU-Recht im gewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren übernehmen. Lehnt sie das ab, fällt das Abkommen nicht dahin. Stattdessen könnte die EU Gegenmassnahmen beschliessen. Über deren Verhältnismässigkeit würde ebenfalls ein Schiedsgericht befinden.

Grundsätzlich geeinigt haben sich die Verhandlungsdelegationen auch auf den Geltungsbereich des Rahmenabkommens. Dieses soll bloss fünf Marktzugangsabkommen betreffen: Das Freizügigkeitsabkommen, das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, das Agrarabkommen sowie die Abkommen zu Luft- und Landverkehr.

Hinzu kämen allfällige neue Marktzugangsabkommen zwischen der Schweiz und der EU, zum Beispiel ein Strommarktabkommen. Ein solches will der Bundesrat rasch abschliessen. Zudem will er die laufenden Verhandlungen in weiteren Bereichen fortsetzen, darunter Lebensmittelsicherheit, Kultur oder die Zusammenarbeit in Forschung und im Gesundheitswesen.

Streit um Subventionen
Auf dieser Ebene soll nach dem Willen des Bundesrats auch das Problem der staatlichen Beihilfen geregelt werden. Damit sind Subventionen oder Steuererleichterung gemeint. Die EU verlangt eine generelle Lösung für alle betroffenen Bereiche. «Das kommt für den Bundesrat nicht in Frage», sagte Cassis. Er will für jedes Abkommen spezielle Regelungen durchsetzen.

Eine politische Verknüpfung einzelner Abkommen mit dem Rahmenabkommen hat der Bundesrat verworfen. Es gibt also keine Paketlösung oder gar Bilaterale III. Vorläufig sollen auch keine neuen Fronten eröffnet werden, zum Beispiel mit einem Finanzdienstleistungsabkommen. Das sei keine Priorität des Bundesrats, sagte Cassis.

Auch die Kohäsionsmilliarde stellt der Bundesrat nun nicht mehr in Frage. Er hatte sich diese Zahlung vorbehalten, nachdem die EU die Börsenregulierung Ende Dezember nur befristet anerkannt hatte. Seine Erwartungen konnte Cassis aber nicht verhehlen: «Dieser konstruktive Ansatz erlaubt die unbefristete Anerkennung», sagte er.

Rote Linien bleiben
Seine roten Linien hat der Bundesrat bei der Auslegeordnung nicht verschoben. So stehen die flankierenden Massnahmen zum Freizügigkeitsabkommen nach wie vor nicht zur Disposition. Diese sind der EU ein Dorn im Auge. Auch die Übernahme der EU-Richtlinie über die Unionsbürgerschaft kommt für den Bundesrat nicht in Frage.

Der Zeitplan für die Verhandlungen ist eng. 2019 finden in der Schweiz und in der EU Wahlen statt. «Das wird politische Entscheidungen schwieriger machen», sagte Cassis. Er hofft daher, dass eine grundsätzliche Einigung noch dieses Jahr zu Stande kommt.

Immerhin ist für die nachjustierte Europapolitik nach Ansicht des Bundesrats keine Änderung des Verhandlungsmandats nötig. Daher muss laut Cassis auch kein neues Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. Für die Präzisierung des Mandats genügt nach seinen Angaben die Information der Kantone und der Kommissionen. (awp/mc/ps)

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