Marc Lutz, Geschäftsführer Hays Schweiz, im Interview

Marc Lutz, Geschäftsführer Hays Schweiz, im Interview
Marc Lutz, Geschäftsführer der Hays Schweiz AG. (Foto: zvg)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Lutz, wenn man einen Blick auf die Rekrutierung wirft, haben zwar soziale Medien an Bedeutung gewonnen, irgendwie hat man aber immer noch das Gefühl, die altbekannten Prozesse dahinter seien unverändert: Stelle muss besetzt werden, Stelle wird ausgeschrieben, Interessenten melden sich. Wo findet in der Branche Innovation statt?

Marc Lutz: In der Branche hat sich in den letzten Jahren eine Menge getan, dementsprechend haben sich auch die Prozesse verändert. Um die richtigen Talente ausfindig zu machen, kommt immer mehr Technologie zur Anwendung. Aktualisiert etwa jemand sein Xing- oder LinkedIn-Profil und lädt kurz darauf auf unserer Seite eine Gehaltsstudie herunter, dann schliessen die Algorithmen unserer Systeme darauf, dass bei der Person eine Bereitschaft zum Jobwechsel besteht, und machen uns darauf aufmerksam. Wir werden diese Person dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ansprechen.

«Die Interaktion von Mensch zu Mensch ist nach wie vor zentral und nicht zu ersetzen.» Marc Lutz, Geschäftsführer Hays Schweiz

Nichtsdestotrotz geht es in unserer Branche letztlich um die Vermittlung von Experten. Das ist und bleibt ein «People-Business»; die Interaktion von Mensch zu Mensch ist nach wie vor zentral und nicht zu ersetzen. Die Fachkräfte wollen eine Beratung, die ihren Markt kennt und das Umfeld versteht. Da dreht sich alles um Vertrauen – in den Berater und in die anstellende Firma: Man will Genaueres über den zukünftigen Chef und das Unternehmen erfahren. Verfolgt es eine Wachstumsstrategie? Wie sicher ist der Job? Und dergleichen. Aber zur effizienten und zielführenden Suche ist der Einsatz von Technologie längst Realität.

Professionelle Netzwerke wie zum Beispiel LinkedIn würden die Möglichkeiten bieten, mittels intelligenter Algorithmen und künstlicher Intelligenz das Auffinden von Talenten viel proaktiver zu gestalten. Weshalb wird davon noch so wenig Gebrauch gemacht?

Ich glaube nicht, dass davon wenig Gebrauch gemacht wird. Im Gegenteil, die Netzwerke werden von den professionellen Anbietern schon fleissig genutzt. Das geschieht allerdings eher im Hintergrund, und selbstverständlich kann die Benutzung noch gesteigert werden. Innovation fand und findet hier in kleinen Schritten statt. Es ist aber gut möglich, dass da noch ein grösserer Innovationsschub kommen mag. Noch weiss allerdings niemand, wo die Reise hingehen wird, noch fehlen die grossen Ideen. Es gibt einige Akteure, die zurzeit an innovativen Ideen arbeiten.

Zum Beispiel hat Google letzten Mai in den USA eine eigene Jobplattform lanciert, mit der versucht wird, die Jobsuche mit Algorithmen abzudecken. Besonders in die Suche und das automatische Matching wird zurzeit viel Geld investiert. Es gibt auch ganze Systeme fürs Management der gesamten Workforce. Entgegen vollmundiger Behauptungen von Verkäufern läuft allerdings noch keines vollautomatisch. Aber Achtung: Wir sprechen immer vom Segment der Fachkräfte und Spezialisten! Für einfachere Jobprofile, den sogenannten Blue-Collar-Bereich, ist diese Automatisierung tatsächlich schon Realität. In diesem Segment wird die Technologie in Zukunft die manuelle Suche sowie den Prozess der Stellenausschreibung und Bewerbung komplett ersetzen. Im hoch qualifizierten Bereich dreht sich hingegen wie bereits gesagt alles um Beratung und Vertrauen.

Im viel beschworenen «Krieg um Talente» bekommt man den Eindruck, dass die meisten Firmen noch mit Keule und Geld, aber wenig Verständnis für die sich ändernden Bedürfnisse der Talente zu Werke gehen. Wo muss heute der Fokus gelegt werden, damit man wirklich diejenigen Mitarbeitenden findet, die auch langfristig den Erfolg eines Unternehmens sichern können?

Ich denke, es haben viele Firmen erkannt, dass sie neue Wege gehen müssen und das Thema Workforce-Management (Wo finde ich die richtigen Mitarbeiter und wie halte ich sie im Unternehmen?) von strategischer Bedeutung ist. Wir erkennen es daran, dass die Firmen mit anderen Fragen an uns herantreten als früher: Es geht immer seltener um einzelne Positionen, die besetzt werden müssen, sondern meist um Workforce-Strategien. Dadurch werden Personaldienstleister zusehends zu strategischen Partnern.

«Früher galt noch: «Die guten Leute werden schon kommen.» Das gilt heute nicht mehr.»

Vielleicht ist das Verständnis für die Bedürfnisse der Talente nicht überall vorhanden. Aber inzwischen beschäftigen sich viele Firmen intensiv mit Themen wie Flexibilisierung der Arbeitswelt und entwickeln Strategien, um dieser Problematik wirksam zu begegnen. Früher galt noch: «Die guten Leute werden schon kommen.» Das gilt heute nicht mehr. Heute müssen Unternehmen ein attraktives Umfeld schaffen, damit die gefragten Fachkräfte bei ihnen arbeiten wollen.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse und technologischen Fortschritte haben die Rekrutierung in den letzten Jahren am meisten geprägt und wo sehen Sie die nächsten grossen Veränderungen?

Technologisch waren dies definitiv die sozialen Medien und ganz allgemein die Datenfülle, die insbesondere das Internet mit sich brachte. Das hat den Prozess stark verändert. Früher wurde eine Stelle ausgeschrieben, die Leute sahen sie – wahrscheinlich in der Zeitung – und schickten dem Stellenausschreiber ihren Lebenslauf. Auf dem Radar der Unternehmen tauchte man als Fachkraft erst auf, wenn man sein Dossier eingesandt hatte; man musste also selbst aktiv werden. Heute hingegen werden die Spezialisten gesucht und gefunden – die Kandidaten wünschen dies sogar. Die Rekrutierung wird sich folglich künftig immer expliziter zu einem Kandidatenmarkt hin entwickeln: Die modernen Technologien und die Verfügbarkeit entsprechender Daten werden dafür sorgen, dass primär nur noch Unternehmen aktiv sein müssen, während die Fachkräfte gesucht und gefunden werden. Vielleicht wird es irgendwann sogar Plattformen geben, welche die Leistungen der Kandidaten bewerten. Dann kann ein Unternehmen in Zukunft genau jene vier Personen ansprechen, die es für sein Projekt benötigt, und braucht sich nicht mehr durch 700 CVs zu kämpfen.

In reifen Industrien und Marktsegmenten führt die Digitalisierung oft dazu, dass traditionelle Vermittler ihre Bedeutung verlieren oder neue, meist branchenfremde Vermittler mit einem unverzichtbaren neuen Mehrwert deren Rolle einnehmen. Wie steht es damit in Ihrer Branche, wie ändern sich da die Rollenmodelle?

Im Blue-Collar-Bereich ist dieses Szenario, wie gesagt, bereits eingetreten. Dort ist neben der Suche auch die Abwicklung teilweise schon sehr technologisiert. Auch im High-Level-Segment findet definitiv eine Digitalisierung statt und Technologie wird im Rekrutierungsprozess in Zukunft immer mehr Anwendung finden, beispielsweise bei Erstgesprächen, die über Videochats geführt werden. Aber hier spielt Vertrauen eben immer noch eine wichtige Rolle, weshalb die zwischenmenschliche Interaktion nach wie vor unerlässlich ist.

Wenn ein Spezialist verschiedene Arbeitgeber zur Auswahl hat, zieht er es vor, die Anstellung mit jemandem zu besprechen, der ihn und seine Branche versteht und ihn in gewissem Masse bei seiner Karriereplanung unterstützen kann. Es kann jedoch durchaus sein, dass sich mittelfristig Technologiefirmen mit einem etablierten Rekrutierer zusammenschliessen, um so in einem neuen Markt tätig zu werden. Punktuelle Kooperationen existieren bereits; auch wir unterhalten schon verschiedene strategische Partnerschaften mit Online-Dienstleistern wie LinkedIn oder Xing.

Wie sollen Talente die neuen Technologien und Plattformen gezielt nutzen, um an spannende Jobs und passende Unternehmen zu kommen und strategisch ihre Karriere zu planen?

Im Internet, speziell auf Jobplattformen und in den Business-Netzwerken, steht eine Menge von Informationen zur Verfügung. Hier können Kandidaten recherchieren, Lernvideos anschauen und Tipps und Tricks lesen. Geht es allerdings um die Suche nach einem passenden Unternehmen als Arbeitgeber und um die Karriereplanung, würde ich mich als Spezialist an eine spezialisierte Personalberatung wenden. Denn bei der Karriereplanung geht es um deutlich mehr als um blosse Präsenz im Netz und die Präsentation der eigenen Vorzüge. Spezialisierte Dienstleister helfen dabei, die eigenen Fähigkeiten realistisch mit den Bedingungen am Markt abzugleichen. So erhalten Bewerber neben einer Marktwerteinschätzung auch Stellenangebote, die öffentlich nicht ausgeschrieben sind, da viele Unternehmen Stellen bewusst flexibel halten oder sich für die Besetzung einer Vakanz bewusst an ihren strategischen Recruiting-Dienstleister wenden.

Trotzdem sollten Kandidaten natürlich für eine ordentliche Webpräsenz sorgen und ihre Vorzüge und Skills dementsprechend darstellen, damit sie gefunden werden. Dazu gibt es User-Guides auf Xing oder LinkedIn, die genau erklären, wie man das am besten macht. Zudem erinnern einen ja auch die Plattformen immer wieder daran, was im eigenen Profil noch fehlt. «Ihr Profil ist erst zu 80 Prozent ausgefüllt. Möchten Sie eine Referenz hinzufügen?», heisst es da beispielsweise. Wichtig ist zudem, dass man seinen gesamten Auftritt im Internet beachtet. Es gereicht einem kaum zum Vorteil, wenn man sich auf Xing professionell präsentiert, eine einfache Google-Suche dann aber unseriöse Fotos zum Vorschein bringt, die einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Manager, welche vorwiegend an kurzfristigen Zielen gemessen werden, haben gerade bezüglich der gezielten Entwicklung von Talenten kaum die dazu nötige langfristige Perspektive. Wie können hier die Ziele des Unternehmens und diejenigen der Manager besser koordiniert werden, auf welche Mittel setzen Sie, um hier für beide Seiten Perspektiven zu schaffen?

Es bringt nichts, langfristige Ziele mit kurzfristigen Mitteln erreichen zu wollen; das sollte jeder Manager wissen. Auch langfristige Massnahmen abzukürzen, um kurzfristige Ziele zu erreichen, funktioniert nicht. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Gerade Talententwicklung braucht Zeit und Geld. Die Mitarbeiter müssen verstehen, wie die langfristige Strategie aussieht, sie müssen wissen, dass in sie investiert wird und dass sie gleichzeitig bestimmte Ergebnisse produzieren müssen.

«Es bringt nichts, langfristige Ziele mit kurzfristigen Mitteln erreichen zu wollen.»

Klar können sich auch einmal Situationen ergeben, die nach kurzfristigen Massnahmen rufen, etwa wenn die Wirtschaft kippt oder aus einem anderen Grund dringend Kosten eingespart werden müssen. Solche Situationen können gemeistert werden, wenn das Change Management gut aufgestellt ist, wenn gut kommuniziert wird und die Belegschaft abgeholt wird, wenn jeder Mitarbeiter darüber im Bilde ist, welche kurzfristigen Massnahmen ergriffen werden, weshalb diese Massnahmen notwendig sind und mit welcher langfristigen Strategie das Unternehmen wieder in ruhiges Fahrwasser gelangen will.

Die Digitalisierung verändert aktuell fundamental die Fähigkeiten, welche auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft benötigt werden. Wovon wird es in den kommenden Jahren mehr brauchen, wovon weniger und was heisst das für die Arbeitsmarktfähigkeit der heute 40- bis 50-Jährigen?

Es ist klar, dass in vielen Jobs immer mehr Technologie involviert ist. Wichtig ist, dass neuen Technologien und Systemen mit Offenheit begegnet und sich spielerisch mit ihnen beschäftigt wird. Diese Problematik kann man in allen Generationen beobachten. Es gibt ja auch Senioren, die sagen: Ein Handy brauche ich nicht, will ich nicht, habe ich noch nie gehabt. Die technologische Entwicklung wird weitergehen, und wenn man sich einmal ausgeklinkt hat, ist es schwer, wieder nachzukommen. Aber diese Entwicklung geschieht ja auch nicht von heute auf morgen, es handelt sich vielmehr um eine Evolution.

«Die Leute brauchen viel Zuwendung, man muss sie wachsen lassen, sie ausbilden, coachen und in sie investieren.»

Ich denke, wichtig ist auch ein gewisser Glaube an die Zukunft: die neuen Möglichkeiten zu erkennen, die sich mit jeder Veränderung bieten. Manche Leute reden sich schon beinahe in ein Burn-out, weil der Job, für den sie studiert haben und den sie jahrelang gemacht haben, voraussichtlich bald nicht mehr existiert. Durch die zunehmende Vernetzung, Komplexität und Internationalisierung erhalten darüber hinaus mentale Kompetenzen grosses Gewicht. Man arbeitet nicht mehr nur mit Projektteams aus derselben Region zusammen, die dieselbe Sprache sprechen. Virtuelle, multinationale Teams aus unterschiedlichen Branchen sind heute und in Zukunft Alltag. Interkulturalität, Offenheit und Teamfähigkeit sind deswegen gefragt, um die Komplexität aktueller Projekte in den Griff zu bekommen. Gab früher noch der Vorgesetzte allein den Kurs vor, sorgt heute die Summe aller beteiligten Talente dafür, dass eine bessere Lösung gefunden wird.

Im aktuellen HR-Report von Hays wurde das Halten von Mitarbeitern als wichtigstes Thema aufgeführt. Was sind die wichtigsten Punkte, damit Mitarbeitende ihrem Unternehmen treu bleiben und wie viel Loyalität ist überhaupt in der sich schnell ändernden Zeit wünschenswert?

Wünschenswert ist selbstverständlich stets maximale Loyalität. Aber dafür müssen sich Unternehmen immer mehr anstrengen. Die Leute brauchen viel Zuwendung, man muss sie wachsen lassen, sie ausbilden, coachen und in sie investieren. Gleichzeitig verlangen sie aber auch klare Anleitungen, Anweisungen und Vorgaben. Zudem sollte man möglichst viele Mitarbeiter in die Strategiefindung einbinden, damit sie mitgestalten können. Gerade an der jüngeren Generation muss man nah dranbleiben und immer wieder spannende Aufgaben bieten – eine Art Spassfaktor. Da muss viel laufen, das ist nicht einfach. Dafür herrscht bei den jüngeren Talenten der Trend, dass sie weitere Talente aus ihrem Umfeld anziehen, wenn es ihnen in der Firma gut gefällt und sie Spass an der Arbeit haben.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Ich wünsche mir, dass Jobs im Rahmen der Digitalisierung wieder in die Schweiz zurückkommen, die einst im Zuge der Globalisierung ausgelagert wurden. Es gibt heute schon vollautomatisierte Produktionsstätten, die online konfigurierte und auch personalisierte Produkte automatisch herstellen, verpacken und ausliefern. Schön wäre es, wenn diese Entwicklung dazu führen würde, dass die Produktion wieder zurückkommt.

Daran anschliessend wünsche ich mir, dass die Schweiz auch die benötigten Spezialisten bieten kann, wenn diese Jobs zurückkommen. Das ist eine Voraussetzung und ein ganz wichtiger Punkt für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Schweiz ist heute hoch attraktiv für ausländische Fachkräfte. Wenn diese Jobs kommen, muss die Schweiz offen sein für die Migration von Spezialisten und sie nicht administrativ verkomplizieren oder mit einer Masseneinwanderungsinitiative verhindern.

Über Hays
Hays plc. ist ein weltweit führender Personaldienstleister für die Rekrutierung von hoch qualifizierten Spezialisten. Das Unternehmen ist im privaten wie im öffentlichen Sektor tätig und vermittelt Spezialisten für Festanstellungen, Projektarbeit und im Personalverleih. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 10 000 Mitarbeiter in 33 Ländern und erzielte im Geschäftsjahr 2016/2017 Erlöse von 6,09 Mrd. Euro. In der Schweiz vermittelt Hays Spezialisten aus den Bereichen IT, Engineering, Construction & Property, Life Sciences, Finance, Sales & Marketing, Legal, Retail sowie Healthcare. Hays ist in der Schweiz mit Filialen in Basel, Bern, Genf und Zürich vertreten.
Weitere Informationen zum Unternehmen: www.hays.ch

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