Peter Studer, Head Regulatory Affairs Swiss Medtech, im Interview

Peter Studer, Head Regulatory Affairs Swiss Medtech, im Interview
Peter Studer, Head Regulatory Affairs Swiss Medtech und Leiter MDR-/IVD-Swiss-Implementation-Taskforce. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Studer, seit Mitte letzten Jahres sind die neuen EU-Neuregulierungen für den Marktzugang und die -überwachung von Medizinprodukten (MDR) sowie In-vitro-Diagnostika (IVDR) in Kraft. Welches ist der Hintergrund für die Neuregulierungen?

Peter Studer: Die Direktiven, die in den 90er Jahren in Kraft gesetzt wurden, sind in die Jahre gekommen. Deshalb ist es notwendig geworden, eine grundlegende Anpassung an zwischenzeitlich technologisch nicht mehr vergleichbare Produkte, an neue Konformitätsanforderungen und Herstell- sowie Vertriebsvoraussetzungen vorzunehmen. Der Brustimplantate-Skandal (PIP) erhöhte 2012 den Druck zur Überarbeitung der aktuellen Richtlinien und beschleunigte die Entwicklung erster Entwürfe zu den neuen Verordnungen. Deren Ziel war von Beginn weg, die Patientensicherheit weiter zu erhöhen.

Was unterscheidet die Neuregulierungen von den vorherigen Richtlinien?

Die beiden neuen Verordnungen, welche die bestehenden drei Richtlinien ersetzen werden, sind in den EU-Mitgliedsstaaten rechtlich bindend. Sie bringen zusätzliche und erhöhte Anforderungen für die gesamte Medtech-Wertschöpfungskette mit sich – vom Zulieferer über den Hersteller bis zum Patienten.

Wie äussert sich das bzw. welches sind die wichtigsten Neuerungen?

Eingeführt wurden u.a. Höherklassifizierungen für bestimmte Produkte und damit verschärfte Auflagen. Auch Software mit medizinischer Zweckbestimmung und gewisse Produkte im Ästhetik-Bereich fallen jetzt unter die beiden Regulierungen. Es gibt auch neue Risikoklassen für In-vitro-Diagnostika. Hochrisikoprodukte unterliegen strikteren Kontrollen, teilweise unter Einbezug eines Experten-Pools auf EU-Ebene. Weiter werden für neue Implantate die Marktzugangsprozesse anspruchsvoller und die Anforderungen an die klinische Evidenz wird erhöht. Eingeführt werden auch Pässe für Patienten mit Informationen zu ihren implantierten Produkten. Verbessert wird zudem die Markt- und Produkttransparenz, dies durch eine neue europäische Datenbank Eudamed und die Einführung der Unique Device Identification UDI.

Können Sie uns die verschärften Auflagen an einem Beispiel erläutern?

Neu werden Implantate der Risikoklasse III vor ihrer Markteinführung zusätzlich einem Konsultationsverfahren durch ein EU-Expertengremium unterstellt. Dadurch verzögert sich die Verfügbarkeit dieser neuen Produkte um mindestens die zusätzlich anfallende Zeit des Verfahrens. Je nach Einschätzung des Gremiums kann es zu zusätzlichen Verzögerungen kommen, sofern die klinische Bewertung einschliesslich der vorgesehenen Indikationen zur Diskussion gestellt würde. Dadurch könnte unter Umständen eine erneute Designphase mit all ihren nachgelagerten Umsetzungsschritten notwendig werden.

«Die erhöhte Transparenz der Produktperformance und Handelswege dürften die Sicherheit und letztlich auch die Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten erhöhen.» 
Peter Studer, Head Regulatory Affairs Swiss Medtech

Schlussendlich sollen die Neuregulierungen der Sicherheit der Patienten dienen.

Richtig: Die erhöhte Transparenz der Produktperformance und Handelswege dürften die Sicherheit und letztlich auch die Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten erhöhen. Damit wird die Marktüberwachung wirkungsvoller, und selbst Laien können sich einfacher über Produkte, Risiken und Chancen informieren.

Mit den beiden neuen Regulierungen steigt gleichzeitig der Aufwand für die Medtech-Firmen. Wie wirkt sich das aus?

Aufgrund von komplexeren und dadurch kostenintensiveren Verfahren zur Inverkehrbringung dürfte das Produktportfolio kleiner werden. Zudem werden mindestens während der Übergangsphase für die Aufbereitungsarbeiten bestehender technischer Dokumentationen zusätzliche Ressourcen gebunden. Dementsprechend werden sich speziell Hersteller im Bereich der Regulierung logistisch und personell verstärken müssen.

Wie äussert sich dies für Forschung und Entwicklung?

Wie stark die Investitionen in Forschung & Entwicklung und somit die Innovationsdynamik grundsätzlich und dauerhaft durch die kostenintensiveren Inverkehrbringungen gebremst wird, lässt sich noch schwer abschätzen. Dazu fehlen bisher einfach die Erfahrungswerte. Der nächste Branchenreport, Swiss Mechtech Industry, wird anfangs September 2018 erste Anhaltspunkte dazu liefern.

Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Schweizer Medtech-Branche mit ihren vielen KMU und Startups?

Die Herausforderungen sind gerade für KMU erheblich. Oft haben diese Betriebe wenig Spielraum für den Ausbau ihres regulatorischen Bereichs. Startups werden den Zeitpunkt für den Marktauftritt ihrer Produkte zeitlich an die Erfüllung der neuen gesetzlichen Grundlagen anzupassen haben. Wenigstens sind von Seiten der Schweizer Behörden mit den Nachführungen der gesetzlichen Grundlagen keine Verzögerungen und Sonderregelungen zu erwarten.

«Die Kapazitäten für die Ausstellung von MDR-Zertifikaten für Medizinprodukte werden ab 2020 mindestens vorübergehend sehr limitiert sein.»

Die Übergangsfrist für MDR läuft bis 2020, für IVDR bis 2022. Können Produkte, Prozesse und Systeme überhaupt fristgerecht auf MDR/IVDR umgestellt werden?

Die Kapazitäten für die Ausstellung von MDR-Zertifikaten für Medizinprodukte werden ab 2020 mindestens vorübergehend sehr limitiert sein. Dies aufgrund eines komplexen und zeitintensiven Benennungsprozesses, den die für die Zertifizierungen verantwortlichen Notified Bodies (NB) zu durchlaufen haben. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den Brexit die britischen NB ab 2019 ihre Autorisierung zur Ausstellung von Zertifikaten zu verlieren drohen. Hersteller werden dadurch u.U. bereits während der MDR-Übergangsperiode ihre Produkte durch neue NBs re-zertifizieren lassen müssen. Und wenn man bedenkt, dass schätzungsweise rund 30 bis 40 Prozent aller Zertifikate in der EU von diesen NBs stammen, könnte sich auch dies sich verzögernd auf die Bereitstellung von Medizinprodukten auswirken.

Wie lässt sich unter diesen Umständen der nahtlose Produktezugang für Ärzte und Patienten weiterhin sicherstellen?

An erster Stelle steht ein laufender Informationsaustausch mit Spitälern und Ärzten über die jeweils aktuelle NB- und Versorgungssituation. Hier pflegt der Verband Kontakte zu entsprechenden Verantwortlichen und sucht auch eine intensive Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden. Zusätzlich laufen auch über Medtech Europe, dem europäischen Industriedachverband, weitere Abklärungen zwecks zusätzlich zu ergreifender Massnahmen.

Um die neuen Regulierungen wurde ja jahrelang gerungen und gefeilscht. Wie hat sich die Schweizer Medtech-Branche darauf vorbereitet?

Wer seriös an eine Fortführung seiner geschäftlichen Aktivitäten mit Medizinprodukten interessiert ist, der hat die Umstellung nun an die Hand genommen. Einige Betriebe haben bereits vor über 3 Jahren frühzeitig damit begonnen, beispielweise mit der Anpassung ihrer Qualitäts-Management-Systeme. Einige Medtech-Unternehmen sind auch darüber hinaus aktiv engagiert, beispielsweise im Swiss Implementation Taskforce-Programm des Verbands. Dort tauschen sich Industrievertreter zu diversen MDR-/IVDR-spezifischen Themen in Workshops aus, diskutieren und erarbeiten gemeinsam mögliche Lösungen und Kooperationsmodelle.

Herr Studer, wir bedanken uns für die Erläuterungen.

Zur Person:
Peter Studer ist Leiter Regulatory Affairs beim Industrieverband Swiss Medtech und Leiter MDR-/IVD-Swiss-Implementation-Taskforce. Er diplomierte als Maschineningenieur und erwarb sich Medizinprodukteerfahrung bei der Entwicklung von Hüftprothesen. Anschliessend arbeitete er bei der Heilmittelbehörde Swissmedic. Dort war er tätig als Leiter der Marktüberwachung Medizinprodukte und als Senior Expert Regulation and Compliance Medical Devices.

Über Swiss Medtech
Der Mitte 2017 gegründete Schweizer Medizintechnik-Verband vertritt die Interessen der Branche mit rund 1’350 Unternehmen und 54’500 Mitarbeitenden. Swiss Medtech engagiert sich für die Förderung von Innovation und für einen attraktiven Werk- und Forschungsplatz Schweiz sowie für ein fortschrittliches, qualitätsorientiertes Gesundheitswesen mit einem schnellen Patientenzugang zu neuen Produkten. U.a. bietet der Verband mit rund 550 Mitgliedern Fachtagungen und gezielte Aus- und Weiterbildungen, berät und unterstützt in rechtlichen, regulatorischen und tariflichen Fragen.

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