Erdogan droht Notenbank – Türkische Finanzmärkte unter Druck

Erdogan droht Notenbank – Türkische Finanzmärkte unter Druck
Recep Tayyip Erdogan, türkischer Staatspräsident.

London – Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wettert im Wahlkampfmodus gegen die Finanzmärkte und droht der türkischen Notenbank. Wenn die Bevölkerung wegen der Politik der Zentralbank Probleme habe, würde sie den Präsidenten dafür verantwortlich machen, sagte er in einem Interview mit Bloomberg TV am Montagabend in London. Daher müsse er eingreifen und werde im Falle eines Wahlsiegs im Juni die Währungshüter stärker unter seine Fittiche nehmen. Er gehe davon aus, dass sie dann seiner vielfach geäusserten Forderung niedrigerer Zinsen folgen werden, sagte der Präsident.

Die türkischen Finanzmärkte gerieten nach den Aussagen Erdogans am Dienstag unter Druck. Die Landeswährung fiel sowohl zum US-Dollar als auch zum Euro auf neue Rekordtiefs. Für einen Dollar mussten im frühen Handel bis zu 4,3981 Lira bezahlt werden. Ein Euro war bis zu 5,2480 Lira wert. An der Börse in Istanbul gab der wichtigste Leitindex um ein Prozent nach. Zudem stieg die Rendite türkischer Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit auf einen Rekordwert von 14,29 Prozent. Kein gutes Signal für Ankara, denn höhere Marktzinsen machen die Aufnahme neuer Staatsschulden teurer.

Am 24. Juni wird in der Türkei erstmals zeitgleich sowohl der Präsident als auch das Parlament gewählt; dementsprechend heiss läuft inzwischen der Wahlkampf. Bereits am Freitag hatte Erdogan mit markigen Worten die Finanzmärkte des eigenen Landes unter Druck gebracht. Die Türkei müsse die Zinsen senken, weil sie die «Mutter allen Übels» und Grund für Inflation seien, sagte der Präsident.

S&P senkt Daumen über Ankara
Ausserdem holte er zu einem Rundumschlag aus gegen alles, was mit internationalen Finanzmärkten zu tun hat. «Devisenspekulanten, die Zinslobby und Feinde der Türkei unter dem Deckmantel von Ratingagenturen sind unsere Sache nicht», sagte Erdogan vor Unternehmensvertretern. Anfang Mai hatte die US-Ratingagentur S&P die Bewertung der türkischen Kreditwürdigkeit auf «BB-» gesenkt – unter anderem mit Verweis auf die hohe Inflation.

Bereits seit März ist die Lira stark unter Druck und fällt von einem Rekordtief zum nächsten. Zuvor hatten die historisch niedrigen Zinsen in Industrieländern lange Zeit viel Geld internationaler Investoren in Schwellenländer wie die Türkei gelockt. Doch die schrittweisen Leitzinserhöhungen in den USA und die in Aussicht stehende allmähliche Abkehr vom Krisenmodus der Geldpolitik im Euroraum lässt nun umgekehrt wieder Geld aus Schwellenländern abfliessen. Das setzt die dortigen Währungen unter Druck.

Die Türkei ist in diesem Umfeld besonders stark betroffen, weil sich hier die Wirtschaft trotz eines nach offiziellen Zahlen äusserst hohen Wachstums in einer sehr heiklen Lage befindet. Die schwache Landeswährung verteuert die Importe; und das in einem Land, dessen Einfuhren die Ausfuhren chronisch übersteigen. Am Montag veröffentlichten Daten zufolge lag das Leistungsbilanzdefizit der Türkei allein im März bei 4,8 Milliarden Dollar.

Inflation galoppiert
Gleichzeitig ist die türkische Inflation mit über 10 Prozent extrem hoch. In einer solchen Lage würden Währungshüter in der Regel die Zinsen erhöhen, um die Teuerung zu dämpfen – auch auf die Gefahr hin, das Wirtschaftswachstum dadurch zu dämpfen. Doch angesichts wiederholter Warnungen seitens des Präsidenten agiert die Notenbank in Ankara insgesamt sehr zaghaft, wenn sie auch im April die Zinsen etwas anhob. Experten warnen vor einer Überhitzung der Wirtschaft, also einer durch günstige Kredite zu hohen Produktion, die die Nachfrage übersteigt und in eine Stagnation oder gar Rezession umschlägt.

Zaghafte Zinserhöhungen wie die im April seien bei weitem nicht ausreichend, um die Talfahrt der Lira zu stoppen, meint Wolfgang Kiener, Experte bei der Bayerischen Landesbank. Inzwischen sei fraglich, ob sich kurzfristig mit Zinserhöhungen überhaupt noch das Vertrauen von Investoren in die Türkei wieder herstellen lassen könne. «Insgesamt erwarten wir somit keine Stabilisierung der Lira, vielmehr nimmt das Risiko krisenhafter Entwicklungen weiter zu.» (awp/mc/ps)

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