Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Nutzloses Bombengeschäft

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Nutzloses Bombengeschäft
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Es ist mal wieder Fussballsommer. Mit dem Anpfiff der WM in Russland sind auch fast sämtliche kritischen Stimmen verstummt oder niemand hört ihnen mehr zu. Jetzt ist pure Emotion angesagt. Wir Menschen fiebern mit unseren Teams, unser Herz schlägt aber auch für den einen oder anderen Aussenseiter. Wir diskutieren Dribblings, Tore, Pleiten und Pannen auf dem Spielfeld intensiv. Während der WM haben sich die Menschen einiges zu erzählen, das steht ausser Frage und fast jeder hat auch eine Meinung darüber. Daneben rollt locker der Rubel. Allerdings nur für wenige und schon gar nicht hachhaltig.

Dass Fussball nicht nur Unterhaltung ist, sondern ein Bombengeschäft, ist hinreichend bekannt. Die Fans- und Sportartikelshops werden überrannt, die Elektronikmärkte machen Rekordumsätze und auch die Brauereien oder Lebensmittelhändler reiben sich die Hände, ebenso das Gastgewerbe. Alles jedoch nur Einmaleffekte. Profiteur Nummer 1 ist die FIFA, die wohl über 6 Milliarden Euro einnimmt. Schon allein bald drei Milliarden aus Fernsehrechten, knapp zwei Milliarden aus Marketingrechten und über eine halbe Milliarde aus dem Ticketverkauf. Dank Monopol versteht sich.

Das macht die FIFA auch nicht über Zweifel erhaben. Sie erzeugte in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit mit Skandalen als mit seriöser Arbeit. Stets ging es um Korruption, Geldwäsche oder Untreue. Im Weiteren profitiert Putin von diesen, seinen Spielen. Er kann sein Land von der besten Seite zur Schau stellen und für eine Weile Ukrainekrise, Wirtschaftssanktionen, die Rolle Russlands im Syrienkonflikt oder die angespannte Wirtschaftslage hinter sich lassen. Das ist Marketing par Excellence. Weitere grosse Profiteure sind die einzelnen Fussballspieler, die diese einmalige Bühne dazu nutzen können, ihre Marktwerte wenn‘s gut geht ins Unermessliche zu katapultieren. Schon heute sprengen die Grössenordnungen jegliches Vorstellungsvermögen. Frankreich und Spanien sind die ersten zwei Fussballnationen, deren Kader einen Marktwert von über 1 Milliarden Euro repräsentiert. Brasilien steht mit 981 Millionen Euro auf Rang vier, dann kommen Deutschland mit 883 und England mit 874 Millionen Euro.

Rang 16 nimmt die Schweiz ein. Der Marktwert ihrer Spieler beträgt 218 Millionen Euro. Das ist beachtlich, aber immer noch weniger als Neymar allein gekostet hat (222 Millionen Euro). Vor gut vier Jahren lag übrigens Spanien an der Spitze; damaliger Marktwert: 622 Millionen Euro – Wachstumsmarkt Fussballerbeine: plus 40% in nur vier Jahren.

Spass für Massen, Geld für wenige
Das sind auf den ersten Blick astronomisch anmutende Grössenordnungen. Wenn man sich die Fernseheinschaltquoten der WM zu Gemüte führt, dann relativieren sich diese aber allein ob der puren Masse wegen. Wohl an die 3.5 Milliarden Menschen werden für ihre Mannschaften an den Bildschirmen mitfiebern und es gibt keinen Sportevent der Welt, der mehr Menschen in seinen Bann zieht. Das Finale zwischen dem späteren Weltmeister Deutschland und Argentinien verfolgten 2014 über eine Milliarde Menschen an Public-Viewing-Veranstaltungen oder zu Hause. Doch nachhaltig profitiert(e) die Wirtschaft davon kaum. Meist handelt es sich um Einmaleffekte, denn die Infrastrukturen mitsamt neuen Stadien im Gastland sind erstellt, der neu erworbene Fernseher wird nun vier Jahre halten, die Public-Viewing-Zonen sind bald schon wieder ihrer wertschöpfungsarmen Alltagnutzung zugeführt und nach der WM ist auch schnell wieder fertig mit Beizenbesuchen und locker sitzendem Portemonnaie. Oft wird dann ein neues Stadion, das nicht mehr benutzt wird, zur Last für die Allgemeinheit. Nachhaltig war eine internationale Grossveranstaltung des Sports ebenfalls noch nie.

Was jeweils zählt, ist die Masse und die kurze Sicht der Dinge. Denn wenn wir ehrlich sind, machen wir uns über Nachhaltigkeit ja auch keine Gedanken, wenn unser Team auf dem Feld steht. Dann zählt einzig und allein die Emotion. Und so steht es auch um die volkswirtschaftlichen Effekte. Es profitieren nur wenige finanziell, die Masse darf dafür jubeln, hadern, trauern oder laut sein. Eine WM ist für die jeweiligen Veranstalter eine wandernde Schaubühne und sonst ein reines Insidergeschäft.

Vorbild für Politik und Gesellschaft
Nicht nur setzt der Fussball emotionale Masse(n) frei, er führt auch zu regelmässiger Experteninflation. Wer würde schon auf die Idee kommen, Heidi Klum nach ihrer Meinung zum letzten Zinsentscheid der EZB zu befragen? Wohl niemand, solch spezifische Fragen stellt man eher den Spezialisten, die mit der Sache betraut sind. Im Fussball zählt hingegen jede Meinung, weil jeder weiss auch etwas darüber oder ist sowieso gleich (selbsternannter) Spezialist. Die Begründungen, wieso das eine oder andere Team am Ende die Nase vorn hat, sind zwar oft abenteuerlich, aber immerhin liegt ihnen ein gewisser Sachverstand zu Grunde.

Mein Jüngster kennt aus dem Panini Album sämtliche Spieler beim Namen, aber gerade mal einen Bundesrat. Niemand hat ihn gezwungen, das Heft auswendig zu lernen, aber mitreden ist halt alles und die Mitschüler wissen auch Bescheid. Der eine weiss zwar „nur“ wie viele Autos Ronaldo fährt oder dass Messi jüngst Probleme mit den Steuerbehörden hatte, aber immerhin. Verglichen mit Politik ist das schon viel. Was weiss der Durschnitt der Menschheit schon über den spanischen Premier oder den argentinischen Präsidenten? Nichts! Dafür kennen sie vielleicht taktische Finessen der Teams und die meisten sind sich am Ende wenigstens einig darüber, ob ein Sieg verdient war oder nicht.

Würden politische Diskussionen ähnlich geführt, hätten die Menschen auch nur annähernd so viel Ahnung, vor allem aber Interesse an brennenden Zeitfragen, dann wäre die Welt heute wohl anders. Vielleicht nicht besser, aber anders ganz sicher. Fussball ist das Paradebeispiel absoluter Konzentration und Fokussierung. Nur er zählt für den Moment, alles andere ist Nebensache. Für ein Mal ein Vorbild – für den Moment. Nur leider: nur die kurze Sicht zählt.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

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