Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Es stinkt noch immer auf den Strassen

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Es stinkt noch immer auf den Strassen
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Gestern früh fuhr ich auf dem Weg zur Arbeit hinter einem alten VW Käfer her. Ich hätte ihn eigentlich gar nicht sehen müssen, denn ich konnte ihn vor allem riechen, diesen typischen bleihaltigen Benzingestank, den ich aus meiner Kindheit kenne, der mich heute aber richtig in der Nase beisst. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich schätze, es handelte sich bei besagtem Käfer um den Typ2 mit dem 1200 cm3 Motor und der unglaublich wenigen 34 PS Leistung, der in den frühen Neunzehnsechzigerjahren gebaut wurde. Die ersten zehn Jahre meines Lebens sollten als Säugling erst die Hutablage und später als Kleinkind die Rückbank eines VW Käfers meine Stammplätze sein, wenn wir unterwegs waren.

Der allererste Käfer hatte noch diese alte Kastenheizung, die bei Motorundichtigkeiten sogar Abgase in den Innenraum leitete, bevor Volkswagen diese auf Grund gesetzlicher Vorschriften gegen die sogenannten Heizbirnen austauschte. Der Motor schluckte auf hundert Kilometern nie weniger als 10 Liter bleihaltiges Benzin. Im Grunde war der alte Käfer eine ziemliche Dreckschleuder. Das wusste man damals nur noch nicht so genau. Die Mobilität war nun mal mit gewissen Abstrichen verbunden, die man mangels besseren Wissens einfach hinnahm. Ökologische Bedenken hatten so auch meine Eltern kaum, wenn man mal ausser Acht lässt, dass sie Italien „dreckig“ fanden, weil auf den Strassen überall Müll herum lag. Ich fand das „normal“, aber alles andere als schön. Wir durften damals schon keine Papierchen oder anderen Müll aus dem Fenster werfen.

Neben dem unvergesslichen Geruch bleihaltigen Benzins erinnere ich mich an die Russfahnen, welche die damaligen Dieselmotoren hinter sich her zogen. Vor allem, wenn ein Dieselmotor frisch angelassen wurde, rauchte es hinten raus wie aus einem kleineren Hochofen. Vor diesen Dieselwolken warnten mich meine Eltern paradoxerweise schon damals. „Bloss nicht einatmen und möglichst weg von dem Gefährt und seiner Russfahne“, hiess es dann. Diesel war der Treibstoff der Bauern und hatte keinen guten Ruf. Gemäss meinem Vater waren Dieselfahrzeuge Dreckschleudern und darüber hinaus waren Dieselmotoren lahm. Von einem ökologischen Fussabdruck sprach man in meiner Kindheit dennoch kaum. Wir heizten ja schliesslich auch noch mit Kohle.

OPEC sei dank
Dann kam die erste, grosse Erdölkrise, welche die Errungenschaften der individuellen Mobilität und die damit verbundenen Freiheiten arg bedrohte. Die OPEC erpresste sozusagen die ganze Welt, die mittlerweile vom fossilen Brennstoff abhängig war. Es gab Sonntagsfahrverbote und auch die berühmten Antikernkraftdemonstrationen. Der Club of Rome schliesslich verklickerte uns Menschen erstmals richtig deutlich, dass wir Raubbau am Planeten betrieben und unsere Umwelt bedroht ist. Auf diesen Zeitraum entfiel auch die Geburtsstunde der Grünen in Deutschland und anderswo. Heute sind wir natürlich viel, viel weiter. Die globale Erwärmung konnten wir gerade erst wieder hautnah erleben und sie wird auch nur noch von wenigen Weltfremden in Frage gestellt. Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde, selbst die Finanzindustrie setzt Produkte auf, die sich dem Thema widmen. Sagen wir es mal so. Wir haben heute ein ganz anderes Umweltbewusstsein als früher.

Manches richtig, manches falsch
Entsprechend trennen wir Müll, entsorgen brav unser Altpapier und unsere Flaschen, achten vielleicht neuerdings, weil aktuell ein grosses Thema, etwas mehr darauf, wie unsere Güter des täglichen Bedarfs verpackt sind, Stichworte Weltmeere und Plastik. Das ist gut so, nur Hand aufs Herz, wie konsequent sind wir Menschen wirklich? Die Antwort überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern. Ich jedenfalls lasse beim Zähneputzen leider immer noch zu oft das Wasser laufen. Dabei weiss ich, es ist pure Verschwendung und vollkommen irrational. Andererseits ist es gemessen an der Masse Leute, die stundenlang unter der Dusche stehen oder ihre Gärten täglich bewässern ein Klacks. Und überhaupt ist ja die globale Erwärmung und nicht der Wassermangel das Problem. Schon sind wir da, wo viele Bemühungen enden.

Wir einzelne können an dem grossen Ganzen nichts ändern. Also lassen wir es auch im Kleinen schleifen. Das klassische Gefangenendilemma, aus dem heraus sich politisches Handeln begründet. Und so gibt es heute eben eine Masse von Umweltauflagen, die uns alle dazu zwingen, sie einzuhalten anstatt jeden einzelnen zu ermutigen, das auch ohne Zwang zu tun. Das beste Mittel ist aber noch immer der Preis. Energie ist zu billig, da die gesamten Kosten der Energiegewinnung und Energieverwendung nicht internalisiert sind. Wir alle bezahlen nicht den wahren Preis für die Energie, die wir konsumieren, denn der wäre um einiges höher, wenn auch die extern entstehenden negativen Effekte insbesondere in der Umwelt in die Kalkulation des Preises mit einfliessen würden. Als Konsument bin ich indirekt Profiteur dieser Entwicklung. Erst seit Dieselgate weiss ich, dass mein Fahrzeug das Zigfache an Stickstoff ausstösst als vom Hersteller einst deklariert.

Die Politik hatte notabene dreissig Jahre den Dieselmotor gehätschelt und uns glauben lassen, wir verhielten uns ein bisschen umweltbewusst. Gut haben wir kein verbleites Benzin mehr, der Politik sei Dank, aber dank ihr haben wir eben auch Dieselfahrzeuge. Und das ist nur ein kleines Beispiel, manches läuft richtig, manches falsch. Vor allem ist aber auch alles komplex. Und schon sind wir am zweiten Punkt der uns bremst. Wir verstecken uns hinter der Komplexität.

Komplex, nein billig
Wenn mir jemand erklärt, etwas sei zu komplex, um es mir zu erläutern, gibt es dafür eigentlich nur zwei Erklärungen. Er hält mich für zu blöd oder er versteht es selbst nicht. Ich rede hier von normalen Alltagsdingen, nicht von hochspezialisiertem Fachwissen. Die Beziehung zur Exfrau ist zu komplex, das kollegiale Verhältnis zur Chefin, die Umwelt sowieso und vieles mehr. Komplex erinnert da stark an Komplexe. Über Bildung lässt sich das beheben, sie schafft die nötige Sensibilisierung und nimmt uns die Angst vor vermeintlicher Komplexität. Denn das Leben heute ist sicher nicht annähernd so komplex, wie das unserer Vorfahren. Denen blieb nur selten Zeit, über die Komplexität ihres Daseins zu sinnieren. Nur zum Sinnieren ist es allmählich zu spät.

Immer noch besser, als monatelang über Plastiktrinkhalme zu diskutieren, denkt man dann, wenn mit deren Verbot gerade mal ein mickriger Anteil (0.05%) des weltweiten Plastikmülls reduziert werden kann. Das mag sein, aber wir wissen daher auch mehr zum Thema. Anstatt nun aber auf die Politik zu warten, ist Selbstinitiative das Beste, was jeder tun kann, auch wenn unser Beitrag noch so mickrig ist. Apropos mickrig, das mit dem Wasser laufenlassen beim Zähneputzen kriege ich noch hin. Ich fliege aber auch kaum mehr, der Beitrag ist schon nicht mehr so mickrig, wenn man dazu berücksichtigt, dass ich auch Kreuzfahrten meide. Und warum fliegen doch so viele Menschen? Weil die Komplexität es verlangt? Die Antwort ist schlicht und einfach: es ist zu billig.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

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