Jean-Paul Clozel, CEO Idorsia, im Interview

Jean-Paul Clozel, CEO Idorsia, im Interview
Idorsia-CEO Jean-Paul Clozel. (Foto: Idorsia)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Clozel, aufgrund seiner Entstehungsgeschichte als Spin-off von Actelion ist Idorsia mit reichlich Kapital ausgestattet. Dennoch: Welches Ihrer zahlreichen Entwicklungsprojekte hat den höchsten Kapitalbedarf?

Jean-Paul Clozel: Idorsia startete Mitte 2017 mit einer prallgefüllten Pipeline, mit 650 hoch talentierten Mitarbeitern, mit einer topmodernen Infrastruktur, um gleich von Beginn weg produktiv arbeiten zu können, und mit einer Milliarde Schweizer Franken Liquidität. Nun haben wir vier Projekte in die letzte Phase der klinischen Entwicklung überführt. Diese Investitionen werden in den kommenden zwei bis drei Jahren die Kosten treiben. Viel wichtiger ist aber, dass wir ab der ersten Hälfte 2020 klinische Daten zu unserem Schlafmedikament erwarten. Im Generellen rechnen wir, dass die Kapitaldecke reichen wird, um die obenerwähnten Produktkandidaten bis zum Ende der finalen klinischen Phase zu entwickeln.

Allein für Aprocitentan erhielten Sie eine Meilensteinzahlung von 230 Millionen US Dollar. Was macht diesen Medikamentenkandidaten so bedeutend?

Die Entwicklung neuer Blutdrucksenker ist in den letzten zwei Jahrzehnten steckengeblieben und für die grossen Pharma-Unternehmen unattraktiv geworden. Viele Generika am Markt dominieren das Preisumfeld. Wir sind die Einzigen, die noch ein Medikament im Bereich des behandlungsresistenten Bluthochdrucks entwickeln. Zudem basiert Aprocitentan auf einem neuartigen Wirkmechanismus in der Behandlung resistenter Hypertonie. Wir sind überzeugt, dass die Einmaligkeit des Produkts das Interesse von Johnson&Johnson geweckt hat.

Gibt es denn trotz der vielen Medikamente gegen Bluthochdruck so viele Fälle von resistenter Hypertonie?

Ja, sehr viele sogar. Unseres Erachtens steigt die Zahl der Fälle leider sogar stetig. Aber wenn nichts mehr hilft, gibt es in der Regel auch kaum noch medizinische Publizität. Nun aber zum eigentlichen Problem: Behandlungsresistenter Bluthochdruck ist häufig gekoppelt an Niereninsuffizienz, an Typ 2 -Diabetes und auch an Fettleibigkeit. Wir schätzen, dass ein Fünftel der Bevölkerung in Industrieländern an erhöhtem Blutdruck leidet, wobei mehr als 70 Prozent davon ihre Blutdruckwerte nicht in den Griff bekommen. Von diesen 70 Prozent nehmen jedoch etwa 90 Prozent ihre verschriebenen Präparate nicht oder nicht regelmässig ein. Die restlichen 10 Prozent sind aber tatsächlich behandlungsresistent, und für diese Patienten entwickeln wir Aprocitentan.

«Menschen kaufen sich jeden Tag einen oder mehrere Muntermacher in der Form einer Tasse Kaffee, wieso sollten sie das nicht auch für einen erholsamen Schlaf tun?»
Jean-Paul Clozel, CEO Idorsia

Nemorexant hilft gegen Schlafstörungen. Kann für so ein Medikament denn ein vernünftiger Preis erzielt werden oder wird das eher ein Massengeschäft?

Schlafstörungen sind eine Problematik, welche sehr viele Menschen betrifft. In den USA leidet 30 Prozent der Bevölkerung an regelmässigen Einschlaf- oder Durchschlafproblemen. Derzeit werden Präparate eingesetzt, welche den Patienten das Bewusstsein nimmt, aber nicht das gleiche bedeutet, wie erholsam zu schlafen. Daher glauben wir, dass den Patienten ein Wirkstoff, welcher das «Wecksignal» blockiert, und somit einen «richtigen» Schlaf herbeiführt, einen grossen Mehrwert bringen würde. Für eine solche Neuerung sind wir der Auffassung, dass es einen grossen Markt gibt und ein vernünftiger Preis erzielt werden kann. Menschen kaufen sich jeden Tag einen oder mehrere Muntermacher in der Form einer Tasse Kaffee, wieso sollten sie das nicht auch für einen erholsamen Schlaf tun?

Nemorexant gehört zur Gruppe der Orexine. Das sind ganz kleine Moleküle, sogenannte Peptide, welche Zellen häufig als Botenstoffe nutzen. Wie genau lassen sich diese steuern?

Wie vorhin angedeutet wirkt Nemorexant am Rezeptor, an den sich der Botenstoff Orexin heftet. Der Botenstoff ist der «Wecker», der uns alle wach hält. Entnimmt man dem Botenstoff die Möglichkeit zu «wecken», indem der Rezeptor blockiert wird, geht der Körper in den Schlafmodus über. Wichtig hierbei ist, dass nicht das Hirn in seiner Funktion beeinträchtigt wird. Das heisst, der Körper kann den Schlaf und dessen Rhythmus regulieren, sowie die Bewegung und Drehungen des Körpers während des Schlafes steuern. Schlaf ist, wie wir alle wissen, nicht mit Regungslosigkeit zu verwechseln. Menschen bewegen sich und träumen während dem Schlaf. Wir sind überzeugt, dass ein natürlicher Schlaf mit dem Ansatz der Orexin-Blockierung vom Körper gesteuert werden kann und somit erholsam ist.

Ein weit gediehener Phase 3-Kandidat ist Clazosentan für die Verbesserung der Blutzirkulation bei zerebralen Vasospasmen in Folge einer Hirnblutung. Wann schätzen Sie, könnte die Marktzulassung erfolgen? Wird dies zuerst in Japan geschehen?

Der Ausblick für Patienten nach einer Hirnblutung in Folge eines geplatzten Aneurysmas ist düster. Viele Patienten überleben die Blutung nicht. Falls sie aufgrund einer rechtzeitig ausgeführten Operation dennoch überleben sollten, besteht das Risiko, dass die Blutzirkulation im Hirn aufgrund eines Vasospasmus (plötzliche krampfartige Verengung eines blutführenden Gefässes, A.d.R.) unterbunden wird. Hier entfaltet Clazosentan seine Wirkung. Es hält die Arterien offen und die teils desaströsen Spätfolgen der Hirnblutung können möglicherweise gemildert werden. Derzeit sind wir in Japan noch an der Patientenrekrutierung. Zudem schliessen wir die Vorbereitungen für die globale Phase 3-Studie ab. Wir schätzen, dass wir die Ergebnisse der beiden Studien im 2020, respektive 2021, haben werden. Demnach rechnen wir, Clazosentan zuerst in Japan und danach in weiteren Regionen zu vermarkten.

«Ab 2020 wird sich dann abzeichnen, welche Produktkandidaten auf dem Markt lanciert werden können.»

Medikamente zur Behandlung seltener Krankheiten (Orphan Drugs) können hohe Verkaufspreise erzielen. Wieso ist dies Fluch und Segen zugleich?

Die Schaffung von Anreizsystemen zur Beschleunigung medizinischer Entwicklungen im Bereich der seltenen Krankheiten ist bestimmt gut für den Patienten. Die Frage stellt sich, ob die Politik bei sehr teuren Medikamenten aktiv sein wird. Ob das Verhalten der Politik dann eine Veränderung in der Entwicklung neuer Präparate im Bereich der seltenen Krankheiten zur Folge haben wird, kann ich nicht abschätzen. Für uns ist wichtig, dass wir Präparate entwickeln, welche innovativ sind und dem Patienten einen hohen Nutzen bringen können.

Nehmen Sie zum Beispiel unser Präparat Lucerastat zur Behandlung von Morbus Fabry. Obwohl in dieser seltenen Krankheit schon mehrere Medikamente zugelassen sind, haben wir uns entschieden, für den Patienten eine Neuerung zu entwickeln. Die Patienten leiden vor allem an neuropathischen Schmerzen, welche oft als Stechen in Händen und Füssen beschrieben werden. Keines der bestehenden Präparate behandelt diese unerträglichen Schmerzen. Genau da wollen wir einen neuen Ansatz liefern. In der ersten Jahreshälfte 2020 sollten wir die Daten der zulassungsrelevanten Phase 3-Studie erhalten. Dann wird sich weisen, ob wir uns von der Konkurrenz differenzieren und einen Mehrwert für den Patienten schaffen können.

Zusammen mit ReveraGen entwickeln Sie ein Mittel gegen Duchenne Muscular Dystrophy (“DMD”). Auch ein Konkurrent aus der Schweiz hat einen Medikamentenkandidaten gegen diese seltene Krankheit (Orphan Drug). Wo sehen Sie Idorsia’s komparativen Vorteil?

Die Frage der geografischen Nähe der Konkurrenz ist in einem globalisierten Markt irrelevant. Viel wichtiger und interessanter ist, dass Konkurrenz die Innovation beflügelt. Komplementäre Ansätze sind für den Patienten immer vorteilhaft. Im Falle von Vamorolone haben wir uns entschlossen, die Option auf das Präparat an Santhera weiterzugeben. Santhera hat sich schon im DMD-Bereich mit Idebenon einen Namen gemacht. Mit Vamorolone verbreitert Santhera ihre Pipeline bei DMD, während sich Idorsia voll auf die eigene, sehr breite und vielversprechende Pipeline konzentrieren kann.

Wir denken, dass es für alle Parteien und die Patienten eine Win-Win-Situation ist. Wir können unsere Ressourcen fokussieren und bleiben nach wie vor über das Aktienpaket an der Santhera mit DMD verbunden. Das Präparat rückt zudem in den Vordergrund, da Vamorolone für Santhera ein Kernprodukt ist. Santhera wird alles daran setzen, Vamorolone zum kommerziellen Erfolg zu führen und möglichst vielen Patienten zu helfen.

Zum Gesprächspartner:
Jean-Paul Clozel ist Arzt und praktizierte als Kardiologe. Nach zwölf Jahren bei der F. Hoffmann-La Roche gründete er mit seiner Frau und zwei anderen Kollegen das Unternehmen Actelion. Im Jahr 2017 wurde Idorsia als Spin-off aus der Actelion gegründet und an der Schweizer Börse kotiert.

Idorsia
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