Weltweites Eisvolumen nimmt schneller ab als bisher berechnet

Weltweites Eisvolumen nimmt schneller ab als bisher berechnet
Arktische Inseln wie Baffin Island oder Spitzbergen (hier im Bild) weisen die grössten Eisvolumen ausserhalb der Eisschilde Grönlands und der Antarktis auf. (Foto: Katrin Lindbaeck)

Zürich – Forscher haben das Eisvolumen aller Gletschergebiete der Erde mit Ausnahme der Eisschilde Grönlands und der Antarktis neu berechnet. Fazit: Die Eisvorräte der Hochgebirge Asiens wurden bislang überschätzt.

Der gegenwärtige Klimawandel lässt Gletscher weltweit schrumpfen. Mit dem schmelzenden Eis gehen buchstäblich auch Süsswasserreserven bachab: Ohne Schmelzwasser würden zahlreiche Flüsse viel weniger Wasser führen, gerade solche, die durch Trockengebiete wie die Anden oder Zentralasien fliessen und dort beispielsweise Landwirtschaft erst ermöglichen. Um einschätzen zu können, wie sich Gletscher und die damit verbundenen Süsswasserreserven künftig entwickeln, aber auch wie sich der Meeresspiegel verändern wird, brauchen Forschende aktuelle Kenntnisse über das heutige weltweit vorhandene Eisvolumen.

Eisdicke von 215’000 Gletschern berechnet
Ein internationales Team von Gletscherforschenden unter der Leitung der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hat nun anhand von einer Kombination von verschiedenen Modellen die Eisdickenverteilung und damit das Eisvolumen von rund 215’000 Gletschern weltweit neu bestimmt. Die Forscher klammerten das Meereis sowie die zusammenhängenden Eisschilde Grönlands und der Antarktis von ihren Berechnungen aus, nahmen jedoch Gletscher, die nicht mit einem dieser Eisschilde verbunden sind, darin auf.

Das Eisvolumen all dieser Gletscher beträgt gemäss der Studie aktuell rund 158’000 Kubikkilometer (km3). Vor ein paar Jahren lag die Schätzung noch rund 18 Prozent höher. Die grössten Gletscher-Eismassen liegen in der Arktis (rund 75’000 km3), was nahezu der Hälfte des gesamten globalen Gletschervolumens entspricht. Es handelt sich dabei um Gletscher in der kanadischen und russischen Arktis – wie beispielsweise die Baffin Island oder Nowaja Semlja – sowie um solche an den Rändern Grönlands und auf Spitzbergen.

Gletscher gehen schneller verloren als angenommen
Nebst Alaska weisen die Gebirge Hochasiens – ein Begriff, welcher nebst dem Himalaja und dem Tibetischen Plateau auch die Gebirge Zentralasiens umfasst – mit 7’000 km3 die grössten Eisvorräte ausserhalb der Arktis auf. Die Studie zeigt, dass dieses Eisvolumen bislang überschätzt wurde: Das neu ermittelte Eisvolumen ist um ein Viertel kleiner als in bisherigen Schätzungen.

«Aufgrund dieser Neueinschätzung müssen wir davon ausgehen, dass die asiatischen Hochgebirge ihre Gletscher schneller verlieren können als bisher angenommen», sagt Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und an der WSL.

Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass bis in die 2070er-Jahre die Gletscherfläche dieser Region um die Hälfte geschrumpft sein wird, nun dürfte dies bereits in den 2060ern der Fall sein – mit merklichen Konsequenzen für die Wasserversorgung. Die Gletscher Hochasiens etwa speisen grosse Flüsse wie Indus, Tarim und die Zuflüsse des Aralsees. Davon hängen wiederum hunderte Millionen Menschen ab.

Abflussmengen um bis zu ein Viertel reduziert
Die Forschenden rechnen damit, dass die gletscherbedingten Abflussmengen dieser Flüsse in den Sommermonaten der Jahre um 2090 je nach Modell bis zu 24 Prozent geringer ausfallen werden als heute. «Diese Differenz ist beunruhigend. Um den vollen Umfang genauer einschätzen zu können, sollten die regionalen Gletschervolumen besser vermessen werden», sagt Farinotti. Zurzeit liegen in der Region nämlich nur sehr wenige Messungen der Eisdicke vor, mit denen die Modelle kalibriert werden können.

Aus ihren Berechnungen leiteten die Forscher zudem ab, dass die Gletscher respektive ihr Schmelzwasser den weltweiten Meeresspiegel bis zu 30 Zentimeter steigen lassen könnten – und zwar dann, wenn sie vollständig abschmelzen würden. Zwischen 1990 und 2010 stieg der Meeresspiegel aufgrund des Gletscher-Schmelzwassers um rund 1,5 Zentimeter.

Die Forscher benutzten für ihre Berechnungen eine Kombination von bis zu fünf unabhängigen Computermodellen. Mehrere Informationsquellen – etwa die Umrisse von Gletschern, die aus Satellitenbilder ableitetet wurden und digitale Höhenmodelle der Gletscheroberfläche – wurden darin mit Informationen über das Fliessverhalten der Gletscher kombiniert. «Dies erlaubt Rückschlüsse auf die räumliche Verteilung der Eisdicke», erklärt der ETH-Professor. Um die Modelle zu kalibrieren, wurden auch Eisdickenmessungen auf Gletschern verwendet. Diese stünden bis jetzt jedoch nur für etwa 1000 Gletscher der Welt zur Verfügung, sagt Farinotti. (ETH/mc/pg)

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