Reto Lämmler, Co-Founder und CEO TestingTime AG, im Interview

Reto Lämmler, Co-Founder und CEO TestingTime AG, im Interview
Reto Lämmler ist Co-Founder und CEO von TestingTime. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Lämmler, TestingTime rekrutiert für ihre Kunden Testpersonen für Usability Tests, Marktforschung, Interviews, Fokusgruppen etc. Sie haben das Unternehmen 2015 mitbegründet, wie ist die Idee dazu entstanden?

Reto Lämmler: Die Passion zum Thema User Experience habe ich damals als verantwortlicher Produktemanager bei Doodle.com entdeckt. Ich liebe es, Dinge radikal einfach zu machen. Berufsbegleitend habe ich meine Passion mit einem Zusatzstudium an der Hochschule Rapperswil im Bereich Human Computer Interaction Design professionalisiert. Nach Doodle’s Exit an Tamedia wollte ich als Interaction Design Freelancer die Welt mit meinem Wissen im Bereich User Centered Design verbessern. Mit Schrecken musste ich aber feststellen, dass ausserhalb von Doodle nicht oft benutzerzentriert gearbeitet wird. Ich ging diesem Problem nach und entdeckte, dass die Beschaffung von Testpersonen oft zum grossen Problem wird. Zwar bieten viele kleine Marktforschungsagenturen diese Dienstleistung an, haben dazu aber meist nur einen eingeschränkten Pool und arbeiten überdies sehr altmodisch. Selber zu rekrutieren ist wiederum vielen Kunden zu mühsam, also hat man neue Produkteideen oft gar nie geprüft und blind weiterentwickelt. Et voilà: Die Idee zum internationalen und digitalen Marktplatz für Testpersonen war geboren.

Wie hat sich TestingTime seit der Gründung entwickelt?

2014 haben wir Gründer anhand eines MVP (Minimal Viable Products) die Businessidee im Rahmen eines Seitenprojektes mit erfreulichen 100’000 Franken Umsatz beweisen können. Im Januar 2015 wurde dann die TestingTime AG gegründet und eine erste Finanzierungsrunde mit investiere.ch durchgeführt. Mit dieser Finanzspritze konnten wir schnell das initiale Team aufbauen, um uns im Schweizer Markt weiter auszubreiten und das Businessmodell in Deutschland zu testen. Wir haben Fahrt aufgenommen, sind schnell gewachsen und verzeichneten bereits 2017 über 1 Mio Franken Umsatz.

Wir sind unserem Businessmodell immer treu geblieben. Es war oft verlockend, andere Dienstleistungen links und rechts auch noch anzubieten. Ein starker Fokus ist uns aber heute noch wichtig, um den Service zu perfektionieren und diesen international zu skalieren. In diesem Sinne haben wir dieses Jahr eine zweite Finanzierungsrunde durchgeführt. Wir möchten bis Ende 2020 einen Pool von über einer Million qualifizierten Testpersonen über ganz Europa hinweg anbieten können. Damit werden wir zum One-Stop-Shop für die Probandenbeschaffung für alle qualitative und quantitative Studien.

Was macht Ihre Rekrutierungsmethoden einzigartig? Wo liegen die Vorteile für Ihre Kunden, welche die Rekrutierung an Sie auslagern?

Unsere Customer Journey läuft online und transparent ab. Unsere Kunden profitieren von einem schicken Online-Preisrechner, mit welchem sie selber Angebote zusammenstellen und bestellen können. Dank dem hohen Volumen an Testpersonen lernt unser Algorithmus täglich dazu und die Qualität wird bald um ein Vielfaches besser sein als bei der Konkurrenz. Nebst der hohen Qualität sind wir dank der Automatisierung auch super-schnell. Wir können Testpersonen innert 48 Stunden liefern. Last but not least: unsere Kunden sind immer häufiger international aufgestellt. Bei TestingTime können unsere Kunden mit Menschen aus ganz Europa Studien durchführen, ohne dazu den Rekrutierungs-Anbieter wechseln zu müssen.

«Qualität heisst bei uns, passgenaue Testpersonen zuverlässig liefern zu können.»
 Reto Lämmler, Co-Founder und CEO TestingTime AG

Welches ist dabei die grösste Herausforderung?

Die grosse Herausforderung bei Marktplatzmodellen wie bei TestingTime ist, automatisiert die Qualität absichern zu können. Qualität heisst bei uns, passgenaue Testpersonen (alle Kriterien erfüllt) zuverlässig liefern zu können (keine No-Shows). Das Feedback sammeln wir durch einen Ratingmechanismus. Wir investieren sehr viel in einen Machine Learning-Algorithmus, um voraussagen zu können, ob eine Testperson mindestens ein 4* Rating erhalten wird. Somit hat unser System einen Indikator bei der Kandidatenzuteilung. Klingt schon fast wie «Minority Report», wo das «Verbrechen» verhindert wird, bevor es überhaupt passiert. (lacht)

Immer wieder kommt die Frage auf, wie viele Testpersonen man benötigt. Hat Nielsen mit seiner Aussage recht, dass 5 für einen Usability Test ausreichend sind?

Bei einem typischen Usability Test (1 Testobjekt, 1 Person, 1 Szenario) stimmt diese Aussage nach wie vor. Wird das Studiendesign komplexer (mehrere Personen & Szenarien) braucht es aber oft mehr als 5 Personen. Ich persönlich bin ein starker Verfechter von agilem User Testing, weil regelmässiges Testen zielführender ist als wenige, aufwändige Studien. Daher empfehle ich einen User Test möglichst in einem Tag durchführen zu können. 5 Personen sind daher ideal, mehr als 7 bringt man nicht durch.

Inwieweit ist TestingTime die Antwort auf den Druck, der auf der Marktforschungsbranche liegt, immer schneller, flexibler und vorausschauender auf Trends und Entwicklungen achten zu müssen?

Das ist eine sehr spannende Frage. Unsere Kunden kommen zu 60% aus dem UX-Umfeld, 20% aus der Innovation und 20% aus der Marktforschung. Grundsätzlich sollten alle drei Disziplinen in Zukunft verschmelzen, weil nämlich alle den gleichen Auftrag haben, nämlich Produkte und Services zu entwickeln, die Menschen bei der Nutzung Freude bereiten und daher gut vermarkten lassen. Die klassische Marktforschung hat die Golden Era hinter sich. Viel zu lange hat sich diese Branche an bewährten Methoden festgeklammert. Das Umfeld, die Nutzer und Technologie haben sich stark verändert und die Marktforschung muss sich daher radikal neu erfinden. TestingTime wird aber die Marktforschungsbranche nicht ersetzen, ihr lediglich helfen, rascher und unkomplizierter Studien durchzuführen und Antworten zu finden.

«Die klassische Marktforschung hat die Golden Era hinter sich. Viel zu lange hat sich diese Branche an bewährten Methoden festgeklammert.» 

Wie werben Sie Testpersonen an?

Das ist ein Mix aus diversen Aktivitäten. Erschliessen wir einen neuen Markt, muss zuerst eine kritische Masse aufgebaut werden. Dazu lancieren wir diverse Online-Kampagnen auf möglichst verschiedenen Kanälen. Wir messen genau, woher welcher Rücklauf kommt und wie gut diese Leute bewertet werden. Die guten Kanäle werden gefördert, die anderen abgestellt. Wichtig ist aber immer, eine gute Diversifizierung abzusichern. Ab ca. 1000 Anmeldungen fängt typischerweise der Referral-Mechanismus an das Grundwachstum voran zu treiben. Wir bezahlen unsere Teilnehmer nämlich auch dann, wenn sie weitere Leute bringen, die bei uns zum Einsatz kommen.

Und wie viele Testpersonen umfasst der Pool von TestingTime?

Aktuell stehen wir bei 170’000 Testpersonen. Davon ist zirka die Hälfte aus dem DACH-Raum und der Rest verteilt sich über Europa. Wir wachsen pro Monat zwischen 5000 – 10’000 Personen.

Gibt es Alters-, Berufs- und Bildungssegmente, die besonders gefragt sind?

Unsere Kunden möchten oft mit Menschen Studien durchführen, die mitten im Leben stehen und auch eine gewisse Kaufkraft haben. Gut gebildete Menschen mit Familie und guten Jobs sind gerne gefragt. In der Schweiz herrscht aber auch im KMU-Segment eine hohe Nachfrage.

Und wie werden die Probanden entschädigt?

Ausschliesslich mit Geld mit direkter Überweisung auf das Bank- oder PayPal-Konto. Geld ist nämlich eine universale Entschädigung, mit dem eine Testperson machen kann was sie will. Andere Anbieter entschädigen oft mit Coupons. Wir glauben einfach nicht daran, weil ein Coupon nicht für alle den gleichen Gegenwert darstellt.

Ein Nebenverdienst ist aller Ehren wert, welches aber ist die Hauptmotivation, Testperson zu werden?

Für junge Menschen ist Geld tatsächlich der Hauptantrieb. Für Menschen über 30 offerieren wir eine spannende Abwechslung zum routinierten Alltag. Es gibt in diesem Segment viele Menschen, die aus Neugier wieder mal hinter die Bühne von Firmen schauen möchten. Wenn man dabei noch gutes Feedback auf die Produkteentwicklung abgeben kann, ist das oft schon genügend Motivation, teilzunehmen. Wir haben z.B. einen Piloten der Lufthansa, der via uns auf dem neusten Stand in der Produkteentwicklung bleiben kann. Bei den älteren Menschen ist es oft der Antrieb, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. In diesen Menschen steckt eine lebenslange Erfahrung, die oft junge Produktedesigner wieder auf den Boden holt.

«Für Menschen über 30 offerieren wir eine spannende Abwechslung zum routinierten Alltag.» 

Welches sind die wichtigsten Faktoren, um die Absprungrate so tief wie möglich halten zu können?

Ich kann da natürlich nicht zu viel zu unserer Geheimrezeptur verraten. In Kürze: man nehme viele Daten, verrührt sie mit einem schlauen Algorithmus und probiert in kleinen Portionen – bis der Geschmack stimmt. (lacht)

Trotz der noch jungen Firmengeschichte sind Sie bereits stark mit der Auslandsexpansion beschäftigt. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Unsere Expansion basiert auf Städten. Niederlassungen haben wir erst in Deutschland und den UK eröffnet. In Deutschland sind wir stark in Berlin, München und dem NRW-Gebiet vertreten. In den UK sind wir im Aufbau von London und ab nächstem Jahr wird unser City-Launcher die Metropolen Paris, Amsterdam und Stockholm in Angriff nehmen.

Herr Lämmler, besten Dank für das Interview.

Zur Person:
Reto Lämmler ist Co-Founder und CEO von TestingTime. Das Handwerk zum Unternehmertum hat er als VP Product bei Doodle.com hautnah miterlebt und geprägt. Ursprünglich studierte Lämmler Software Engineer. Er lebte und arbeitete sechs Jahre als Entwickler in San Francisco.

TestingTime
Firmeninformationen bei monetas

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert