Am Tropf des Erdöls

Von Dieter Haas, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch

Russland ist der günstigst bewertete Aktienmarkt unter den Schwellenländern. Ein langfristig angelegter Markteinstieg birgt geringe Risiken, auch wenn positive Katalysatoren in Form echter struktureller Reformen bislang fehlen.

Während die westlichen Börsen dank verbesserter wirtschaftlicher Perspektiven ihren Höhenflug fortsetzen, bleibt der Appetit der Anleger auf Aktienmärkte der Schwellenländer gering. Diese leiden unter sinkenden Wachstumsraten, dem Zurückfahren der Liquidität der US-Notenbank sowie einem steigenden Dollarkurs. Russland macht da keine Ausnahme. Nach der mehrjährigen Hausse bis zur Finanzkrise und einer anschliessenden Erholung ab März 2009 läuft seit zweieinhalb Jahren nichts mehr. Dadurch sank die Bewertung inzwischen auf historisch äusserst niedrige Werte. Für das laufende Geschäftsjahr liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Russian Trading System Index Ende Januar unter 6. So gesehen kann es fast nur besser werden. Zudem scheinen etliche Rohstoffe kursmässig Boden zu finden. Wegen der rohstofflastigen Wirtschaftsstruktur ist die Preisentwicklung vor allem der Energieträger Erdöl und Erdgas von eminenter Bedeutung für Russland. Der Aktienmarkt ist eng korreliert mit dem Ölpreis (siehe Grafik).

Zaghafter Wirtschaftsaufschwung

Für 2014 sieht Renaissance Capital, eine führende russische Investmentbank, jedoch Licht am Ende des Tunnels. Sie rechnet mit einem beschleunigten Wirtschaftswachstum des realen Bruttoinlandprodukts von 3,3%, dank verstärkter Investitionstätigkeit und einer unvermindert regen Konsumnachfrage. Ins gleiche Horn stossen die Prognostiker des Weltwährungsfonds, welche im laufenden Jahr ein Plus von 3,0% erwarten und danach eine Steigerung auf 3,5% bis 2018. Diese Werte liegen allerdings unter den stolzen Zuwachsraten von 6,4% bis 8,5% in den fünf Jahren vor der Finanzkrise 2008. Das Potenzial wäre somit weitaus höher. Für eine Ausschöpfung bräuchte es allerdings mutigere Schritte zur Stärkung der ungenügenden wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Die fehlende Beseitigung struktureller Mängel hemmte nicht nur das Wachstum. Sie bewirkte in den beiden letzten Jahren auch eine Zunahme der russischen Auslandsverschuldung um jeweils 15%, was den Aussenwert des Rubels schwächte (siehe Grafik). Im Vergleich zu den westlichen Industrieländern ist die Verschuldung des Staates als auch der privaten Haushalte allerdings gering. Mit Währungsreserven von gut 500 Milliarden US-Dollar verfügt die Zentralbank zudem über ein sattes Reservepolster.

«Das KGV des Aktienmarktes Russlands für 2014 liegt bei rund 6.»

Russische Aktienindizes

Es gibt zahlreiche Indizes, die russische Blue Chips abbilden. An der Moskauer-Börse (www.moex.com) wird der Russian Trading System Index RTS-Index berechnet, an der Wiener Börse (www.wienerborse.at/) der Russian Depositary Index sowie der Russian Traded Index, an der Deutschen Börse (www.dax-indices.com) der DAXGlobal Russia, vom Indexanbieter MSCI (www.msci.com/) u.a. der MSCI Russia 30% Capped. Allen Benchmarks gemeinsam ist das überdurchschnittliche Gewicht des Sektors Energie. Anleger, die an der genauen Zusammensetzung interessiert sind, finden unter den aufgeführten Links detaillierte Informationen.

Divergierende Sektorentwicklung

Ein Blick auf die Performance seit Ende 2007 (vgl. Grafik) zeigt eine indexüberproportionale Kursentwicklung der Branchen Chemie (u.a. Uralkali) sowie Konsum & Detailhandel (u.a.Magnit). Dagegen blieben die Sektoren Energieversorgung, Industrie, Metalle und Minen, Rohstoffe und Finanz seit dem Tiefpunkt im Frühjahr 2009 hinter dem Gesamtmarkt zurück.

Gazprom, der gemessen an der Börsenkapitalisierung grösste Konzern Russlands, litt in den vergangenen Jahren unter dem verminderten Gasverbrauch in Europa. Hinzu mussten in den Kontraktvereinbarungen mit wichtigen Kunden Konzessionen gemacht werden, da die Hauptabnehmer eine indexierte Koppelung an den Erdölpreis zugunsten einer Orientierung an die Spotpreise einforderten. Das führte im Zeitraum 2007 bis 2012 zu einem Umsatzrückgang von rund 10%. Inzwischen hat sich die Nachfrage stabilisiert und die Konkurrenzsituation verbessert. Das verhalf dem Aktienkurs seit Juli 2013 zu einer leichten Avance. Gelingt es in den nächsten Wochen, die seit April 2011 dominierende Abwärtstrendlinie zu durchbrechen, wäre der Weg frei für einen substanziellen Anstieg der Aktie.

Vielversprechende Basiswerte

Sberbank, die Nummer 2 im Index, dominiert den Finanzsektor Russlands mit einem Marktanteil von rund 30%. Das Potenzial der Finanzbranche ist im Vergleich zu den westlichen Ländern längst nicht ausgeschöpft. In den kommenden Jahren dürften zweistellige Zuwachsraten die Regel sein. Ein Engagement in die Nummer 1 ermöglicht somit eine ideale Rentabilisierung des künftigen Wachstums. Die Aktien entwickelten sich seit der Finanzkrise erheblich besser als diejenigen von Gazprom. Punkto Performance ragte von den Indexschwergewichten in den letzten Jahren allerdings Magnit heraus. Der Einzelhandelskonzern mit Firmensitz in Krasnodar betreibt mehr als 68’800 Supermärkte, 150 Hypermärkte, 32 Magnit Family und 677 Magnit Drogeriemärkte (Stand: 31. Oktober 2013). Der Konzern profitiert vom zunehmenden Wohlstand der Bevölkerung und hatte massgeblichen Anteil an der überdurchschnittlichen Entwicklung des Sektors.

Boutiqueauswahl bei Strukis

Die Zahl der in der Schweiz offerierten Angebote an Strukturierten Produkten oder ETFs auf russische Aktien und Indizes hält sich in Grenzen. Wenig empfehlenswert sind die zahlreichen Multi-Barrier Reverse Convertibles auf die BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China)-Derivate. Ihr Einsatz gleicht mehr einer Salve mit der Schrotflinte als einem gezielten Investment. Für Anlage mit klarem Russland-Fokus eignen sich Open-end Index-Tracker-Zertifikate auf den Russian Traded Index RTX wie CRTXI der UBS oder RTXOE von Goldman Sachs auf den Russian Depositary Index RDX (ETRUS, RDXUS) und RUXUS auf den Russian Trading System Index RTS wie RUSSL besser. Performancemässig hat ETRUS klar die Nase vorn. Das von der UBS emittierte Produkt wird bis dato ohne Managementgebühr angeboten und muss auch die ETF-Konkurrenz nicht fürchten, ganz im Gegenteil! Renditeoptimierungsprodukte auf russische Indizes oder einzelne Aktien werden einzig auf Gazprom in ausreichender Zahl angeboten. Dank der hohen Volatilität können attraktive Coupons offeriert werden. Der jüngst emittierte BRC VONJYB der Bank Vontobel mit einer Kursbarriere bei 70% kann uneingeschränkt empfohlen werden.

«Das Tracker-Zertifikat ETRUS weist seit Anfang 2011 die beste Performance aller Indexprodukte auf.»

Erste ETFs mit Fokus Russland

Alternativ können auch börsenkotierte Indexfonds, besser als ETFs bekannt, als Anlagealternative in Betracht gezogen werden. Dabei setzt der HSBC MSCI Russia Capped ETF, Symbol HRUB, auf den MSCI Russia 30% Capped) als Einziger auf eine physische Replikationsmethode. Die Bestandteile des MSCI Russia Capped Index sind Gazprom (22,8%), Sberbank (14,5%), Lukoil (13,3%), OJSC Magnit (6,4%) und OAO Novatek (5,4%). Im Quervergleich schneidet er allerdings schwächer ab als die Konkurrenz. Von dieser liefern sich seit dem Jahr 2011 die Commerzbank ETF-Sparte ComStage mit CBRUS auf den MSCI Russia 30% und Mitbewerber Lyxor mit LYRUS auf den DJ Russia GDR ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Nicht mithalten kann MDRI, ein ETF der Royal Bank of Scotland auf den DAXGlobal Russia Index. Die Gebühren der genannten ETFs betragen im Schnitt 0,60% (HRUB, CBRUS) bis 0,65% (LYRUS, MDRI) pro Jahr. Die täglichen Spreads belaufen sich – je nach Marktlage – auf bis zu 1%.

Gemischte Gefühle, aber grosses Potenzial

Beim Blick auf die politische Bilanz von Russland in diesem Jahr hegen viele Beobachter gemischte Gefühle. Einerseits ist Russlands internationales Ansehen in den vergangenen zwölf Monaten durch Themen wie Syrien und die Ukraine nur bedingt besser geworden, andererseits ist Präsident Wladimir Putin, übrigens vom Forbes-Magazine zum einflussreichsten Politiker der Welt gekürt, wohl der Einzige, der das Riesenreich einigermassen zusammenhalten kann. Paradox ist jedoch, dass Russland trotz des immensen Rohstoffschatzes nach wie vor die Schwelle des Emerging Markets noch nicht so recht verlassen kann. Beim jüngsten Blick auf innenpolitische Entscheide zur Ukrainefrage zeigt sich so manche Parallele zum Spruch des russischen Dichters Tjutschew: «Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.» Vorausgesetzt, der Anleger verfügt über den Glauben und die nötige Geduld, auch mal Kurskapriolen auszusitzen, bestehen intakte Chancen, eine reiche Ernte im Reich des russischen Bären einzufahren. Das Potenzial des grössten Landes des Globus ist längst nicht ausgeschöpft.

Kurz erklärt
Russland steht in diesen Tagen im medialen Rampen    licht. Dominierendes Grossereignis sind die Olympischen Winterspiele in der Schwarzmeerstadt Sotschi. Auch Investoren blicken gespannt auf Russland, die jüngsten Bombenanschläge haben Verunsicherung an der Stabilität der Regionen aufkommen lassen. Echte Emerging Markets-Fans lässt dass jedoch eiskalt: Investmentlegende Jim Rogers gab jüngst bekannt, erstmals in Russland investiert zu sein. Das ist aufgrund der sehr günstigen Bewertung des russischen Aktienmarktes nicht überraschend. Nach aktuellen Researchzahlen weist der russische Markt auf Basis der historischen Gewinne ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gerade mal 5,2 auf und ist damit um über 50% günstiger als die Märkte der anderen Schwellenländer. Dazu kommt eine Dividendenrendite von 4,4% im Durchschnitt. In den anderen Emerging Markets liegt sie bei 3,3%. Das sind starke Argumente für Russland – trotz politischem Machtvakuum im Kreml und Zar Putin.

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