Niedrigzinsumfeld: Europas institutionelle Anleger auf der Suche nach Ersatz für Staatsanleihen

James Dilworth

James Dilworth, CEO Allianz Global Investors Europe.

Zürich – Für institutionelle Anleger in Europa kommt der Kauf von Staatsanleihen immer mehr einem Solidarbeitrag zur Systemstabilisierung denn einer Ertragsquelle für Pensionsvermögen gleich. Angesichts der langfristigen Implikationen der finanziellen Repression halten Investoren Ausschau nach Substituten für Staatsanleihen. Sie werden fündig bei traditionellen Spread-Produkten, Schwellenländeranleihen sowie alternativen Anlageklassen wie Immobilien und Infrastruktur.

Europas institutionelle Anleger zeigen sich weitaus weniger besorgt um das Ausfallrisiko von Staatsanleihen als noch vor sechs oder zwölf Monaten. Dies ist eins der Hauptergebnisse der jüngsten RiskMonitor-Umfrage von Allianz Global Investors (AllianzGI). Sahen vor Jahresfrist noch 35 Prozent der Befragten das staatliche Ausfallrisiko in Hinblick auf die Erreichung ihrer finanziellen Ziele als ein sehr hohes Risiko an, so waren es zuletzt nur noch 13 Prozent. Ähnlich stark ist die Bedeutung des Risikofaktors Volatilität gesunken. In der jüngsten Umfrage sahen nur knapp 9 Prozent der 155 Umfrageteilnehmer darin ein sehr hohes Risiko, vor einem Jahr war der Prozentsatz noch dreimal so hoch. Von Entspannung auf Seiten der Investoren kann jedoch keine Rede sein: In den letzten drei Befragungen hielt sich der Anteil derjenigen, die die Risiken sogenannter Extremereignisse („Tail Risks“) als sehr hoch einschätzen, recht stabil bei 15 Prozent.

Zinsniveau eine ernst zu nehmende Gefahr – Deutsche besonders beunruhigt.
Mehr und mehr Sorgen macht Investoren dagegen die niedrige – teilweise sogar negative – Verzinsung von Staatsanleihen höchster Bonität. Über 20 Prozent der Befragten gaben an, dass dies für die Erreichung ihrer finanziellen Ziele ein sehr hohes darstellt. Keine andere Risikokategorie erreichte einen ähnlich hohen Wert. Nimmt man diejenigen hinzu, die einen weiteren Zinsrückgang befürchten, sehen sogar ein Drittel der Befragten in Europa im Niedrigzinsumfeld eine ernst zu nehmende Gefahr. Darüber hinaus scheint mehr und mehr Investoren die Sorge zu plagen, dass das Niedrigzinsumfeld noch eine längere Zeit Bestand haben könnte. Befragt nach dem Makro-Thema, das ihnen nachts den Schlaf raubt, antworteten 25 Prozent: die finanzielle Repression.

In Deutschland, den deutschsprachigen Ländern sowie Frankreich und Italien war die Besorgnis über das Niedrigzinsumfeld besonders stark ausgeprägt. Hier lag der Anteil derer, die das aktuelle Zinsniveau als sehr hohes Risiko betrachten deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Knapp 24 Prozent der Befragten in Deutschland sehen dies als sehr hohes, knapp 62 Prozent als hohes Risiko für das Erreichen ihrer finanziellen Ziele sehen an. Auch hinsichtlich der Risiken von Extremereignissen zeigten sich die in Deutschland befragten Institutionellen besorgter als andere Europäer: Fast jeder vierte sah hierin ein sehr hohes Risiko.

James Dilworth, CEO Allianz Global Investors Europe, zufolge zeigen die Ergebnisse der RiskMonitor-Umfrage, dass viele Anleger das Vertrauen in die Märkte verloren haben. „Ein Grund hierfür ist, dass die Kursentwicklung an den Finanzmärkten zuletzt kaum noch durch normale Angebots- und Nachfragefaktoren getrieben wurde. Vielmehr hing sie zentral davon ab, was die Zentralbanken gemacht haben bzw. ob mit Eingriffen von Seiten der Zentralbanken gerechnet wurde. Seit Ausbruch der Finanzkrise haben die US-Notenbank sowie die Europäische Zentralbank immense Geldsummen in das Finanzsystem gepumpt. Hiermit haben sie den Marktmechanismus faktisch außer Kraft gesetzt und ein binäres Finanzmarktumfeld geschaffen, das gemeinhin RORO – „Risk On, Risk Off“ – genannt wird und das den Erfahrungsschatz vieler Anleger auf den Kopf stellt.“

Investieren in Zeiten finanzieller Repression
Im Bereich regulatorischer Risiken sowie Risiken in Bezug auf die Unternehmensführung wurde eine Verschärfung der Regulierung als grösster Risikofaktor angesehen, gefolgt von mangelnden eigenen Risikomanagementkapazitäten. Insgesamt werden diese nicht-finanziellen Risiken aber als weniger bedeutend angesehen als die zuvor genannten – nur 7,3 bzw. 1,3 Prozent der Befragten sehen sie als sehr hoch an. James Dilworth zufolge werden sich die Kapitalmarktteilnehmer auf zunehmende Regulierung einstellen müssen, nicht nur mit dem Ziel der Verbesserung der Finanzmarktstabilität, sondern auch um den Staaten bei der Verringerung ihrer Schuldenlast zu helfen: „In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass die absehbaren Änderungen bei den Eigenkapital-anforderungen Anlagen in Staatsanleihen begünstigen. Dies greift massiv in die Anlageentscheidung von institutionellen Anlegern und Pensionsfonds ein und wirkt prozyklisch – eine weitere Facette der finanziellen Repression.“

Reinhold Hafner, CIO Solutions bei AllianzGI und CEO der AllianzGI-Tochter risklab, fordert Investoren in diesem Umfeld auf, ihr Investmentverhalten zu überdenken. „Um die erforderlichen Zielrenditen zu erreichen ist im Schnitt eine höhere Allokation des Anlagevermögens in risikobehafteten Anlagen unabdingbar. Und um das Vermögen gegen inflationsbedingten Kaufkraftverlust zu schützen, sollten Anlagen in realen Werten in Betracht gezogen werden. Vor dem Hintergrund zusammengeschmolzener Risikobudgets hat die Bedeutung unkorrelierter Ertragsquellen zugenommen. Das Schlüsselelement ist jedoch ein dynamisches Risikomanagement: Investoren sollten ihre Portfolioallokation dynamisch anpassen, um in Zeiten zunehmender Risikoaversion Verluste minimieren – und damit Risikokapital schonen – zu können, gleichzeitig aber das Aufwärtspotenzial in Zeiten zunehmender Risikofreude zu bewahren. Ein leistungsfähiges Risikomanagement kann damit einen Teil des Risikoanstiegs kompensieren, der aus einer stärkeren Allokation in risikobehafteten Anlagen resultiert.“

Blick gen Osten!
Ein gemischtes Bild ergab sich bei der RiskMonitor-Frage nach geeigneten Substituten für Staatsanleihen. Die Antworten[1] reichten von Pfandbriefen/Covered Bonds (22,7 Prozent), über Infrastrukturfinanzierung (Eigenkapital 13,0 Prozent, Fremdkapital 13,6 Prozent) bis Private Equity (10,4 Prozent) und Rohstoffen (5,8 Prozent). Die mit 68,8 Prozent bei weitem populärste Antwort war allerdings Unternehmensanleihen (obwohl einige der Befragten davor warnten, dass hier in den kommenden sechs bis zwölf Monaten eine Blase entstehen könnte). Schwellenländeranleihen und Immobilien folgten mit 37,0 bzw. 31.2 Prozent auf den Plätzen. Auf Aktienseite erwiesen sich interessanterweise Schwellenländer-Aktien als populärer als Aktien aus den Industrieländern (10,4 bzw. 9,7 Prozent).

Europäische institutionelle Anleger scheinen ein ausgeprägtes Vertrauen in das Wachstum der asiatischen Schwellenländer zu haben: Befragt nach dem Haupthindernis für Investitionen in Asien gaben nur vier Prozent an, dass sie die Fundamentaldaten aus dieser Region als schwächer als die anderer Regionen ansehen. Mehr als 20 Prozent machten sich dagegen über die Liquidität der Marktsegmente Gedanken, und 28 Prozent verwiesen auf mangelnde Transparenz sowie Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung aus dieser Region. Trotz dieser Sorgen gaben 58 Prozent der Befragten an, dass sie ihre Investitionen in Asien voraussichtlich erhöhen würden.

James Dilworth stellt zusammenfassend fest: „Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Länder der westlichen Hemisphäre bereit sind, sich mittels Inflationierung ihrer Schuldenlast zu entledigen, um einen systemischen Schock zu vermeiden. Gleichwohl ist die Staatsschuldenkrise bei weitem nicht ausgestanden. Es ist ermutigend zu sehen, dass institutionelle Investoren die Suche nach Substituten für Staatsanleihen aktiv angehen und bereit sind, sich einem breiteren Risikospektrum auszusetzen. Letzteres ist dringend notwendig. Denn für diejenigen, die eine Strategie der Risikovermeidung anstelle des bewussten Eingehens bestimmter Risiken verfolgen, wird sich die finanzielle Repression als Reise ohne Rendite erweisen.“

Schweizer institutionelle Anleger – auf der Suche nach realer Rendite
Für Stefan Schäfer, Leiter der Zürcher Niederlassung von Allianz Global Investors, spiegeln die Aussagen des 4. RiskMonitors die von ihm beobachtete Hauptsorge der institutionellen Anleger in der Schweiz wider: „Angesichts des herrschenden Niedrigzinsumfeldes wird es für Pensionskassen und Lebensversicherer immer schwieriger, ihre langfristigen Anlageziele zu erreichen, die sie zur Deckung der Ansprüche einer wachsenden Zahl von Rentnern und Pensionären erwirtschaften müssen. So erstaunt es nicht, dass drei Viertel der Befragten Schweizer Institutionen das gegenwärtige Niedrigzinsumfeld als grosses oder sehr grosses Risiko bei der Erreichung ihrer Anlageziele bezeichnen. Ein Drittel der Befragten sieht darin sogar das das grösste Risiko. Aufgrund der langjährigen Erfahrung und der starken Tradition des Asset Managements in der Schweiz scheinen die hiesigen Institute im Vergleich zu ihren europäischen Partner auch eher bereit zu sein, hier neue Wege zu begehen. So sind schweizerische institutionelle Anleger überdurchschnittlich stark in Asien investiert und wollen diesen Anteil weiter ausbauen. Weiter scheint die Finanzkrise den Schweizer Instituten auch gelehrt zu haben, den so genannten Tail Risks eine grössere Beachtung zu schenken. Waren es im Sommer noch 54%, die die den Tail Risks ein grosses oder sehr grosses Gefahrenpotenzial zuschrieben, sind es aktuell bereits über 70%.“ (Allianz Global Investors/mc/ps)

Über die Befragung
Im RiskMonitor befragt Allianz Global Investors halbjährlich institutionelle Anleger in Europa zu deren Wahrnehmung von Kapitalmarkt- und regulatorischen Risiken. Die vierte AllianzGI RiskMonitor-Umfrage wurde zusammen mit dem britischen Fachmagazin Investment & Pensions Europe (IPE) vom 8. bis 26. Oktober 2012 online und per Fax durchgeführt. An der Umfrage haben 155 institutionelle Investoren (überwiegend Pensionseinrichtungen) aus elf europäischen Ländern (Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz) teilgenommen, die für die Anlage oder die Beratung von insgesamt 1934,5 Milliarden Euro Anlagevermögen verantwortlich sind. Der vollständige Ergebnisbericht steht im Internet zum Download bereit: https://www.allianzglobalinvestors.de/docs-produkte/popup/RiskMonitor/index.html

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