Schottland erhält trotz «Nein» zur Unabhängigkeit mehr Freiheiten

David Cameron

David Cameron, britischer Premierminister. (© Host Photo Agency/g20russia.ru)

London / Edinburgh – Die Schotten haben «No» zur Unabhängigkeit von Grossbritannien gesagt, bekommen aber trotzdem deutlich mehr Selbstbestimmungsrechte. Dies hat Premierminister David Cameron am Freitag nach dem historischen Referendum versprochen. Der Wortführer der Unabhängigkeitsbewegung, Ministerpräsident Alex Salmond, kündigte nach der Niederlage seinen Rücktritt als Regierungschef und als Vorsitzender der Nationalpartei SNP an.

Die Verhandlungen über mehr Autonomie sollen schon im November beginnen. Im Januar soll dann ein Gesetzentwurf für mehr Autonomie vorliegen. Mehr Selbstverwaltungsrechte gibt es voraussichtlich in der Sozial-, Steuer- und Finanzpolitik. Die neuen Freiheiten sollen auch den Regionen Wales, Nordirland und England zu Gute kommen.

Rekord-Wahlbeteiligung
Eine Mehrheit von 55,3 Prozent der Schotten stimmte dafür, die mehr als 300 Jahre alte Union mit England zu erhalten. Nur 4 der 32 Wahlbezirke sprachen sich für die Unabhängigkeit aus, darunter Schottlands grösste Stadt Glasgow und Dundee an der Ostküste. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 85 Prozent so hoch wie noch nie in Schottland, wie die Wahlleitung mitteilte.

Salmond sagte, Mitte November werde ein SNP-Parteitag einen Nachfolger bestimmen, der dann auch sein Ministerpräsidentenamt übernehmen soll. Als Favoritin für die Nachfolge des 59-Jährigen gilt seine Stellvertreterin in beiden Funktionen, Nicola Sturgeon.

Salmond ist seit 2007 «Erster Minister» Schottlands. 2011 hatte er mit seiner sozialdemokratisch orientierten SNP die absolute Mehrheit errungen. Er stand der Partei mehr als zwanzig Jahre lang vor. Die Unabhängigkeit von Grossbritannien war Salmonds grosse Vision. Dafür war er anfangs oft belächelt worden – auch von Regierungsvertretern aus London.

Weltweite Erleichterung
Die Entscheidung der rund 4,3 Millionen Wahlberechtigten war auch international mit grosser Spannung erwartet worden. Ein «YES» zur Unabhängigkeit des ölreichen Schottlands hätte grosse Auswirkungen auf Finanzmärkte, die Europäische Union und die Nato gehabt. Premier Cameron, dessen Rücktritt im Raum stand, reagierte deshalb erleichtert. «Das Volk hat gesprochen, und das Resultat ist klar.»

Noch ist unklar, welche Kompetenzen im Detail London an Edinburgh abtreten wird. Im Gespräch ist die Festlegung der Einkommenssteuer. Als unwahrscheinlich gilt, dass Edinburgh künftig über die Steuereinnahmen aus der Ölförderung in der Nordsee bestimmen darf.

Regierungschef Cameron kündigte an, die Föderalismus-Debatte nun im ganzen Königreich führen zu wollen. «Genau wie Schottland separat im schottischen Parlament über seine Steuer- und Sozialangelegenheiten bestimmen wird, so sollten auch England genauso wie Wales und Nordirland in der Lage sein, über diese Dinge abzustimmen.»

Eigenes Regionalparlament auch für England?
Die oppositionelle Labour-Partei hatte ein eigenes Regionalparlament auch für England vorgeschlagen. Der grösste britische Landesteil hat als einziger bisher keine eigene, dezentralisierte Volksvertretung.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel liess Zufriedenheit über das schottische Nein erkennen, und auch Aussenminister Frank-Walter Steinmeier begrüsste die Entscheidung. Der SPD-Politiker bilanzierte, die Menschen wollten ein starkes Schottland in einem starken Grossbritannien. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso betonte, das Ergebnis sei «gut für das vereinte, offene und gestärkte Europa».

Katalonien hält an Abspaltungskurs fest
Die internationalen Börsen reagierten weitgehend positiv auf den Ausgang des schottischen Referendums. Das britische Pfund reagierte mit einem Kurssprung gegenüber Euro und US-Dollar.

Katalonien will den Prozess zur Abspaltung von Spanien auch nach der Niederlage der schottischen Unabhängigkeitsgegner unbeirrt fortsetzen. Der katalanische Regierungschef Artur Mas will am 9. November in der wirtschaftsstärksten Region Spaniens ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten, das Madrid als verfassungswidrig ablehnt. (awp/mc/upd/ps)

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