Martin Greweldinger, Group Chief Product Officer Avaloq, im Interview

Martin Greweldinger

Martin Greweldinger, Group Chief Product Officer Avaloq. (Foto: Avaloq)

von Sandra Willmeroth

Moneycab.com: Was hat sich seit Dezember, seit der vollständigen Übernahme durch die japanische NEC Corporation bei Avaloq geändert?

Martin Greweldinger: Wir sind nun daran, unsere langfristige Kooperation aufzugleisen und freuen uns enorm darauf, in Zukunft starke Synergien nutzen zu dürfen – zum Beispiel in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), Blockchain und Cyber Security – und so die Innovation im digitalen Banking weiter voranzutreiben.

Wird Avaloq selbstständig bleiben?

Avaloq wird weiterhin als eigenständige Einheit mit Hauptsitz in der Schweiz operieren und wir verfolgen nach wie vor die Vision, Vermögensverwaltungsdienste zu demokratisieren. Das heisst, wir wollen mittels neuer Technologien und Lösungen mehr Menschen den Zugang zu hochstehender Anlage- und Finanzberatung ermöglichen – was traditionell nur den obersten Kundensegmenten im Private Banking vorenthalten war. Diese Vision deckt sich ideal mit dem langfristigen Ziel der NEC Corporation, eine faire, sichere, effizientere und nachhaltigere Welt zu schaffen, in der jeder Mensch die Chance hat, sein volles Potenzial auszuschöpfen.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihr Geschäft ausgewirkt? Wo beschleunigt und wo hemmt die Pandemie?

Die Pandemie hat den Digitalisierungsdruck bei unseren Kunden, den Banken und Vermögensverwaltern, deutlich erhöht. Der bereits bestehende Trend wurde somit durch die Corona-Situation beschleunigt – dies gilt sowohl für das Front-, Middle- als auch für das Back-Office. Im Front-Office wurde durch die behördlichen Massnahmen der persönliche Kundenkontakt stark eingeschränkt. Dies führte dazu, dass die Finanzinstitute – wie auch in anderen Branchen – schnell auf alternative Kanäle ausweichen mussten.

«Der bereits bestehende Trend zur Digitalisierung wurde durch die Corona-Situation beschleunigt – dies gilt sowohl für das Front-, Middle- als auch für das Back-Office.»
Martin Greweldinger, Group Chief Product Officer Avaloq

Sind alle Banken technisch in der Lage zu solchen Ausweichmanövern?

Gwisse IT-Infrastrukturen stiessen dabei schnell an ihre Grenzen und es wurde bald ersichtlich, wer in den letzten Jahren genug in Innovation investiert hatte und wer eben nicht.

Was sind die Herausforderungen im Middle- und Back-Office?

Da stehen eher technologische und regulatorische Hürden im Vordergrund. So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie man sicherstellen kann, dass Mitarbeitende im Homeoffice sensitive Kundendaten bearbeiten können, ohne gesetzliche und vertragliche Bestimmungen zu verletzen. Auch hierfür gibt es entsprechende digitale Lösungen, die Banken und Vermögensverwaltern dabei helfen, mit diesem «New Normal» zurechtzukommen.

Im vergangenen Jahr haben Sie mit Avaloq Engage, Wealth und Insight drei neue Plattformen lanciert. Was hat es damit auf sich?

Bereits vor Corona hatten sich die technologischen Anforderungen der Bankkunden stark gewandelt und wir wollten mit innovativen Lösungen dazu beitragen, dass diese aufkommenden Bedürfnisse entsprechend abgedeckt und neue Marktpotentiale genutzt werden können. Avaloq Engage ist eine Omnichannel-Plattform, die eine ganzheitliche Kundenbetreuung und -interaktion ermöglicht. So können Kunden über Social-Messaging-Dienste wie Whatsapp direkt mit ihren Beratern in Kontakt treten. Dank dem Einsatz von KI kann der Berater dabei effizient und zielgerichtet auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Kunden eingehen, was zu einem vorteilhaften Skalierungseffekt führt.

Mit Avaloq Wealth gehen wir auf den Trend zur verstärkten Personalisierung in der Kundenberatung ein. Diese Plattform ermöglicht Anlagevorschläge mit einem individualisierten Risikoprofil und bietet eine Portfolioübersicht in Echtzeit – so wie es heute von vielen Kunden erwartet wird. Avaloq Insight, unsere dritte neue Plattform, kommt bei der Aufbereitung von grossen Datenmengen zum Einsatz. Ausgeklügelte Machine-Learning-Algorithmen analysiert und verarbeitet dabei Bankdaten, um intelligente Kundenlösungen zu ermöglichen und neue Geschäftsfelder zu erschliessen.

«Blockchain-Lösungen werden an Bedeutung gewinnen, nicht nur im Crypto-Bereich. Dies wird zu deutlichen Effizienzsteigerungen und einer verbesserten Skalierbarkeit des Geschäfts führen.»

Avaloq ist als Anbieter von Kernbankensoftware gross geworden. Seither hat sich die Welt geändert. Was orten Sie als die aktuell grossen Trends im Bereich des Banking? Mobiles Banking, KI, Automatisierung, Regulierung oder ganz etwas anderes?

Lösungen für unterwegs, KI sowie die zunehmende Automatisierung sind schon seit einigen Jahren wichtige Trends im Bereich Digital Banking – das wird sich wohl nicht so schnell ändern. Ausserdem wird wohl auch im Banking ein grosser Teil der Daten in den kommenden Jahren in die Cloud verlagert und auch Blockchain-Lösungen werden zunehmend an Bedeutung gewinnen, nicht nur im Crypto-Bereich. Dies wird zu deutlichen Effizienzsteigerungen und einer verbesserten Skalierbarkeit des Geschäfts führen. Darüber hinaus beobachten wir auch vermehrt einen Trend zur Kooperation basierend auf dem Grundgedanken des «Open Banking». Hier geht es darum, dass Banken und Vermögensverwalter sich mit externen Partnern und Drittanbietern zusammentun, um ihren Kunden die Produkte und Dienstleistungen zu bieten, die am besten auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind.

Wie steht es allgemein mit der Bereitschaft der Banken, sich zu wandeln und zu öffnen für neue Technologien und Zusammenarbeit mit Fintechs? Stichwort Open Banking?

In der Branche finden bereits ernsthafte Anstrengungen im Bereich Open Banking statt, aber es ist noch ein langer Weg bis dieses Konzept zum Standard wird. Dies hat mehrere Gründe; 1.) Technologische Hürden – es bedarf einer standardisierten, offenen Plattform, die für alle Teilnehmer einfach zugänglich ist, 2.) Regulierung und Compliance – die verschiedenen Gesetze in den einzelnen Märkten gestalten das Unterfangen noch komplexer, 3.) Es muss generell ein Umdenken stattfinden – weg vom In-House-Fokus, hin zur Ökosystem-Idee.

Welchen Beitrag leistet Avaloq.one zu dieser Entwicklung?

Um das Konzept der Ökosysteme zu fördern, engagiert sich Avaloq beim 2019 gegründeten OpenBankingProject.ch für die Entwicklung der nötigen Standards auf dem Schweizer Finanzplatz. Ausserdem bieten wir mit dem Avaloq.one Ecosystem unseren Kunden einen Open-Banking-Marktplatz, auf dem sie mit innovativen Fintechs kooperieren können. Das Ziel ist eine Win-Win-Win-Situation zu schaffen; die etablierten Finanzinstitute erhalten Zugang zu modernster Technologie, aufstrebende Startups können ihre Produkte und Dienstleistungen einem breiteren Publikum anbieten und schliesslich profitieren die Bankkunden von innovativen Finanzlösungen, die ihr Leben angenehmer gestalten.

Welches Potenzial hat KI im Banking? All die Robos haben sich bislang ja kaum bewährt…

KI beinhaltet weit mehr als «nur» Robotik und die sogenannten «Robo Advisors» sind ja noch eine relativ neue Entwicklung, die primär im Retail-Geschäft zum Einsatz kommen. Ganzheitlich betrachtet, sind im Banking KI-Themen wie Machine Learning und Automatisierung viel relevanter für die zukünftige Ausrichtung der Branche. In einer kürzlich erschienenen Studie von Avaloq (Avaloq Front-to-Back Office Report) kristallisierte sich insgesamt heraus, dass KI durchaus das Potenzial hat, den Kundenservice zu verbessern, stark personalisierte Dienstleistungen zu bieten sowie repetitive Aufgaben zu automatisieren.

Welche Rolle spielen die Mitarbeitenden aus Fleisch und Blut in diesen Szenarien?

In der Studie zeigte sich auch, dass die Mitarbeitenden einen massgeblichen Anteil daran haben, dass dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann. Sowohl das Front-Office als auch das Middle- und Back-Office sind nach wie vor unentbehrlich, um den Bankkunden ein ganzheitliches und nahtloses Kundenerlebnis bieten zu können. Die Studie kommt auch zum Schluss, dass eine deutliche Mehrheit der Kunden nicht einen ausschliesslich «robotergestützten» Service nutzen möchte und die menschliche Komponente, insbesondere in der Beratung durchaus geschätzt wird. Daher besteht unsere langfristige Vision für die Vermögensverwaltung darin, die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Kunden und Beratern aufrechtzuerhalten und sie mittels Technologie zu stärken, um das Engagement und die Zufriedenheit zu steigern.

Viele fürchten dennoch einen massiven Arbeitsplatzabbau im Banking, nicht zuletzt weil Prozesse digitalisiert und Beratung automatisiert werden. Wie schätzen Sie das ein?

Ich bin davon überzeugt, dass intelligente, auf Automatisierung und Machine Learning beruhende Technologien in den kommenden Jahren grosse Vorteile für Finanzinstitute bringen werden. Wie bereits erwähnt, spielen aber die Menschen bei dieser Entwicklung weiterhin eine entscheidende Rolle.

«In Zukunft werden im Banking wohl neue Skills gefragt sein – idealerweise sollte man dabei digitales Fachwissen mit einem ausgeprägten Verständnis für Kundenbedürfnisse verbinden können.»

Welche Skills müssen die Banker von morgen mitbringen?

In Zukunft werden im Banking wohl neue Skills gefragt sein – idealerweise sollte man dabei digitales Fachwissen mit einem ausgeprägten Verständnis für Kundenbedürfnisse verbinden können. Hochentwickelte Technologien und bessere Analysen der grossen Datenmengen werden einen zentralen Einfluss darauf haben, wie Finanzinstitute künftige Herausforderungen meistern. Die Back- und Middle-Office-Kollegen werden das Front-Office dabei unterstützen, einen besseren, personalisierten und flexibleren Kundenservice zu bieten, der nach wie vor durch die menschliche Beratung zu überzeugen vermag. Für einen langfristigen Erfolg im Banking ist es letztlich entscheidend, als Finanzdienstleister ein optimales Zusammenspiel zwischen Mensch und Technologie zu erreichen.

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