Rolf Zeltner, CEO Advance, im Interview

Rolf Zeltner

Rolf Zeltner, CEO Advance. (Foto: Thomas Ulrich)

von Robert Jakob

Moneycab.com: Herr Zeltner, bei Gleitschirmen wechseln die Modelle etwa doppelt so schnell wie bei Autos. Wie kommt man als Hersteller damit zurecht?

Rolf Zeltner: Das ist richtig, aber sie wechseln deutlich langsamer als bei anderen Outdoor-Sportarten wie der Skibranche. Unser dreijähriger Zyklus bietet uns die Möglichkeit, echte Neuentwicklungen zu bringen und nicht nur Produktupdates. Zudem haben wir eine sehr straffe Produktpalette, wir investieren unsere Entwicklungsressourcen lieber in weniger Modelle, diese sind dann aber absolut ausgereift, wenn sie auf den Markt kommen.

Würden Sie Advance eher als Mercedes oder als Opel unter den Gleitschirmproduzenten bezeichnen?

Advance gilt als Premium Hersteller in der Branche, so gesehen wohl eher mit dem ersten.

Advance ist in diesem Sport eine Institution. Weiss man das in der Gemeinde Thun?

Gleitschirmfliegen ist ein Nischenmarkt. Mit unseren 20 Arbeitsplätzen in Thun gehören wir hier nicht zu den grossen Playern am Standort… In den Lokalmedien oder im Stadtmagazin erscheinen ab und zu Beiträge über die Firma oder über unsere Piloten, weil Gleitschirmfliegen doch das Interesse erweckt.

«Unser dreijähriger Zyklus bietet uns die Möglichkeit, echte Neuentwicklungen zu bringen und nicht nur Produktupdates.»
Rolf Zeltner, CEO Advance

Was entgegnen Sie jemandem, der sagt, Gleitschirmfliegen sei ein Risikosport?

Versicherungstechnisch ist Gleitschirmfliegen keine Risikosportart, aber es ist klar, dass man in der Luft ist, und Unfälle meistens schwerwiegende Folgen haben. Deshalb muss man das Ganze seriös angehen und bei der Sache sein. Unseren Beitrag zu Sicherheit wollen wir leisten, indem wir möglichst einfache und sichere Produkte entwickeln.

Ich hatte aber einmal einen Arbeitskollegen, dem hatte die Frau das Fliegen verboten…

Ja, das soll es geben… Es gibt aber auch viele Frauen, die selber fliegen…

Der Trend geht eindeutig zu sichereren Schirmen. Dennoch nähern sich selbst diese Gleitschirme der Gleitzahl 10, das heisst für einen Höhenmeter werden in ruhiger Luft 10 Meter Strecke zurückgelegt. Diese Entwicklung kann ja ähnlich wie im Hochsprung nicht unendlich weitergehen. Wo ist Schluss?

Fortschritt gibt es immer. Wenn es mal bei der Leistung grad etwas stagniert, geht es bei der Einfachheit oder Sicherheit weiter oder die Produkte werden noch leichter. Aber auch bei der Gleitzahl wird es weitere Fortschritte geben, zweifellos.

Die halbrunden Eintrittszellöffnungen sind das Markenzeichen der Advance-Schirme. Gleichzeitig sprecht ihr auch noch von Air Scoop Technologie. Können Sie die mit zwei Sätzen erklären?

Das echte Wahrzeichen von Advance-Schirmen sind die Winglets. Diese helfen wie bei grossen Linienflugzeugen, die Randwirbel und somit den Widerstand in der Luft zu reduzieren. Die halbrunden Zellöffnungen in Kombination mit dem Air Scoop führen zu einem höheren Innendruck im Schirm und somit zu mehr passiver Sicherheit für den Piloten.

«Das echte Wahrzeichen von Advance-Schirmen sind die Winglets. Diese helfen wie bei grossen Linienflugzeugen, die Randwirbel und somit den Widerstand in der Luft zu reduzieren.» 

Um das jährliche Absatzpotenzial von 25’000 Gleitschirmen balgen sich weltweit etwa 40 Hersteller. Advance als Weltmarktführer behauptet mit einem jährlichen Ausstoss von rund 3000 Schirmen einen Marktanteil von rund 12 Prozent. Wollt ihr den Marktanteil noch weiter steigern, oder wird Advance neben Gurtzeug bald auch Rettungsschirme herstellen?

Als Premium-Anbieter ist es nicht unser primäres Ziel, einen möglichst hohen Marktanteil anzustreben, sondern qualitativ hochstehende Produkte zu einem entsprechenden Preis zu verkaufen. Tatsächlich sind wir gerade daran, einen komplett neuartigen Notschirm am Markt zu lancieren, dazu sind wir ein Joint Venture mit einer ungarischen Firma eingegangen. Unser Part ist die weltweite Vermarktung und der Verkauf des Produktes.

Wissen Sie wieviel Prozent der Piloten liegend und wie viele sitzend fliegen?

Zirka 30 Prozent fliegen liegend, 70 Prozent sitzend.

Treffen Sie noch den Advance-Mitbegründer Robert Graham?

Ja, regelmässig, wir arbeiten sogar zusammen. Robert hat gemeinsam mit zwei Partnern das Alpride Lawinenairbagsystem entwickelt. Wir produzieren diese Airbags in unserer eigenen Produktionsstätte in Vietnam. Anschliessend werden diese Systeme in Rucksäcke verschiedener bekannter Outdoor-Marken eingebaut.

Gibt es zwischen den einzelnen Herstellern irgendeine Form der Zusammenarbeit?

Ja, das gibt es schon, die Branche ist klein und man kennt sich. Da kann es schon mal soweit kommen, dass man gemeinsam mit anderen Herstellern Materialien einkauft oder sich austauscht.

Auf ein Vierteljahrhundert rasende Entwicklungsgeschichte zurückblickend: Was würde das Advance-Team als grössten Wurf bezeichnen?

Ein Meilenstein war sicher die Lancierung des Hochleisters Omega 3 im 1994. Dieses Serienprodukt ist aus dem Weltmeisterschirm 1993 hervorgegangen und hat entsprechend hohe Wellen geschlagen. Wir haben damals unsere Produktion grad von Europa nach Vietnam verlagert und neu aufgebaut. Bevor wir den ersten Omega 3 ausgeliefert hatten, standen schon 600 Bestellungen in den Büchern. Es vergingen Monate, bis wir diese alle produzieren konnten. Die ganze Kommunikation mit der Produktion damals lief noch über Fax und Telefon, die Faxe wurden durch das Regime abgefangen und gelesen, bevor sie dann um Tage verzögert an den Empfänger weitergeleitet wurden…

Zur Person:
Vom Wasser in die Luft: Als jungen Mann zog es Rolf Zeltner zunächst auf’s Wasser. Schon als Jugendlicher nahm er an nationalen und internationalen Regatten teil und widmete jede freie Minute dem Segeln. Nach Beendigung seiner Ausbildung zum Maurer machte er sein Hobby zum Beruf und zog als Segellehrer und Bootsbauer durch die Schweiz, bis er mit der damals neuen Sportart Gleitschirmfliegen konfrontiert wurde. 1988 gründete er gemeinsam mit Robert Graham die Marke ADVANCE.

Zum Unternehmen:
ADVANCE ist ein weltweit führender Hersteller für Gleitschirme und Flugausrüstung. Die Schweizer Premium-Marke steht für Qualität, Innovation und Design. Mehrere Hundert Menschen sind in verschiedensten Positionen für das Unternehmen tätig. 20 davon arbeiten am Hauptsitz in Thun, wo Entwicklung, Vertrieb und Support angesiedelt sind. In der eigenen Produktionsstätte in Ho-Chi-Minh-City in Vietnam kümmern sich über 270 Mitarbeiter um die Produktion der Gleitschirme, Gurtzeuge, Rucksäcke und Accessoires.

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