Zürich – Schweizer und europäische Unternehmen müssen ihre KI-Fähigkeiten drastisch ausbauen, um den wachsenden Produktivitätsrückstand gegenüber den USA aufzuholen. Das zeigt eine neue Studie des Beratungsunternehmens Accenture, für die 800 europäische Grossunternehmen befragt wurden, davon 115 in der Schweiz.
Europäische Arbeitnehmer:innen erreichen heute nur noch 76% der Produktivität ihrer US-amerikanischen Pendants – vor 30 Jahren lag Europa noch gleichauf. Als Hauptursache identifiziert Accenture stetige Unterinvestitionen in Zukunftstechnologien. Im europäischen Vergleich belegt die Schweiz mit einem KI-Reifegrad von 52 von 100 Punkten den ersten Platz. Damit liegt die Schweiz deutlich über dem europäischen Durchschnitt (46 Punkte) und auch vor Deutschland (48 Punkte), Grossbritannien und Frankreich (jeweils 47 Punkte), während Spanien (40 Punkte) und Italien (39 Punkte) deutlicher zurückliegen.
Obwohl KI als Schlüsseltechnologie und zukunftsweisend für die europäische Wirtschaft gilt, nutzen Unternehmen ihre Möglichkeiten noch unzureichend: Mehr als die Hälfte (56%) der befragten europäischen Grossunternehmen hat noch keine bedeutende KI-Initiative erfolgreich skaliert. In der Schweiz haben 43% der Grossunternehmen mindestens eine transformative KI-Lösung implementiert. Diese Führungsrolle zeigt sich auch darin, dass 81% der befragten Schweizer Unternehmen bereits einen Chief AI Officer (oder eine ähnliche Funktion) ernannt haben (75% in Europa, 73% in Deutschland) und 51% eine Kern-Daten- und KI-Strategie implementiert haben (35% in Europa, 32% in Deutschland). Zudem haben 41% der Schweizer Unternehmen bereits KI-Agenten integriert (32% in Europa, 31% in Deutschland).
«Die Schweiz hat sich mit ihrer hohen KI-Reife eine Spitzenposition in Europa erarbeitet», sagt Marco Huwiler, Country Managing Director von Accenture in der Schweiz. «Dieser Vorsprung ist ein klares Zeichen für unsere Innovationskraft. Doch um diesen Vorsprung zu sichern und uns weiterhin an der Spitze zu behaupten, müssen wir die Entwicklung konsequent vorantreiben und kontinuierlich in unsere KI-Fähigkeiten investieren.»
Wenn alle grossen europäischen Unternehmen mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro ihre Kompetenzen im Bereich der KI auf das Niveau der Vorreiter-Branchen ausbauen würden, liessen sich laut Accenture zusätzliche Erlöse von fast 200 Milliarden Euro pro Jahr generieren.
«In einer Zeit zunehmender geopolitischer Unsicherheiten war es noch nie so wichtig, Europas Produktivitätslücke zu schliessen. Die Schweiz nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, doch auch wir müssen das volle Potenzial der KI ausschöpfen», sagt Mauro Macchi, CEO von Accenture in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. «KI eröffnet Europa dabei die Chance, seine Wirtschaft neu zu erfinden und die eigene Wettbewerbsfähigkeit deutlich zu stärken. Zwar erzielen europäische Unternehmen bereits Fortschritte, doch um KI schneller zu skalieren und ihr volles Potenzial auszuschöpfen müssen sie Cloud-Technologien konsequenter einsetzen, ihre Datenarchitekturen modernisieren und sich auf die Qualifizierung ihrer Daten konzentrieren. Eine koordinierte Industriestrategie mit gemeinsamer KI-Infrastruktur und Investitionen hilft, zersplitterte Einzelinitiativen zu vermeiden und sichert Unternehmen in ganz Europa den Zugang zu leistungsstarkem Computing, Forschung und Entwicklung sowie Schulungen. Europa bringt alles mit, was nötig ist, um die KI-Revolution erfolgreich zu gestalten – jetzt gilt es, entschlossen zu handeln.»
Grosse Unternehmen führen KI schneller ein als kleinere Unternehmen, was die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit Europas weiter beeinträchtigen könnte. Während 48% der europäischen Grossunternehmen bereits mindestens eine transformative KI-Lösung implementiert haben, sind es bei kleineren Unternehmen nur 31%. In Europa ist der Anteil kleinerer Unternehmen höher als in den USA – ein Umstand, der besonders im Hinblick auf die zentrale Bedeutung des Mittelstands als Rückgrat der deutschen Wirtschaft grosse Chancen bietet.
Die Studie zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Branchen. Während die Schweiz branchenübergreifend eine hohe KI-Reife aufweist, nehmen europaweit Sektoren wie die Automobilindustrie sowie die Luft- und Raumfahrt- und Verteidigungsbranche eine Vorreiterrolle ein. Gleichzeitig liegen andere Industrien wie Telekommunikation und Energieversorgung zurück. Da es vor allem diese Branchen sind, die kritische Infrastrukturen wie Energiesysteme und digitale Netzwerke bereitstellen, können sie aufgrund ihrer relativ geringen KI-Reife zu einer Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität der Region werden. Auch der Industriesektor, der mehr als ein Viertel des europäischen BIP erwirtschaftet, muss das Potenzial der KI noch voll ausschöpfen. Diese Ungleichheiten unterstreichen die Notwendigkeit eines einheitlicheren Ansatzes für die Einführung von KI in allen Branchen.
Um als Unternehmen einen Mehrwert aus KI-Investitionen zu ziehen, nennt die Studie Schlüsselkompetenzen, die entscheidend sind: von Daten bis hin zu Talenten. Diese KI-Fähigkeiten sind relativ gleichmässig in den verschiedenen Ländern verteilt. In der Schweiz, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Frankreich gibt es jedoch etwas mehr KI-fähige Unternehmen als in Italien und Spanien.
Die Studie sieht die Entwicklung eines stabilen, wettbewerbsfähigen KI-Ökosystems in Europa als essenziell an, um die Vorteile der KI voll auszuschöpfen. Dazu gehört die Unterstützung kleinerer Unternehmen bei der KI-Entwicklung, die Förderung eines souveränen europäischen KI-Ökosystems sowie die Ausarbeitung einer koordinierten Industriestrategie.
Eine weitere Herausforderung: 60% der europäischen Beschäftigten befürchten, durch KI ihren Arbeitsplatz zu verlieren. 36% fühlen sich nicht ausreichend qualifiziert für den Umgang mit KI-Technologien. Die Studie identifiziert die Skalierung von KI als grösstes Hindernis. Hier zeigen sich für die Schweiz spezifische Ausprägungen: Während die Datengrundlage (34%) und multidisziplinäre Teams (27%) im Vergleich zum europäischen Durchschnitt weniger als Barriere wahrgenommen werden, sind Sicherheitsrisiken (40%) in der Schweiz ein grösseres Anliegen. Der Geschäftswert (18%) wird in der Schweiz seltener als Hindernis genannt, was auf eine klarere Sicht auf den ROI hindeutet. Um diese Herausforderungen zu überwinden, empfiehlt die Studie:
- Datengrundlage: Abbau von Datensilos und Aufbau einer durchgängigen Datengrundlage mit Qualitätsdaten
- Multidisziplinäre Teams: Konzentration auf die Entwicklung von Talenten, einschliesslich Schulungen und kontinuierlicher Lernmöglichkeiten, um das erforderliche Fachwissen aufzubauen und zu erhalten
- Sicherheitsrisiken: Aufbau eines sicheren digitalen Kerns, um Schwachstellen, Redundanzen und technische Schulden zu reduzieren
- Business Value: Identifizierung und Implementierung konkreter Anwendungsfälle mit nachgewiesenem ROI
- KI-Kompetenz: Schulungen und Unterstützung der Mitarbeitenden sowie Sicherstellung, dass KI-Tools zugänglich und benutzerfreundlich sind
Die Schweizer Unternehmen, die bereits in KI investiert haben, erwarten in den nächsten 18 Monaten eine Umsatzsteigerung von 14% (im Vergleich zum Europa-Durchschnitt von 13%) und eine Produktivitätssteigerung von rund 16%. (Accenture/mc/ps)