Bundesanwalt Valentin Roschacher: «Zusammenarbeit statt Gärtchendenken»


Der in die Kritik geratene Bundesanwalt Valentin Roschacher nimmt im Moneycab Interview Stellung zu den erhobenen Vorwürfen und gibt interessante Einblicke in seine Ideen, Pläne und was für ihn nebst der Arbeit wichtig ist. Teil 1 (Teil 2 am Freitag)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Bundesanwalt Roschacher, das Bundesstrafgericht in Bellinzona, das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt und die Beschwerdekammer des Bundesgerichts beklagen sich alle über zuwenig zugewiesene Fälle und machen direkt oder indirekt die Bundesanwaltschaft (BA) dafür verantwortlich.
Auf der anderen Seite haben sich zum Beispiel die Verdachtsmeldungen bei derMeldestelle für Geldwäscherei in den letzten zwei Jahren auf 863 verdoppelt. Ist die BA ein Bremsklotz?

Bundesanwalt Valentin Roschacher: Nein, als Formel-1-Liebhaber sind mir Tempomacher selbstverständlich auch lieber, als Bremsklötze. Und Effizienz ist für die Bundesanwaltschaft (BA) nicht nur Ansporn, sondern Auftrag. Aber die Strafverfolgung ist nur beschränkt mit einem Autorennen zu vergleichen, in dem jeder sein eigenes Gefährt als erster über die Ziellinie bringen muss. Die von uns geführten Strafverfahren sind ein Zusammenspiel verschiedener Teamplayer, verschiedener Behörden, die Hand in Hand auf ein gemeinsames Ziel hin arbeiten müssen. Als wir letzten Herbst erfuhren, dass das Bundesstrafgericht seine Pforten im Frühling dieses Jahres für die operativen Aufgaben öffnen werde, haben wir in Aussicht gestellt, dass die BA im Lauf von 2004 zehn bis zwölf Anklagen in Bellinzona würden einreichen können. Daran beabsichtigen wir uns zu halten. Dies hängt allerdings nicht allein von der BA ab. Es wird sich im Lauf des Herbsts zeigen, ob wir die Anklagen in der in Aussicht gestellten Anzahl werden einreichen können. Ab diesem Zeitpunkt werden wir uns der Diskussion über die Auslastung des Bundesstrafgerichts mit den von uns geführten Fällen stellen, zusammen mit der Bundeskriminalpolizei und zusammen mit den von der BA in aller Unabhängigkeit stehenden Eidgenössischen Untersuchungsrichtern. Diese stellen im Strafverfahren des Bundes unsere entscheidenden Partner dar. Die Möglichkeiten der BA zur Beschleunigung der Verfahren sind beschränkt, aber selbstverständlich nutzen wir sie aus. Abkürzungen quer durchs Gelände gibt es allerdings keine und wichtig ist, dass am Schluss die Wagen unbeschadet die Ziellinie erreichen, ohne vorher an den Leitplanken zu enden. Das Rennen wird entschieden, wenn alle Runden gefahren sind – und nicht bei der ersten oder zweiten Zwischenzeit.


«Der Fairness halber muss man uns deshalb bei der Beurteilung unserer Arbeit die von Anfang an geplante und zugestandene Zeit einräumen und sollte nicht unter dem Spardruck bei den Bundesfinanzen während des Spiels die Regeln ändern und nach schnellen Erfolgen rufen, die wir weder geplant haben noch je in Aussicht hätten stellen können. » Valentin Roschacher, Bundesanwalt



Carla del Ponte war, gemessen an Verfahren mit zählbaren Ergebnissen, nicht sehr erfolgreich. Wie sieht Ihre Bilanz aus im Sinne eröffneter und abgeschlossener Verfahren oder blockierter Gelder?

Es wäre unfair, die Arbeit von Carla Del Ponte mit unserer Arbeit unter den heutigen Bedingungen zu vergleichen – die BA hat bekanntlich am 1.1.2002 ihre neuen Ermittlungs- und Anklagekompetenzen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerstkriminalität übertragen erhalten und kann ihre Verfahren erst seit diesem Zeitpunkt in der von uns wahrgenommenen Breite bis zur Beurteilung vor Gericht führen. Und was die Beurteilung vor Gericht betrifft, wäre auch für uns zum heutigen Zeitpunkt eine generelle Bilanz noch zu früh – wir haben immer mit offenen Karten gespielt und klar deklariert, dass die von uns seit dem 1. Januar 2002 eröffneten, komplexen Verfahren eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von zwei bis drei Jahren bis zur Beurteilung vor Gericht benötigen. Gleichzeitig müssen wir aufgrund der ersten Erfahrungen eher von einer längeren als einer kürzeren Verfahrensdauer ausgehen. Der Fairness halber muss man uns deshalb bei der Beurteilung unserer Arbeit die von Anfang an geplante und zugestandene Zeit einräumen und sollte nicht unter dem Spardruck bei den Bundesfinanzen während des Spiels die Regeln ändern und nach schnellen Erfolgen rufen, die wir weder geplant haben noch je in Aussicht hätten stellen können.


Die BA hat im März dieses Jahres rund 6,2 Milliarden Franken Vermögenswerte der russischen Konzerne Yukos und Menatep, die von Michail Chodorkowski kontrolliert wurden, blockiert. Der Grossteil wurde inzwischen via Bundesgerichtsentscheid wieder freigegeben. Der BA wurde vorgeworfen, sich hier zum verlängerten Arm der Politik Putins zu machen. Wie gehen Sie mit der politischen Dimension solcher Fälle um?

Grundsätzlich betreiben wir Strafverfolgung, nicht Politik. Selbstverständlich sind uns die möglichen politischen Dimensionen eines Falls bewusst, auch wenn wir uns beim unserem Vorgehen von keinerlei Rücksichtnahme gegenüber der einen oder der anderen Seite leiten lassen. Wir schlagen uns weder auf die Seite der russischen Regierung noch auf die Seite der Oligarchen, sondern leisten Rechtshilfe im Rahmen eines russischen Strafverfahrens zur Abklärung von Lebenssachverhalten. Nach meinem Verständnis bleibt ein Verdacht auf deliktisches Handeln vor dem Gesetz auch dann ein Verdacht, wenn der Verdächtige geltend macht, er sei in politische Ungnade gefallen. Ob es sich bei der Affäre Yukos um einen Fall politisierter Justiz handelt, muss letzten Endes im Rahmen des russischen Verfahrens geklärt werden, nicht im Rahmen der von der Schweiz geleisteten Rechtshilfe. Im übrigen lasse ich den Vorwurf an die BA, sie sei die Handlangerin der russischen Staatsanwaltschaft, nicht gelten. Wir leisten unsere Arbeit strikte im Rahmen der in der Schweiz geltenden Gesetze, mit Respektierung der von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen in der Strafverfolgung und Rechtshilfe sowie letzten Endes unter Aufsicht des höchsten Schweizer Gerichts, wie gerade die jüngsten Entscheide des Bundesgerichts zeigen. Es mutet im übrigen etwas seltsam an, dass dieser „Handlanger“-Vorwurf gerade dann nicht thematisiert wird, wenn das Bundesgericht das Vorgehen der BA vollumfänglich stützt, wie das beispielsweise in der von uns geleisteten Rechtshilfe an Russland im Rahmen der Aeroflot-Affäre der Fall war.


Yukos, Parmalat, Absturz der Crossair in Bassersdorf als komplexe und wichtige Aufgaben und dann die Ermittlungen wegen einer der Indiskretion im Zusammenhang mit Bundesrat Blochers Vorschlag, die Bundeshilfe an Schweiz Tourismus auf einen symbolischen Franken zu reduzieren und die Verfolgung des Tortenwerfers gegen Bundesrat Merz. Wie beurteilen Sie hier die Verhältnismässigkeit der Aufgaben der BA?

Die BA ist verpflichtet, ihrem gesetzlichen Auftrag zur Strafverfolgung im Rahmen der ihr übertragenen Kompetenzen nachzukommen. Wir können nicht einfach nach Gutdünken über „Stop“ oder „Go“ der Verfahren entscheiden, sondern sind dem Gesetz verpflichtet. Wie Ihre Aufzählung zeigt, arbeiten wir dabei in einer verhältnismässig grossen strafrechtlichen Bandbreite, d.h sowohl in den „klassischen“ Kompetenzen wie beispielsweise Beamtendelikte, zu denen Amtsgeheimnisverletzungen gehören, als auch den neuen Kompetenzen zur Bekämpfung grenzüberschreitender Geldwäscherei, Korruption und organisierten Schwerstkriminalität sowie in der internationalen Rechtshilfe. Die Beispiele, die Sie nennen, illustrieren dies gut – so ist beispielsweise Yukos ein Fall der internationalen Rechtshilfe und der Fall Crossair resp. das „Tourismusfranken“-Verfahren Ermittlungen nach den „klassischen“ Kompetenzen der BA. Zu den juristischen Implikationen der misslungenen Torten-Attacke auf Bundesrat Merz möchte sich der Bundesanwalt an dieser Stelle lieber nicht äussern… Die strafverfolgerische Dimension eines Falles präsentiert sich in unserem Kompetenzbereich ebenso unterschiedlich wie die dahinter stehende kriminelle Energie. Dies ist auch uns bewusst. Wir schiessen nicht mit Kanonen auf Spatzen, sondern machen auch in der strafverfolgerischen Arbeit die Wahl unserer Mittel vom Kaliber der zu verfolgenden Delikte abhängig. Aber solange das Strafgesetzbuch ein Delikt unter Strafe stellt, ist die BA zur Strafverfolgung verpflichtet und kann sich nicht einfach selbst davon dispensieren, um sich beliebt zu machen. Wir werden als Strafverfolger immer mit dem Vorwurf leben müssen, entweder zu viel oder zu wenig zu tun. Ich persönlich tue lieber zuviel als meine Pflicht zu vernachlässigen.


Die Verordnung zur Bekämpfung der Geldwäscherei der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) erfordert von der Finanzwelt beträchtliche Investitionen.
Der Bund und vor allem der für die BA zuständige Bundesrat Herr Blocher versuchen durch symmetrische Sparübungen den Finanzhaushalt in den Griff zu bekommen.
Wie lösen Sie diesen Widerspruch in Ihrer täglichen Arbeit?

Als Vorsitzender des Projekts zur Umsetzung der Effizienz-Vorlage ist es meine Aufgabe und meine Verantwortung, mit den vorhandenen Mitteln das Optimum für die Strafverfolgungs- und Polizeibehörden des Bundes zu erreichen. Als Bundesanwalt ist es meine Pflicht, die politischen Entscheidungsträger bei sich ändernden Rahmenbedingungen rechtzeitig auf mögliche Folgen für die Strafverfolgung hinzuweisen. Insbesondere mit dem Entlastungsprogramm 03 und dessen Auswirkungen, dem sogenannten „Marschhalt“ in der Aufbauarbeit, sehen sich auch die Strafverfolgungsbehörden des Bundes einer neuen Herausforderung gegenübergestellt, nämlich mit einer gleich bleibenden Anzahl von Mitarbeitenden eine ständig wachsende Zahl von Verfahren führen zu müssen. Dementsprechend müssen wir uns zur Decke strecken, was wir selbstverständlich auch tun.


Der zweite Teil des Interviews mit dem Bundesanwalt Valentin Roschacher erscheint diesen Freitag auf Moneycab.


Lebenslauf 
Geboren
1960


1981-1986/87
Jura-Studium an der Universität Zürich

1986/87
Lizentiat der Rechtswissenschaft

1988-1991
Doktorat an der Universität Zürich

1993
Erlangung des zürcherischen Rechtsanwaltspatents

1992-1995
Bezirksanwalt an der Bezirksanwaltschaft Zürich

1995
Eintritt im BAP; Chef der Zentralstellen zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Falschmünzerei

1996 bis 2000
Stellvertretender Chef der Kriminalpolizeilichen Zentralstellen

Seit 1. März 2000
Bundesanwalt

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