Skitour auf den Piz d’Err: Beeindruckender Namensgeber und die höchstgelegene Bündner SAC-Hütte

Auf dem Weg vom Julierpass zur Jenatsch-Hütte (Bild: Helmuth Fuchs)

Die Wettervorhersagen und vor allem der frühmorgendlich Blick aus dem Haus verhiessen nicht viel Gutes. Kurze Schönwetterstunden, eingebettet in Wind und Wolken. Zum Glück widerstanden wir dem Drang, die Tour zu verschieben. Die Belohnung waren zwei Tage mit wenig Menschen, viel dramatischem Naturspektakel und die Besteigung des Namensgebers der Err-Gruppe.

Von Helmuth Fuchs

Da wir am ersten Tag nur den Aufstieg vom Julierpass zur Jenatsch-Hütte (2’653 Meter über Meer) geplant hatten, konnten wir es gemütlich angehen. Der Blick aus dem Fenster endete gleich an einer trüben Nebelwand und motivierte zur umgehenden Rückkehr ins Bett. Da unser Freund und Bergführer, Urs Tobler, schon auf dem Weg vom Appenzell zum Treffpunkt in Reichenau war, entfiel diese Option und wir begannen den Tag mit reichlich Überwindung der wettermässigen Tristesse.

Auch kurz vor dem Julierpass, wo wir das Auto abstellten, bot sich noch dasselbe Grau-in-Grau-Szenario, nun mit leichtem Schneefall und einer miserablen Sicht. Beim Aufstieg trafen wir schon nach kurzer Zeit auf den ersten Skitourer, der entnervt aufgab, die Felle abzog und wieder zum Parkplatz herunterfuhr. Eine Fehlentscheidung, wie sich kurze Zeit später und noch vor Erreichen der Fuorcla d’Agnel (2’982 Meter über Meer) herausstellte. Das angekündigte Schönwetterfenster öffnete sich langsam und der noch leichte Schneefall sorgte zusammen mit Sonne und Wolken für eine märchenhafte Glitzerkulisse mit sehr hohem Kitschfaktor.

Die 777 Meter Aufstieg vom Parkplatz zur Fuorcla d’Agnel sind durch die imposante Gebirgskulisse und das einfache Profil ein Genuss, nachdem sich die Wolken verzogen haben. Auf der Fuorcla nehmen wir die Felle von den Skis und können dank der sehr guten Schneeverhältnisse (harte Unterlage, wenig Neuschnee) die Route entlang den steilen Hängen des Piz Picuogl in Richtung der Jenatsch-Hütte wählen und sparen uns so einige Meter eines zusätzlichen Hüttenanstiegs.

In der Hütte beziehen wir ein für SAC-Unterkünfte sehr luxuriöses Zweierzimmer, geniessen die Zeit bis zum feinen Abendessen (Gemüse-Suppe, zweierlei Risotto, hervorragender Salat mit Zimt-Honig-Dressing, Apfelschnitze mit Streusel) mit Karten- und Wetterkunde und Hüttengesprächen.

Nach einer erholsamen Nacht steht beim Morgenessen, mit einem Kaffee, der nur von jemandem zubereitet werden konnte, der dieses Getränk abgrundtief hasst, das Wetter wieder im Mittelpunkt. Die ersten Morgenminuten zeigen einen klaren Himmel, danach beginnen mit der Morgenröte die ersten Wolken aufzuziehen und bedecken zunehmend den Himmel.

Beim Aufstieg zu den Steilstufen des Vadret d’Err ist das Wolken- und Nebelgemisch zwischenzeitlich so dicht, dass erst eine nochmalige Analyse der Wettersituation (eine Wetterbesserung von Westen wird erwartet) uns motiviert, die Tour nicht abzubrechen. Und wie am Vortag werden wir wieder überreich belohnt.

Auf dem Grat zwischen dem Vadret d’Err und den Tellers Davains, südlich des Piz d’Errs, geniessen wir auf 3’220 Metern über Meer ein grandioses Panorama mit Bündner, Berner und Walliser Alpengipfeln.

Mit diesen Eindrücken gestärkt umgehen wir den Punkt 3’307 auf der Südseite und gelangen in die steile Ostflanke des Piz d’Err. Die Skis lassen wir vor dem steilsten Stück zurück, montieren dafür die Steigeisen, ziehen den Klettergurt an und nehmen den Pickel für den Aufstieg zu Hilfe. Da wir die ersten sind, die an diesem Tag den Piz d’Err aufsuchen (nach uns kommt noch eine Gruppe mit drei jungen Männern), muss Urs als Bergführer die Spur legen. Bis auf eine Verwehung mit tiefem Schnee geht dies problemlos. Auf dem Grat vor dem felsigen Gipfelaufschwung nimmt er uns ans Seil, was uns für die letzte Felskraxelei zusätzliche Sicherheit bietet. Und dann stehen wir auf dem Gipfel (3’377 Meter über Meer). Überwältigt, erleichtert, adrenaligespült und mit einer tiefen Zufriedenheit und Dankbarkeit.

Am Seil bis zum Grat hinunter, dann den Steilhang zum Skidepot und wir können uns für die Rückkehr bereit machen. Die Abfahrt, auch über die Steilstufen hinunter, ist wider Erwarten dank der sehr guten Tragfähigkeit der Schneedecke und weil Urs das Gelände liest wie ein ihm vertraute Buch, ein Genuss. Auf der Höhe der Jenatsch-Hütte am Hang des Piz Picuogl gibt es dann die etwas verspätete Mittagspause mit Sandwich, Trockenfrüchten und Tee, bevor wir den letzten Anstieg von etwa 360 Metern zurück auf die Fuorcla d’Agnel beginnen.

Die Abfahrt von der Fuorcla bei besten Sicht- und Schnee-Verhältnissen (nur kurze Strecke mit Bruchharsch-Schnee, der Rest tragfähige Unterlage mit Pulver- und leichtem Sulzschnee auf dem letzten Abschnitt). Nach etwa 15 Kilometern, 1’100 Höhenmetern Aufstieg, über 1’500 Metern Abfahrt und mit unvergesslichen Bildern und Erinnerungen erreichen wir unser Auto, gerade bevor die Bewölkung den Himmel wieder vollständig in Beschlag nimmt.

Die zwei Tage boten wieder alles, was das Skitouren für uns so herausfordernd, reizvoll und bereichernd macht. Unser Bergführer und Freund Urs versteht es immer wieder, uns sicher an die Grenze unserer Komfortzone zu bringen, so dass wir Neues lernen und Gelerntes vertiefen können. Dabei ist es unwichtig, welche Kategorie der Berg oder die Route hat, da die Grenzen immer persönlich sind, durch Wetter, Tagesform und mentale Verfassung verschoben und immer neu definiert werden.


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