Avenir Suisse: Generationenungerechtigkeit überwinden

Rentnerinnen

In der alternden Gesellschaft stehen sich gleich vier Generationen gegenüber.

Zürich – In der alternden Gesellschaft stehen sich nicht einfach «Jung» und «Alt» gegenüber, sondern gleich vier Generationen in wechselnden Abhängigkeiten und mit neuen Kräfteverhältnissen. Avenir Suisse präsentiert Revisionsvorschläge, damit der «Generationenvertrag» auch in Zukunft hält. Die Massnahmen im privaten und im öffentlichen Umfeld bezwecken eine generationengerechte Schuldenpolitik und eine gezielte Entlastung der Erwerbsbevölkerung. Ferner präsentiert Avenir Suisse einen konkreten Vorschlag zur Finanzierung der Alterspflege, der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung fördert. Er erhält mit Blick auf die aktuelle Debatte um die Frage des Kapitalbezugs aus der zweiten Säule und die Neuorganisation der Ergänzungsleistungen zusätzliche Bedeutung.

2015 werden in der Schweiz zum ersten Mal mehr Personen ihren 65. als ihren 20. Geburtstag feiern. Bis 2050 wird die Zahl der Erwerbstätigen pro Rentner von 3,5 (2010) auf 1,9 sinken. Bis dahin werden zudem jedem, der 80 und älter ist, nicht mehr 11,6 (2010) sondern nur noch 4,2 Aktive gegenüberstehen (vgl. Abb. 1). In einem neuen Buch durchleuchtet Jérôme Cosandey zusammen mit Martin Eling, François Höpflinger und Pasqualina Perrig-Chiello die Herausforderungen der alternden Gesellschaft. In ihrer Auseinandersetzung mit dem vielstrapazierten Begriff «Generationenvertrag» stellen sie fest, dass es dabei um sehr viel mehr als um die Finanzierung der Altersvorsorge geht. Der Generationenvertrag ist ein komplexes Geflecht von Leistungen, die zwischen vier Generationen (Kinder & Jugendliche, Erwerbstätige, Jungrentner und Hochaltrige) hin- und herfliessen. Auf der staatlichen Ebene gehören dazu Familienzulagen, Bildungsausgaben, Altersvorsorge und Alterspflege, auf der privaten Ebene sind es u.a. Kleinkinderbetreuung, Pflege betagter Eltern und Erbschaften (vgl. Abb. 2). Eine Revision des Generationenvertrags muss prioritär an folgenden Stellen ansetzen:

  1. Tragbare Belastung der aktiven Generation sicherstellen. Die erwerbstätige Generation findet sich zunehmend im «Sandwich» zwischen der Betreuung der eigenen Kinder und der Pflege der eigenen Eltern. Letzere können durch altersgerechtes Wohnen ihre Selbständigkeit stärken und damit ihre Kinder entlasten. Auch die grösseren geografischen Distanzen zwischen Familienmitgliedern und unregelmässige Arbeitszeiten setzen die Erwerbsbevölkerung unter Druck: Flexible Arbeitszeitmodelle können die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen. Generationenprojekte und «Zeitbörsen» helfen zudem, Ressourcen auch ausserhalb der Familie zu mobilisieren. In der Pflege sollten ambulante und stationäre Ressourcen effizienter eingesetzt werden, wobei sich eine neue Rollenverteilung zwischen Familienmitgliedern und Fachpersonen abzeichnet: Erstere leisten Hilfe, letztere Pflege.
  2. Die Alterspflege durch obligatorisches Sparen vorfinanzieren. Bei der heutigen Regelung der Ergänzungsleistungen wird Sparen für die Alterspflege bestraft und Konsum gefördert. Wer beim Pflegeheimeintritt noch Kapital besitzt, muss selber für seinen Aufenthalt zahlen, wer nicht, wird vom Kollektiv unterstützt. Avenir Suisse schlägt zur Beseitigung dieser Fehlanreize ein persönliches, obligatorisches Sparen ab dem Alter 55 vor. Das angesparte Kapital ist bei Bedarf für alle Pflegeleistungen einsetzbar, ambulant wie stationär, je nach Präferenzen und Ressourcen im Familienumfeld. Die nicht verwendeten Mittel können im Todesfall vererbt werden – so wird auch die Unterstützung der Angehörigen gefördert und honoriert. Die Versicherungspflicht erst ab dem 55. Lebensjahr entlastet die jüngeren Generationen und bringt Finanzierung und Erbringung von Pflegeleistungen besser im Einklang.
  3. Die Handlungsfähigkeit künftiger Generationen erhalten. Will man die finanzielle Belastung der künftigen Generationen analysieren, ist die Betrachtung der Schulden nicht pro Kopf, sondern pro Kind angebracht. Diese liegen in der Schweiz bei 175’000 Fr. – mit starken Unterschieden zwischen den Kantonen (von 106‘000 Fr. in AI bis 319 ‘000 Fr. in GE, vgl. Tab.1). Schulden sind dann generationengerecht, wenn sie Leistungen wie Infrastrukturen finanzieren, von denen nachkommende Generationen profitieren können. Doch ein beträchtlicher Teil der (künftig noch wachsenden) Schweizer Schulden wird nicht für Investitionen verwendet, sondern für gesetzlich vorgesehene Konsumleistungen, deren Finanzierung nicht geklärt ist – zum Beispiel in der Altersvorsorge: Hier kann die finanzielle Nachhaltigkeit durch ein höheres Rentenalter, durch eine Schuldenbremse in der AHV und eine flexible Festlegung des BVG-Umwandlungssatzes erreicht werden.

Ein dirigistischer Zentralplan, um alle Herausforderungen der alternden Gesellschaft zu lösen, wäre zum Scheitern verurteilt. Stattdessen bieten sich auf den unterschiedlichsten Ebenen Lösungen an, die auch in einer «Politik der kleinen Schritte» umgesetzt werden könnten. In der direkten Demokratie ist das der gangbarste Weg, um eine kontinuierliche Anpassung an neue demografische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen zu  erlauben.

Buchpublikation: «Generationenungerechtigkeit überwinden – Revisionsvorschläge für einen veralteten Vertrag», Jérôme Cosandey, mit Beiträgen von Martin Eling, François Höpflinger und Pasqualina Perrig-Chiello, erhältlich bei NZZ Libro (38 Fr.), Online-Informationen auf der Website von Avenir Suisse: http://www.avenir-suisse.ch/38266/generationenungerechtigkeit-ueberwinden/.

Tabelle 1

(Tabelle: Avenir Suisse)

 

Abbildung 1

(Abbildung: Avenir Suisse)

 

Abbildung 2

(Abbildung: Avenir Suisse)

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