CS: Thurgau/Schaffhausen bei Standortattraktivität im oberen Mittelfeld

Thurgau

Ein Blick auf Ermatingen am Untersee. (Foto: Thurgau Tourismus)

Frauenfeld – Die im Thurgau und in Schaffhausen traditionell überproportional vertretene Industrie hat in den letzten Jahren einen Verlust von 2000 Arbeitsplätzen verzeichnet. Dieser Rückgang konnte unter anderem durch ein starkes Wachstum des Gesundheitswesens kompensiert werden. Dies zeigt eine Regionalstudie der Credit Suisse über die Kantone Thurgau und Schaffhausen.

Die Kantone Thurgau und Schaffhausen sind von der Lage nördlich des Grossraums Zürich und der Nähe zu Deutschland geprägt. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zeigen sich nicht zuletzt im ausgeprägten Pendel- und Grenzverkehr. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es aber auch einige deutliche Unterschiede zwischen den Kantonen.

So wächst die Bevölkerung des Kantons Thurgau überdurchschnittlich. Aufgrund der Grenznähe und getrieben durch die wirtschaftliche Entwicklung und die Personenfreizügigkeit mit der EU resultierte in den letzten Jahren per saldo eine starke internationale Zuwanderung. Das ebenfalls positive Saldo der Binnenmigration zeigt, dass der Thurgau auch im Vergleich zu anderen Kantonen als Arbeits- und vor allem als Wohnort attraktiv ist. Insbesondere aus Zürich und St. Gallen, aber auch aus dem Aargau und aus Graubünden sind Nettozuzüge zu verzeichnen. Der Kanton Schaffhausen entwickelt sich weniger dynamisch, doch immerhin sind seit einigen Jahren auch wieder Nettozuzüge aus anderen Kantonen zu verzeichnen. Diese stammen zu über 90% aus dem Kanton Zürich. Angesichts der anhaltenden Raumknappheit rund um die Stadt Zürich und der dadurch ausgelösten Verdrängungseffekte dürfte die Trendwende zu einer positiven Binnenmigration anhaltend sein.

Im besseren Mittelfeld platziert
Im Standortqualitätsranking der Credit Suisse platzieren sich beide Kantone im besseren Mittelfeld. Der Thurgau punktet mit einer attraktiven Besteuerung von sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen, mit guter Erreichbarkeit und mit Fachkräften. Im Kanton Schaffhausen ist die Erreichbarkeit ebenfalls gut, genau wie auch die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften. Bei der Besteuerung von Privatpersonen liegt Schaffhausen ebenfalls im Mittelfeld. Nur bei den Unternehmenssteuern kann es sich klar attraktiver positionieren und hat angesichts der geplanten Unternehmenssteuerreform gar den Spitzenplatz im Auge.

Verbesserungspotential gibt es für beide Kantone bei der Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften: In Schaffhausen und in der Region Untersee/Rhein liegt der Anteil der Arbeitskräfte mit tertiärem Ausbildungsabschluss mit rund 33% nur leicht unter dem Schweizer Durchschnitt von 36%, jedoch deutlich unter jenem in den urbaneren Regionen der Schweiz. In den Regionen Oberthurgau, Thurtal und Wil liegt er zwischen 26% und 29%, in urbaneren Regionen der Schweiz hingegen bei über 40% und in der Stadt Zürich sogar bei 52%.

Weniger Industrie, mehr Gesundheitswesen
Im Thurgau und in Schaffhausen ist die Industrie traditionell überproportional vertreten. In den letzten Jahren hat sich die Wirtschaftsstruktur in beiden Kantonen jedoch verändert. So war die Industrie­beschäftigung in allen Regionen rückläufig. Gesamthaft verlor die Region im Zuge der Eurokrise und des hohen Frankens 2000 Arbeitsplätze in der Industrie. Trotz dieses Verlustes wuchs die Gesamtbeschäftigung in Schaffhausen und insbesondere im Thurgau. Haupttreiber dieses Wachstums waren in beiden Kantonen die administrativen und sozialen Dienste. Aufgrund demografischer Entwicklungen expandierte vor allem im Thurgau das Gesundheits- und Heimwesen sehr dynamisch. Beide Kantone streben eine Verlagerung von leicht Pflegebedürftigen in die ambulante Pflege an. In diesem Kontext wuchs das Spitexangebot von 2012 bis 2016 sowohl in Schaffhausen mit 21% als auch im Thurgau mit 25% mehr Beschäftigten markant.

Gerade im Vergleich zur Westschweiz ist das Spitexangebot aber immer noch eher tief und hat entsprechend weiteres Wachstumspotenzial. Auch die in Schaffhausen stark vertretene Pharmabranche wird in Zukunft von der global steigenden Nachfrage nach Gesundheitsgütern profitieren. Dies ist einer der Gründe, weshalb Schaffhausen im Vergleich zu Thurgau mittelfristig ein leicht besseres Chancen-Risikoprofil – das einen Ausblick auf die zukünftige Wirtschaftsentwicklung gibt – aufweist. Die Bewertung des Kantons Thurgau ist auch durch das überdurchschnittlich hohe Gewicht der strukturschwachen Landwirtschaft geprägt.

Einkaufstourismus fordert Tribut
Grenzüberschreitendes Einkaufen ist in Schaffhausen und im Thurgau kein neues Thema. In den letzten Jahren hat sich die Problematik aber – zumindest aus Sicht des Detailhandels – angesichts der Auf­wertungsschübe des CHF gegenüber dem EUR nochmals verschärft. Denn dank geringem Fahrt- und Zeitaufwand rechnet sich im Vergleich zu anderen Kantonen der Einkaufstourismus für Thurgauer und Schaffhauser schon ab kleinen Einkaufsbeträgen. 2015 hatten knapp 8% aller Schaffhauser und Thurgauer Einkaufswege einen ausländischen Zielort – der höchste Wert in der ganzen Schweiz. Damit waren Schaffhauser und Thurgauer für rund einen Achtel aller stationären Schweizer Einkaufsgänge verantwortlich – obwohl sie nur rund 4% der Bevölkerung stellen.

Die Zahl der Betriebe nahm in der Region entsprechend zwischen 2011 und 2016 um 8.5% ab, während der Rückgang in der restlichen Schweiz 5.1% betrug. Rückläufig war im Thurgau und in Schaffhausen vor allem die Anzahl der Geschäfte mit weniger als zehn Mitarbeitenden, was den allgemeinen Eindruck eines «Lädelisterbens» bekräftigt.

Der Einkaufstourismus spielt sich jedoch schon lange nicht mehr nur stationär ab, sondern zunehmend auch online. Sofern ausländische Onlineshops ihre Ware in die Schweiz liefern, sind Grenzregionen nicht per se stärker betroffen. Amazon zum Beispiel liefert bis anhin aber nur einen Bruchteil ihrer Produkte direkt in die Schweiz. In den letzten Jahren haben sich nahe an der Grenze allerdings Abholstationen etabliert, an die Schweizer Konsumenten ihre Amazon-Bestellungen liefern lassen und von wo sie Pakete dann persönlich abholen können. Entsprechend googlen Schaffhauser und Thurgauer überdurchschnittlich oft nach Amazon. Dies deutet darauf hin, dass der regionale Detailhandel nicht nur im stationären Handel überproportional viel Kaufkraft ans Ausland verliert, sondern zumindest bezogen auf Amazon auch online.

Region weiterhin attraktiv für Wohneigentümer und zunehmend auch für Mieter
Jüngst sind die Preise für Wohneigentum im Thurgau entgegen der Entwicklung in Schaffhausen und dem nationalen Trend kaum noch gestiegen. Angesichts des vergleichsweise tiefen Preisniveaus und der guten Erreichbarkeit sind beide Kantone weiterhin attraktiv für Wohneigentum. Im benachbarten Kanton Zürich kann sich eine zunehmende Anzahl Haushalte den Wunsch nach Wohneigentum aber aufgrund der starken Preisanstiege und gestiegenen Finanzierungsanforderungen nicht mehr erfüllen. So muss gemäss Berechnungen der Credit Suisse beispielsweise in Illnau-Effretikon für eine mittlere Eigentumswohnung mit 110 Quadratmeter Wohn­fläche (4.5 Zimmer) CHF 945‘000 bezahlt werden. In Frauenfeld (CHF 749‘000), Weinfelden (CHF 711‘000) oder Schaffhausen (CHF 693‘000) ist eine vergleichbare Wohnung noch deutlich günstiger zu haben.

Die Mietwohnungsnachfrage schwächt sich aufgrund der rückläufigen Zuwanderung ab. Gleichzeitig bleibt die Bautätigkeit in den beiden Kantonen äusserst lebhaft. Im Thurgau erhielten alleine in den vergangenen 12 Monaten rund 800 Mietwohnungen die Baubewilligung. Im Kanton Schaffhausen wurden im letzten Jahr wieder etwas weniger Mietwohnungen bewilligt als noch vor einigen Jahren. Ein Blick auf die eingegangenen Baugesuche zeigt jedoch, dass sich dies bald wieder ändern könnte. Die rege Bautätigkeit bei rück­läufiger Nachfrage wird in den beiden Kantonen dazu führen, dass die Mieter weiter an Marktmacht gewinnen. Die in praktisch allen Regionen der zwei Kantone bereits überdurchschnittlich hohen Leer­stände dürften in den nächsten Jahren weiter steigen. Mieter dürften dabei gemäss den Ökonomen der Credit Suisse nicht nur von einer steigenden Auswahl, sondern zunehmend auch von tieferen Marktmieten profitieren. (CS/mc/pg)

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