Bern – Die Deutschschweizer Presse hat nach dem Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mehrheitlich die Rolle der Justiz in einer direkten Demokratie hinterfragt. Westschweizer Medien verstanden das Urteil hingegen als Aufruf zum Handeln, wie aus den Kommentarspalten vom Mittwoch hervorging.
Es sei «höchst problematisch, wenn der Klimaschutz von der internationalen Justiz vereinnahmt wird», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» auf das Urteil vom Dienstag. In der Schweiz würden Parlament und Volk die Klimapolitik machen und nicht eine Gruppe von Richtern.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) trat tags zuvor auf die Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen ein und stellte eine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt. Die Schweiz ist laut Gericht ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht nachgekommen.
Verhärtete Fronten
Die Klimaschützerinnen und -Schützer haben laut einem Kommentar von Tamedia eine Gefahr womöglich zu wenig beachtet: «Bestimmen zunehmend Gerichte den Gang der Klimapolitik, dürfte das ein guter Teil der Bevölkerung nicht goutieren.»
Das Urteil sei nicht nur befremdlich, sondern möglicherweise kontraproduktiv, schrieb denn auch «Blick». Noch sei zwar schwer abzuschätzen, «wie heiss die Strassburger Suppe gegessen wird», schrieb die Zeitung. Die Fronten in der Klimapolitik dürften sich aber noch mehr verhärten.
Aufgrund des Urteils werde die Schweiz ihre Klimagesetzgebung kaum fundamental ändern, kommentierte CH Media. Feststellungen wie das Urteil hätten in einer direkten Demokratie nur jenen Wert, den ihnen die Stimmbevölkerung zumesse. Als politisch dürfe der Entscheid aber nicht gewertet werden: «Wer diesen Entscheid als politisch abtut oder die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Schweiz infrage stellt, entwertet das Justizsystem und die Menschenrechte», schrieb CH Media.
Verantwortung wahrnehmen
Auf weniger Widerstand stiess das Urteil in Westschweizer Medien. Der Entscheid sei eine «Demütigung» für die Schweiz, hiess es im Kommentar der ESH-Mediengruppe. Man habe es hierzulande in der Vergangenheit vorgezogen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu leugnen.
Die Schweizer Stimmbevölkerung sei nicht bereit, auf ihren Komfort zu verzichten, schrieb «La Liberté». Das habe die Abstimmung über das CO2-Gesetz im Jahr 2021 gezeigt.
Es sei zwar unangenehm, wenn andere mit dem Finger auf einen zeigen, hiess es im Kommentar von «Le Temps». Doch könne man von der Schweiz mit ihrer starken Innovationsfähigkeit ein stärkeres Engagement erwarten. Regierung und das Parlament müssten nun ihre Verantwortung für den Klimaschutz wahrnehmen. (awp/mc/ps)